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Martin McGuinness: "In der irischen Gesellschaft sind fundamentale Veränderungen nötig" Sinn Féin, 28. November 2010
KILMICHAEL im Westen des County Cork, ist Legende. Am Sonntag, den 28. November 2010, war Martin McGuinness, eine
weitere irisch-republikanische Legende der Hauptredner der diesjährigen Gedenkveranstaltung, in der an den
berühmten Kilmichael Ambush erinnert wurde, den Hinterhalt bei Kilmichael vor 90 Jahren, mit dem 36 Aktivisten
der IRA dem mächtigen britischen Empire einen schweren Schlag versetzten. Und wie immer in der irischen Geschichte,
können wir aus dem Widerstand der Männer von
Kilmichael gegen Unrecht und Ungerechtigkeit Lehren für die heutige Zeit ziehen. Martin McGuinness, einer der
bekanntesten Politiker der irisch-repubikanischen Partei Sinn Féin, derzeit stellvertretender First Minister der
nordirischen Regionalregierung, stellt Lehren aus Kilmichael für heute in den Mittelpunkt seiner Rede.
Martin McGuinness: "Wir alle müssen aufstehen und uns einbringen."
"Ich freue mich sehr und bin stolz darauf,
hierher eingeladen zu sein, um der Ereignisse von Kilmichael zu gedenken. Ereignisse, die die Geschichte unserer
Nation bestimmten. An diesem Tag vor 90 Jahren lagen 36 Freiwillige der IRA versteckt in den umliegenden Gräben und
Drumlins. Sie warteten.
Unter der Führung von Tom Barry war die Einheit der IRA die Nacht zuvor aus Enniskeane aufgebrochen. Um 3.00 Uhr
morgens marschierten sie durch strömenden Regen und bittere Kälte. Jeder der Aktivisten lag alleine in seinem Versteck.
Sie warteten schweigend und frierend auf einen schwerbewaffneten Konvoy britischer Auxiliaries (Die Auxiliaries
waren eine Spezialeinheit der britischen Armee, rekrutiert aus ehemaligen Soldaten, die zum Kampf gegen die IRA nach
Irland geschickt wurden. Sie waren bei der Bevölkerung wegen ihrer Grausamkeit verhasst.)
Keiner durfte seine Tarnung verlassen, aus Angst, der Hinterhalt könnte dadurch verraten werden. Die Kleidung der
Männer war tropfnass. Es war so kalt, dass sich Eis auf den Mänteln und Mützen bildete. Und sie warteten immer noch
schweigend. Die meisten der IRA-Freiwilligen hatten wenig oder keine Ahnung von Guerillakampf und keine formelle
militärische Ausbildung. Demgegenüber waren die britischen Kräfte professionell bewaffnet und ausgebildet.
Der Aufstand von 1916 war unterdrückt worden, die Führer hingerichtet und viele Aktivisten im Gefängnis. Die Briten
hielten das Land besetzt. Reichtum und Menschen wurden exportiert. Die Mächtigen sagten dem Volk, "es gab keine andere
Möglichkeit". Aber die Freiheitskämpfer der IRA, die in Kilmichael zusammenkamen, liessen sich dadurch nicht
abschrecken. Ihre Motivation war nicht der persönliche Gewinn. Sie fürchteten die Mächtigen nicht.
Sie hielten in dieser kalten, nassen und schweigenden Nacht aus demselben Grund durch, aus dem Bobby Sands 60
Jahre später in einer Gefängniszelle seine Kraft schöpfte, als er schrieb:
It lights the dark of this prison cell,Sie wussten, dass die Besetzung unseres Landes und die Verweigerung der irischen Souveränität Unrecht war. Sie wussten, dass ein besser Weg möglich war und sie handelten in der einzigen Art und Weise, die ihnen geblieben war. Sie führten einen bewaffneten Kampf gegen die britische Herrschaft. Es ist für mich eine grosse Ehre, heute an diesem Monument zu sprechen. West Cork hat eine stolze republikanische Tradition. Ich gratuliere dem Kilmichael Komitee, das jedes Jahr Großartiges leistet, um dieser Freiwilligen zu gedenken, das Beispiel zu feiern, das sie uns geben. Einige von Euch sind Nachfahren der Freiwilligen, die in diesem Hinterhalt kämpften; andere sind direkte Verwandte der 3 Aktivisten, die an diesem Nachmittag im Kampf getötet wurden - Jim O’Sullivan, Michael McCarthy, und der junge Pat Deasy. Ich halte es für richtig, dass patriotisch gesinnte Bürgerinnen und Bürger verschiedener politischer Zugehörigkeit sich hier 90 Jahre später versammeln, um diese Freiwilligen zu ehren. Der Kilmichael Hinterhalt war ein zentrales Ereignis unserer Geschichte. Es änderte die Kräfteverhältnisse im Tan War (im Krieg der IRA gegen die britischen Auxiliaries) in West Cork und schliesslich auf der ganzen Insel.
Mein ganzes Leben als Erwachsener lang gab mir die Erinnerung an die Selbstlosigkeit und den Einsatz der Freiwilligen, die
hier, in Crossbarry und an vielen anderen Orten im Tan-Krieg kämpften, Kraft. Jedes Mal, wenn mir jemand erzählt,
"mehr ist nicht möglich" oder "wir müssen das akzeptieren", denke ich an den selbstlosen Mut dieser Aktivisten. Und mache
weiter.
Während der 1970er, 80er und 90er Jahre führten IRA-Freiwillige einen bewaffneten Kampf für ein vereinigtes Irland.
Ihr Einsatz brachte den irischen Friedensprozess und Verhandlungen. Ihr Einsatz machte es möglich, dass nun friedliche
und demokratische Strategien existieren, um nationale und demokratische Ziele zu erreichen. Die IRA entschied im Jahr
2005, dass heutzutage der beste Weg zu einem vereinten Irland politische und demokratische Programme sind und die
Zusammenarbeit mit anderen, um eine breite Unterstützung in der Bevölkerung hierfür zu erreichen.
Während der vielen Verhandlungen im Friedensprozess, sagte man uns, die britische Armee würde immer auf unseren
Strassen und in unseren Bergen bleiben, die Gefangenen würden im Gefängnis bleiben, die (nordirische paramilitärische
Polizei) RUC wäre immer mit uns, es würde keine gesamtirische Dimension geben und die (pro-britischen) Unionisten
würden niemals die Macht teilen.
Immer wenn wir gesagt bekamen, bis hierher und nicht weiter, schöpften wir aus dem Erfahrungsschatz der Vergangenheit.
Die Gesellschaft, in der wir lebten, war falsch. Was wir wollten, war vernünftig. Wir hatten Recht. Und die Menschen
unterstützten uns. Durch diese Unterstützung bin ich nun Teil einer parteiübergreifenden Regierung, mit Verbindungen
zu gesamtirischen Institutionen und vier weiteren irisch-republikanischen Ministerinnen und Ministern.
Meine Rolle in der nordirischen Regierung ist es, alle unsere Menschen zu repräsentieren, Repubikaner, Unionsten und
Nationalisten gleichermassen. Grundlagen hierfür sind Gleichberechtigung und Demokratie. Ich tue das als überzeugter
irischer Repubikaner. Ich bin dem Frieden verpflichtet, dem Gewinnen neuer Unterstützer und dem Öffnen neuer Wege zur
irischen Einheit. Die Vision einer freien und unabhängigen irischen Republik mit 32 Counties (Süd- und Nordirland
vereint) und eines Irlands gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger motiviert mich in meiner täglichen Arbeit.
Die Grundlagendokumente des modernen irischen Republikanismus, auf die sich diese Vision gründet, sind zeitlos.
Die Ostererklärung und das demokratische Program des 1. Dail (des ersten irischen Parlaments nach dem Wahlsieg von
Sinn Féin im Jahre 1919) bestätigen die zentralen Werte des irischen Republikanismus - Souveränität, Gleichheit,
Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, Demokratie. Das sind keine abstrakten Werte. Es sind praktische, politische
Ziele. Sie sind ein Leitfaden für die politische Aktion, mehr noch, eine Vorgabe für den Typ des Irlands, den unsere
Bürgerinnen und Bürger verdienen.
Niemals zuvor in der Geschichte dieses Staates war die Relevanz dieser politischen Werte grösser. Die aufgezwungene
Teilung verhinderte eine strategische ökonomische, industrielle und infrastrukturelle Entwicklung unseres Landes.
Das war eine Verweigerung von nationaler Demokratie. Sie führte zu Ungleichheit und institutionalisierter
Diskriminierung der irischen Bevölkerung in den 6 Counties (Nordirland).
Die Koexistenz separater ökonomischer und fiskaler Systeme untergrub unsere ökonomische Souveränität und verhinderte
nachhaltiges Wachstum und Wohlstand. Als Folge wurden Irlands nationale Ressourcen und seine Arbeit noch niemals für
das Wohlergehen unserer Bevölkerung eingesetzt. Heute ist unser Land, Norden und Süden, im Griff einer tiefen
ökonomischen Rezession und einer Finanzkrise.
Die britische Tory-Regierung versucht, uns ein grausames Programm von Einschnitten in die Ökonomie des Nordens
aufzuzwingen. Sinn Féin wird gegen diese Kürzungen vorgehen und für Communities aufstehen, so wie wir es immer gemacht
haben.
In diesem Staat sind eine halbe Million Bürgerinnen und Bürger arbeitslos. Die Emigration ist auf dem Niveau von
1980. Häuser der Bevölkerung, kleine Betriebe und Bauernhöfe, Familieneinkommen, der Mindestlohn und soziale
Unterstützung sind hier im Süden von der Krise und dem Regierungshaushalt bedroht. Die Ökonomie wurde in den Ruin
getrieben, weil man erlaubte, dass sie in erster Linie gierigen Spekulanten und Bankern diente.
Und, ja, es könnte anders sein.
Es gibt Reichtum in den Ökonomien im Norden und im Süden. Aber dieser Reichtum wird nicht dazu verwendet, die Krise
mit Strategien zur Stabilisierung unserer Ökonomien zu überwinden und einen Weg zur Gesundung der Wirtschaft zu gehen.
Stattdessen werden die Menschen mit konfusen Reden hypnotisiert. Es wird von Anleihemärkten, Rettungsschirmen
und anderem geredet.
Aber in dieser Krise geht es nicht um Anleihen, deren Eigentümer oder um Rettungsschirme für Banker. Es geht um Brot
und Butter Realitäten. Politische Parteien sollten sich daran erinnern, dass es um unsere wichtigste Ressource geht -
unsere Menschen und deren Wohlergehen. Die Debatte sollte sich um Jobgarantien, finanzielle Sicherheit und die Zukunft
drehen.
Die Ankunft des IWF und der EZB hat dazu geführt, dass die irische Bevölkerung ihre Illusionen ernsthaft verloren hat.
Die Leute sind wütend, aufgebracht und haben grosses Misstrauen in die Entscheidungsträger der Regierung. Viele
halten es für nationalen Verrat, dass die Wirtschaft dieses Landes verpfändet wird, um ausländische Banken zu
befriedigen und dass der Reichtum des Landes den europäischen Wirtschaftseliten als finanzielle Kompensation gezahlt
werden muss.
Das ist nicht das Irland, für das die Aufständigen von 1916 kämpften. es ist nicht das Irland, das die Freiwilligen
von Kilmichael verteidigten, es ist nicht das Irland, für das sich Generationen von modernen Republikanern
heutzutage einsetzen. Nicht unsere Menschen hier sollten ihre Jobs verlieren und die Zeche bezahlen. Sollen die
goldenen Zirkel (die Netzwerke der Mächtigen im Süden Irlands, die vielfach bereits in Korruptionsskandale
verwickelt waren), die Bankenchefs und Kredithaie die Zeche bezahlen.
Was in diesem Staat passiert ist, ist der Gegensatz zu Republikanismus. Es ist die Korrumpierung der Oster-Erklärung
und des Demokratischen Programms
Sinn Féin ist der Überzeugung, dass diese Krise überwunden werden kann und dass wir zu Wachstum zurückkehren können.
Wir müssen den Fokus auf die Schaffung neue Arbeitsplätze richten. Das Geld dafür kann aus Steuern von etwa 4
Milliarden auf vorhandenes Vermögen kommen. Ein 7-Milliarden Euro Programm für die nächsten 3-5 Jahre kann durch
Zugriff auf die nationalen Rentenreserven finanziert werden. Die Praktiken der Banken sind künftig strikt zu
regulieren und wir benötigen eine Staatsbank. Das ist eine Lösung, die die Menschen in den Vordergrund stellt.
Veränderung ist möglich. Donegal Süd-West in der Anfang dieser Veränderung. Dort haben die Menschen gesprochen und in
immer grösserem Maße fordert die irische Bevölkerung ein Mitspracherecht. Sie müssen dieses Recht erhalten, bevor
entschieden wird. Die irische Republik ist nicht das Eigentum des politischen Establishments. Es gehört den Menschen
in Irland und ich vertraue den Menschen in Irland.
Echte republikanische Führung und eine schlüssige politische Strategie sind nun nötig.
Darum geht es Sinn Féin. Wir tragen unseren Teil dazu bei, stehen auf und erfüllen unsere Versprechen. Deshalb
gibt Gerry Adams seinen sicheren Sitz in West Belfast auf und stellt sich bei der nächsten Wahl zum irischen
Parlament in County Louth zur Wahl. Deshalb haben die Menschen in Donegal Süd-West am Freitag Pearse Doherty zu
ihrem Sinn Féin TD (Mitglied des irischen Parlaments in Dublin) gewählt.
Wir alle müssen aufstehen und uns einbringen.
Als Bürgerinnen und Bürger müssen wir standhaft und mutig unser Recht auf Gleichheit und einen vernünftigen
Lebensstandard einfordern, so wie dieses Rebellenland während des Tan-Krieges. Am nächsten Samstag, den 4. Dezember,
lädt Sinn Féin Euch alle ein, gemeinsam mit uns in Dublin gegen den Haushalt der Regierung und ihre verfehlten
ökonomischen und politischen Programme zu demonstrieren.
In der irischen Gesellschaft sind fundamentale Veränderungen nötig, nicht so weiter wie bisher, kein alter Wein in
neuen Schläuchen. Wir sind nun wieder bei Connolly und der Rückeroberung von Irlands ökonomischer Souveränität und
politischer Demokratie für die Menschen in unserem Land. Schaffen wir die Dynamik, um unser Land zu vereinen und
gemeinsam eine nationale, souveräne und demokratische Republik aufbauen.
Eine irische Republik der Menschen, von den Menschen und für die Menschen.
Ja, es gibt einen besseren Weg. Wir werden ihn in der nationalen Republik finden, die ihre Souveränität bewahrt und
verteidigt und alle ihre Bürgerinnen und Bürger gleichermassen respektiert.
Ar aghaidh linn le cheile i dtreo na Poblachta (Vorwärts zur Republik)."
ENDE
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Switch to English language: read more >> Original in englischer Sprache: Sinn Féin 28. November, 2010 Siehe auch: An Phoblacht, Dec 2010 >> Übersetzung: Uschi Grandel (Anmerkungen in Klammern) Die Zeit des Tan-Krieges beschreibt der Film von Ken Loach: "The Wind that Shakes the Barley" weiterlesen >> |
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