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Für eine neue Republik

10.9.2011 | Uschi Grandel (aus Belfast)

Sinn Féin will ein Irland, das "den Menschen dient und nicht den Bankern", so eröffnete Martin McGuinness, Sinn Féin Mitglied und Deputy First Minister der nordirischen Regionalregierung, den Parteitag.

Unter dem Motto »Für eine neue Republik« oder "I dTreo Poblacht Nua", wie diese Losung in irischer Sprache heißt, diskutierte die irische Linkspartei Sinn Féin am Wochenende auf ihrem Parteitag im nordirischen Belfast ihre politische Strategie. Parteiführung und Delegierte machten dabei klar, daß ihr Ziel eines vereinigten Irlands keinesfalls nur die territoriale Wiedervereinigung der heutigen Republik Irland mit dem Norden beinhaltet, sondern die politische und soziale Umgestaltung des Landes. Die 1920 von Großbritannien erzwungene Abspaltung Nordirlands führte dort zu einem Einparteienstaat pro-britischer Unionisten, die als Herrschaftsmittel die Spaltung der Bevölkerung in loyale pro-britische Protestanten und illoyale irische Katholiken durchsetzten. Im Süden hatte die Spaltung Irlands seinerzeit die Herrschaft einer konservativen katholischen Elite zementiert.

Der Parteitag war sich einig darin, daß die katastrophale Wirtschaftslage, in der sich die Republik Irland befindet, Folge der Politik der vergangenen Jahre ist. Auf der einen Seite stünden Geschenke an multinationale Konzerne, auf der anderen Seite die Kürzungen zu Lasten der einheimischen Wirtschaft, sowie im Bildungssystem, Gesundheitswesen und Wohnungsbau. Die Krise des Finanzsystems führte zu einem dramatischen Anwachsen der Arbeitslosigkeit. Für den Kampf dagegen habe die Regierungskoalition jedoch gerade einmal 40 Millionen Euro übrig, kritisierte eine Delegierte. Die etwa 400 Arbeitsplätze, die damit entstehen könnten, würde die durch Arbeitslosigkeit erzwungene Emigration junger Menschen nicht länger als drei Tage aufhalten können.

Auch der »Rettungsschirm« und die von EU und IWF verordnete Sparpolitik wurden vom Parteitag scharf abgelehnt. Es sei zynisch, wenn Irlands langer Kampf endlich zur Unabhängigkeit von Westminster führe, nur um die Souveränität an Brüssel, Frankfurt/Main und Berlin abzugeben. Notwendig sei, dass die Menschen in Irland das Heft selbst in die Hand nehmen, dass die rigide Sparpolitik abgelöst wird durch eine Politik des gezielten Aufbaus und dass kämpferische Gewerkschaften dafür sorgen, die Rechte der Beschäftigten zu verteidigen.

Die Partei ist gut aufgestellt. In Nordirland ist Sinn Féin mittlerweile stärkste Partei und stellt mit Martin McGuinness einen der beiden gleichberechtigten Premierminister der nordirischen Regionalregierung. In der Republik Irland verdreifachte sie bei den letzten Wahlen die Zahl ihrer Abgeordneten und ist nun mit etwa 15 Prozent die führende Oppositionspartei im Dubliner Parlament.

Der Parteitag war deshalb auch eine Demonstration von Stärke und Zuversicht. Zum ersten Mal in der über hundertjährigen Parteigeschichte wurde er in Belfast abgehalten. Die Rede von Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams wurde vom öffentlich-rechtlichen irischen Fernsehen RTE live übertragen. Als er in den 60er Jahren Mitglied von Sinn Féin wurde, sei die Partei noch verboten gewesen, berichtete Adams am Samstag abend vor den über 2000 Delegierten und Gästen. Aber er erinnert auch an das Belfast des progressiven Protestantismus. Die "Vereinigten Iren" gründeten sich in Belfast Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Ziel einer gerechten Gesellschaft und der Loslösung von Großbritannien. Auf diese historischen Wurzeln geht die Bezeichnung Sinn Féins als irisch-republikanische Partei zurück.

Die Demokratisierung des nordirischen »Semi-Staates« wird von den Delegierten als Erfolg gesehen, sei aber noch lange nicht beendet. Ein wichtiges Thema ist die Aufarbeitung der Vergangenheit. So war allein das British Parachute Regiment der britischen Armee, das 1972 am »Bloody Sunday« 14 Zivilisten ermordete, zwischen 1971 und 1973 für 28 weitere Morde verantwortlich, deren Umstände bis heute nicht aufgeklärt wurden. Sinn Féin fordert deshalb eine internationale und unabhängige Wahrheitskommission.

Jahrzehntelange internationale Solidarität und enge Freundschaft verbindet Sinn Féin mit der baskischen Unabhängigkeitsbewegung, mit dem Kampf der Palästinenser um einen eigenen Staat und mit dem südafrikanischen ANC. Vertreter der Bewegungen adressierten den Parteitag und erhielten von den Delegierten stehenden Beifall.


Erstveröffentlichung:

Junge Welt, 12.9.2011 (in leicht gekürzter Form) weiterlesen >>


Fotos
(Sinn Féin, 2011):

Waterfront Hall in Belfast: der Sinn Féin Ard Fheis (Parteitag) fand das erste Mal in der Geschichte Sinn Féins in Nordirland statt.


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