Eindrücke vom Sinn Féin Ard Fheis in Dublin
Uschi Grandel, Dublin, 7. März 2010
Der jährliche Ard Fheis (Parteitag) der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin fand am 5. und 6. März 2010
unter dem Titel "Fostaiocht - Cothroime - Comhionannas - Aontacht (Arbeitsplätze - Fairness - Gleichheit - Einheit)" in
Dublin statt. Als roter Faden zog sich die Forderung nach grundlegender Veränderung der irischen Gesellschaft durch
den Parteitag. Sinn Féin Präsidenten Gerry Adams adressierte in seiner Rede die hierfür nötigen Voraussetzungen:
Sinn Féin Präsident Gerry Adams: "Veränderungen möglich machen"
"... Wenn Irland jemals Führung benötigt hat, dann ist es jetzt ... Führung, die sicherstellt, dass kein Banker
eine Familie aus ihrem Heim wirft. Dass kein Bauernhof gegen den Willen der Bewohner zwangsversteigert wird.
Dass Arbeiter nicht zu Opfern werden ... Aber lasst mich klar sagen: ich rede nicht über Führer die aus
irgendwelchen Höhen zu uns heruntersteigen. Ich rede über alle, die bereit sind, Stellung zu beziehen:
gegen Korruption, gegen Gier und Unrecht. Jede Frau, jeder Mann, jede Bürgerin und jeder Bürger, alle, die
Stellung beziehen, führen. Jeder kleine Akt des Widerstands, der Rebellion, des Protests trägt dazu bei,
Veränderungen möglich zu machen.
Die meisten Kämpfe werden nicht durch einzelne Aktionen gewonnen. Auch nicht durch charismatische Führer. Auch
wenn die eine Rolle spielen. Gewonnen werden Kämpfe durch Menschen, die selbst handeln, so dass sich aus der Häufung
dieser Handlungen irreversible Veränderung ergibt. Das war so bei den Suffragetten, in der Anti-Apartheid-Bewegung.
Es war so, als Rosa Parks ihren Sitz im Bus nicht hergab und es ist auch in Irland so ... Unsere ganze Geschichte
ist hierfür ein Beispiel. Zuhause. Auf der Straße. In einsamen Bergtälern. In den Gefängnissen. Dieser rote Faden
zieht sich durch die Geschichte der Menschheit. Das ist es, was überall auf der Welt passiert ..."
"Für uns aufstehen. Und für andere."
Herzlich begrüßt er die internationalen Gäste:
"... Repräsentanten vieler dieser Kämpfe sind heute abend an unserer Seite. Cead mile Failte romhaibh an alle unsere
Gäste! Ganz besonders an unsere Freundinnen und Freunde aus dem Baskenland, aus den USA und aus Kanada, aus Kuba,
aus Südafrika, agus go hairithe ar n-anam und aus Palästina. Alle diese Kämpfe zeigen die andauernde Macht des
menschlichen Geistes auf der Suche nach Freiheit und Gerechtigkeit. Freiheit und Gerechtigkeit sind möglich, wenn
wir sie wirklich erreichen wollen ..."
Gerry Kelly, über Jahrzehnte irisch-republikanischer Aktivist und derzeit Staatssekretär in der nordirischen
Regionalregierung, sprach über die Bedeutung internationaler Solidarität. Kattalin Madariaga, die Vertreterin
der baskischen abertzalen Linken, war bis zum Verbot ihrer Partei Abgeordnete des
Parlaments der Autonomen Baskischen Gemeinschaft. Sie überbrachte eine Botschaft von Arnaldo Otegi, der wegen der
politischen Friedensinitiative der baskischen Linken seit Oktober 2009 in einem spanischen Gefängnis sitzt. Die
Sinn Féin EU-Parlamentarierin Bairbre de Brun sprach zur Lage in Palästina. Die deutsche übersetzung aller drei
Reden findet sich weiter unten im Text:
>> Gerry Kelly, Sinn Féin: "Nichts ist im Befreiungskampf unmöglich"
>> Kattalin Madariaga, baskische abertzale Linke: "Eine Botschaft von Arnaldo Otegi"
>> Bairbre De Brun, Sinn Féin: "Solidarität mit dem palästinensischen Volk"
Die Rede von Gerry Adams ist in deutscher übersetzung und
im englisch-sprachigen Original ebenfall auf unserer Webseite zu finden.
Gerry Kelly: "Nichts ist im Befreiungskampf unmöglich"
Unser Befreiungskampf hat viele Phasen durchlebt und Windungen und Wendungen in diesen Phasen. Unsere Geschichte der
Besatzung und Unterdrückung reicht viele Jahrhunderte zurück. Dieser lange Konflikt, der über drei
Jahrzehnte hinweg bewaffnet geführt wurde, führte dazu, dass mindestens zwei Generationen der Menschen in Irland
den hohen persönlichen Preis des Kampfes für Freiheit und Unabhängigkeit kennen.
Wegen dieser Erfahrungen ist Sinn Féin eine internationalistische Partei. Wir verstehen das Leid, das Konflikte überall
auf der Welt mit sich bringen. Als wir Hilfe nötig hatten, während des Konflikts und auch während des
derzeitigen Friedensprozesses, kamen und kommen uns Internationalisten zu Hilfe. Mit Rat und praktischer Hilfe.
Die Völker, die weltweit unter Unterdrückung leiden, verstehen das Leiden anderer in einer ähnlichen Situation.
Es ist eine der grossen Eigenschaften von Freiheitskämpfern, dass sie immer, selbst mitten im schlimmsten Chaos in
ihren eigenen Ländern oder in ihrem persönlichen Leben - mehr verstehen und Zeit finden, anderen Genossinnen
und Genossen und Gemeinschaften zu helfen.
Ich möchte im Namen aller irisch-republikanischer Aktivistinnen und Aktivisten denjenigen, die uns in unserem Kampf
zu Hilfe gekommen sind, herzlich danken. Wie auch immer Ihr uns geholfen habt - und es gab viele verschiedene Arten zu
helfen, Ihr seid damit Teil unseres Kampfes geworden.
Im Gegenzug hoffe ich, dass die Hilfe, die wir Euch im Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit gaben, auf eine kleine
Weise hilfreich war. Unsere Aktivistinnen und Aktivisten haben viele Konfliktherde besucht, darunter das Baskenland,
Irak, Sri Lanka, Zypern und die Philipinen. Nicht, weil wir die Antworten haben oder weil unser Verhandlungsprozess
anderen Kämpfen übergestülpt werden kann, sondern weil wir etwas über Irland und Großbritannien zu erzählen haben und
wenn Erfahrungen dabei sind, die anderen bei der Lösungssuche helfen, dann ist es wert, sie weiterzugeben.
Laßt mich am Schluss noch folgendes sagen: über Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte haben diejenigen, die den
Republikanismus vernichten und die Iren demoralisieren wollten, immer wieder behauptet, "das irische
Problem ist nicht lösbar". Das war die britische Mantra auf der internationalen Bühne. Dazu zwei Dinge:
erstens gab es kein irisches Problem. Es gibt ein britisches Problem in Irland. Zweitens, und am allerwichtigsten
für diejenigen, die für Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit kämpfen. Es gibt keine unlösbaren Probleme, nichts
ist im Befreiungskampf unmöglich.
Ihr seid hier alle sehr willkommen. Danke für Euere Zeit, ich hoffe, unser Ard Fheis wird für Euch interessant und
wertvoll sein.
Kattalin Madariaga: "Eine Botschaft von Arnaldo Otegi"
Mein Dank an die Vorsitzende, dass Sie mir das Wort erteilen. Go raibh míle maith agat. Milesker.
Zuerst möchte ich im Namen der baskischen patriotischen Linken dem Ard Chomhairle und Sinn Féin aufrichtig danken,
dass ich die Gelegenheit bekomme, auf diesem Ard Fheis 2010 zu sprechen. Ich bringe besondere Grüße von all den
Genossinnen und Genossen, die in den letzten Jahren Irland besucht haben und sich derzeit in spanischen Gefängnissen
befinden. Stellvertretend für sie: Agur bero bat!! Beir Bua comrades!!
Ich habe ausserdem die Botschaft eines Mannes bei mir, den Ihr hier sehr gut kennt und der derzeit ebenfalls in
einem spanischen Gefängnis sitzt, eine Botschaft von Arnaldo Otegi:
"A chara, lieber Gerry (beide), Martin, Bairbre, Alec, Aengus, Sheanna, Catriona und alle Mitglieder des
Ard Chomhairle und Delegierte agur bero bat aus den Gefängnissen des spanischen Empires.
Wie Ihr wisst, hat die abertzale Linke während der letzten Monate die Strategie diskutiert und definiert, die wir
benötigen, um am besten unser Ziel, die nationale Unabhängigkeit, zu erreichen. Die Strategie nutzt die derzeitigen
Möglichkeiten und wird unsere abertzale, patriotische Agenda weiterbringen. Für diese Diskussion, die die abertzale
Linke in ganz Euskal Herria (Baskenland) intensiv führte, waren die Lehren aus dem irischen Friedensprozess sehr
wertvoll. Die Einsicht, dass Veränderungen durch einen demokratischen Prozess erfolgen müssen, eine
Verpflichtung auf ausschliesslich politische und demokratische Methoden, sowie die Notwendigkeit eines
Verhandlungsprozesses und Dialogs aller politischen Kräfte unter Einhaltung der Mitchell-Prinzipien stammen aus
dem erfolgreichen Prozess, den irische Republikaner die letzten 16 Jahre und länger verfolgen. Das erfolgreich
geschlossene Hillsborough-Abkommen zeigt aufs Neue, dass der Prozess funktioniert.
Die Antwort der spanischen Regierung auf die Diskussion und die Initiative der abertzalen Linken war wie immer
Unterdrückung und Gewalt. In Wahrheit zeigt dies die politische Schwäche der Positionen der spanischen Regierung.
Es zeigt, dass die spanische Regierung Angst vor unseren politischen Standpunkten und unseren politischen Vorschlägen
hat. Gegen unsere Initiative kann niemand politisch argumentieren. Niemand kann sagen, sie sei unsinnig oder konträr
zu internationalen Rahmenbedingungen. Die Regierung hat Angst vor einem demokratischen Szenario, in dem die Mehrheit der
Menschen ihre Zukunft demokratisch entscheiden kann. Sie benutzt als Argument die Gewalt, weil sie nicht die Gewalt
des Arguments hat.
Aber wir sind fest entschlossen, eine echte Möglichkeit zu finden, um für die baskische Bevölkerung eine
Gegenwart und eine andere Zukunft zu schaffen. Es gibt keine vernünftige Alternative zum demokratischen Prozess, um
den Konflikt zu lösen. Ich möchte Euch unsere Entschlossenheit übermitteln, diesen Konflikt durch einen
demokratischen Prozess und ausschliesslich politische und demokratische Methoden, sowie durch politischen Dialog
und durch Verhandlungen der Parteien zu überwinden. Die Lösung des Konflikts aus einer demokratischen Perspektive
ist nicht nur wünschenwert, sondern auch machbar. Dafür treten wir ein und wir werden eine wirksame nationale
Strategie verfolgen, um dies zu ermöglichen.
Deshalb möchte ich an erster Stelle an breite Kreise der abertzalen Bevölkerung in unserem Land appellieren, sich
zu vereinigen und Stärke zu zeigen, um den demokratischen Prozess voran zu bringen. Die Internationale Gemeinschaft
rufe ich auf, uns beim Aufbau eines friedlichen, fairen, stabilen und dauerhaften demokratischen Szenarios in unserem
Land zu helfen. Wir wissen, dass der Tag kommen wird, die patriotische Linke zählt auf die Unterstützung der
Mehrheit der Bevölkerung, um ein linkes Baskenland in Europa aufzubauen. Wer hat Angst vor dem Willen der baskischen
Bevölkerung? Wir nicht!
Ausserdem möchte ich Euch viel Glück auf Euerem Weg zu einer vereinigten, gälischen, demokratischen, irischen
Republik wünschen. Ihr könnt auf Euerer Reise auf unsere uneingeschränkte Unterstützung zählen."
Arnaldo Otegi, aus einem Gefängnis des spanischen Empires
Genossinnen und Genossen, ich möchte mit den Worten des indischen Patrioten Pandi Nehru schliessen: "Vor vielen
Jahren hatten wir ein Rendevouz mit dem Schicksal, und nun kommt die Zeit, dass wir unser Versprechen einlösen, nicht
vollständig oder umfangreich, aber sehr substanziell. Ein Moment kommt, der selten in der Geschichte ist, in dem wir
aus dem Alten zu Neuem übergehen, wenn ein Zeitalter endet und wenn die Seele einer Nation, lang unterdrückt, ihren
Ausdruck findet."
Bairbre de Brun: "Solidarität mit dem palästinensischen Volk"
Gaza ist im Belagerungszustand, abgeschnitten von der Aussenwelt. Die West Bank wird Tag für Tag in Stücke
geschnitten und damit die letzte Hoffnung auf einen lebensfähigen Palästinenserstaat und eine zwei-Staaten-Regelung
zerstört. Ich bin erst kürzlich aus Gaza zurückgekehrt, und war schon einmal kurz nach der israelischen
Militäroffensive des letzten Jahres dort. Einige Trümmer sind inzwischen weggeräumt, aber kaum etwas wurde getan,
um die zerstörten Häuser wiederaufzubauen. Es gibt immer noch keine Verantwortung für die Toten, Verwundeten
und die Zerstörung und es war den Menschen in Gaza nicht möglich, ihr Leben wieder aufzubauen.
Es muss Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter geben, damit Fortschritt möglich wird. Israel muss zudem die
Kolonialisierung der West Bank beenden. Die tägliche Errichtung von Siedlungen, die Zerstörung palästinensischer
Häuser, die schwere Beschneidung der Bewegungsfreiheit der Palästinenser und das Ausbleiben jeglichen Fortschritts
beim Wiederaufbau Gazas, hinterlässt bei den Palästinensern das Gefühl, die internationale
Gemeinschaft habe sie aufgegeben.
Die gegenwärtige Situation ist äußerst gefährlich für die Zukunft eines Friedensprozesses, für palästinensische
Einheit und für Versöhnung. Die Belagerung muss aufhören und die Empfehlungen des Goldstone-Berichts müssen
umgesetzt werden, damit ein inklusiver und gerechter Verhandlungsprozess beginnen kann.
Eine übersicht über weitere am Parteitag diskutierte Themen, über Anträge und Redebeiträge der Delegierten
findet sich in englischer Sprache auf der Webseite von Sinn Féin:
>> Sinn Féin Webseite - Ard Fheis 2010
übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 13. März 2010 (Erläuterungen in Klammern)