Home Info Nordirland / Baskenland

NORDIRLAND:

Themen >>

Video / Audio >>


BASKENLAND:

Archiv >>

Video / Audio >>


Archiv >>



Besuch bei "Mister Mayor"

04.12.2002 | Peter Nonnenmacher (Belfast), Frankfurter Rundschau

Alex Maskey, Belfasts erster republikanischer Oberbürgermeister, und seine Mission

Drüben in Stormont, auf dem Parlamentshügel im Osten Belfasts, mag Funkstille herrschen, seit die britische Regierung im Oktober die Selbstverwaltungsgremien Nordirlands auf Eis legte. Ein paar Meilen westlich aber, im Herzen der Hauptstadt Ulsters, wird weiter öffentlich und lautstark um den politischen Prozess gerungen, der der Provinz fünf Jahre lang relativen Frieden beschert hat:

Im Rathaus von Belfast residiert ein Mann, der die aktuelle Problematik der Protestanten in Nordirland förmlich personifiziert. Zugleich ist er ein Beispiel für die mögliche Lösung des nordirischen Konflikts, indem er langwährende Gegensätze zu überwinden sucht.

Alex Maskey, 50-jähriger Sinn-Fein-Politiker mit Lord-Mayor-Kette um den Hals, ist immerhin der erste republikanische Oberbürgermeister in der Geschichte der Stadt. Seinen protestantischen Mitbürgern verursacht seine Anwesenheit in diesem Heiligtum des Unionismus arges Magengrimmen. Vielen Katholiken aber gibt sein Aufstieg Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf neue Möglichkeiten.

Was es für Belfast bedeutet, einen Sinn-Fein-Kämpen zum Stadtoberhaupt zu haben, ermisst man schon auf dem Weg zu Maskeys Amtszimmer. Die kühle Atmosphäre des neoklassizistischen Rathauses, das nüchterne Selbstbewusstsein der großen Treppe atmen den Geist protestantischer Dominanz, die schon so lange charakteristisch ist für diese Stadt.

Im Korridor, der zum Sitz des Bürgermeisters führt, begleitet eine endlose Reihe fein gerahmter Porträts unionistischer Würdenträger den Besucher: Nur ein einziges Mal vor Maskey, im Umbruchs-Jahr 1997, schob sich ein Katholik in die Protestanten-Linie:

Alban Maginness, der für die moderaten katholischen Sozialdemokraten eine Bresche in die konfessionelle Mauer schlug, war für die örtlichen Protestanten schon schwer genug zu verkraften. Alex Maskey aber - der gedrungene, streitlustige Repräsentant der irischen Republikaner, Sohn katholischer Hafenarbeiter, ehemaliger (erfolgreicher) Boxer, interniert in den siebziger Jahren wegen angeblicher IRA-Aktionen, in den achtziger Jahren mehrfach Zielscheibe loyalistischer Mordanschläge - dieser Alex Maskey ist eine echte Herausforderung für die früheren Herren Ulsters, für die die IRA stets der Todfeind des Protestantismus, der Totengräber eines britischen Nordirland war.

"Ich verstehe ja", meint Maskey achselzuckend, "dass es vielen Unionisten schwer fällt, die neuen Realitäten zu akzeptieren. Da haben sie nun nicht nur ihre angestammte Mehrheit im Belfaster Gemeinderat eingebüßt, sondern sehen an der Spitze der Kommune einen waschechten Republikaner stehen, noch dazu einen, den sie selbst zu einem Schreckgespenst, zum harten Mann der republikanischen Bewegung hochstilisiert haben."

Seit Ewigkeiten sei der Belfaster Stadtrat "einer ausschließlich unionistischen Tagesordnung" gefolgt, sagt Maskey. Nun, konfrontiert mit Bevölkerungs-Umschichtungen und Sinn-Feins Wahlerfolgen, wirke ein Oberbürgermeister Maskey für die Unionisten wie "ein Schock".

In der Tat hatte sich ein Klagegeheul erhoben, als Maskey bei der alljährlichen Wahl zum Lord Mayor von seinen zur stärksten Fraktion angewachsenen Republikanern sowie von den Sozialdemokraten und der kleinen unionistisch-versöhnungswilligen Allianz-Partei ins Amt gehoben wurde. Nicht nur weigerten sich die großen unionistischen Parteien, ihm einen Stellvertreter zur Seite zu geben; die protestantischen Stadträte zogen, ihre Ablehnung demonstrierend, aus der Kammer aus. "Nach fünf Minuten kamen sie freilich wieder zurück", amüsiert sich Alex Maskey heute darüber.

"So ist es schon seit Jahren gewesen, hier in Belfast. Erst erklären die Unionisten feierlich, sie würden sich einer Zusammenarbeit verweigern, dann tun sie es trotzdem, und oft ist die Zusammenarbeit gar nicht übel." Glückwünsche einzelner protestantischer Kollegen habe er im privaten Rahmen erhalten: "Ein Teil der Stadträte hat sich daran gewöhnt, dass es uns gibt, und dass es uns auch in Zukunft geben wird." Ein anderer Teil der Protestanten habe sich katholischer, "nationalistischer" Gleichberechtigung freilich immer "starrköpfig widersetzt": Was damit zu tun habe, dass die Unionisten den Prozess der Verständigung beharrlich als negative Erfahrung begriffen.

"Immer sagt man der unionistischen Bevölkerung, dass die Nationalisten alles bekommen, und die Unionisten nichts, dass die Unionisten immer nur in allem nachgeben." In der Tat sähen sich die Protestanten heute einer wachsenden, einer selbstbewussteren katholischen Bevölkerung gegenüber: "Damit müssen sie sich abfinden. Wir können keine Zweitklassigkeit mehr akzeptieren. Wir verlangen Gleichberechtigung. Wir haben das Recht, für unsere politischen Ziele zu arbeiten. Das ist alles, was wir verlangen."

Viel, findet Maskey, sei das nicht. Für die meisten Protestanten aber ist es viel zu viel. Dass Maskey den (britischen) Traditions-Titel des "Lord Mayor" ignoriert und sich lieber schlicht "Mister Mayor" nennen lässt, ist aufrechten Unionisten schon Ärgernis genug. Dass "Mister Mayor" aber jüngst die irische Trikolore in sein Amtszimmer bringen ließ und diese den Besucher nun zur Linken des Kamins begrüßt - sozusagen als Komplementär-Signal zum Union Jack zur Rechten - das können sie Maskey nicht verzeihen.

Eine "abgrundtiefe Schande" sei es, dass erstmals in der Geschichte der Stadt "die Fahne einer ausländischen Macht" die Räume des Lord Mayor (verun)ziere, beklagten drei unionistische Vorgänger Maskeys die republikanische Entweihung. Republikaner hingegen halten es für "höchste Zeit", dass das Erbe beider Seiten an dieser historischen Stelle Berücksichtigung findet.

"Kein Bürgermeister dieser Stadt kann allzeit alle Leute repräsentieren, da wir eine ziemlich geteilte Bevölkerung hier haben", erklärt Alex Maskey seine Innovation in der City Hall. "Aber man kann versuchen, so viele Leute wie möglich zu repräsentieren, um so unsere Geschichte und unsere beiden Traditionen gleichermaßen anzuerkennen."

Nicht nur den eigenen Anhängern will Maskey das Gefühl vermitteln, in diese Geschichte verwoben zu sein, und als Teil einer bestimmten Tradition respektiert zu werden. Er wolle "die Lager-Grenzen überschreiten", um auch "die Leute auf der anderen Seite" zu erreichen, gelobt der Mayor. Das bedeutet nicht, dass sich das Sinn-Fein-Stadtoberhaupt bedenkenlos in militante protestantische Gebiete begeben oder auf der Shankill Road mit den Fußsoldaten der loyalistischen Brigaden und ihren Angehörigen Kaffee trinken könnte.

Auf anderer Ebene aber sucht der robuste Republikaner Zäune einzureißen, politisches Neuland zu beschreiten. In einer bemerkenswerten Geste lud er sich etwa zur Generalversammlung der Presbyterianischen Kirche ein, die ihrerseits die Gelegenheit zu "offenen Worten" nutzte. "Immerhin", meint Alex Maskey rückblickend, "bilden die Presbyterianer ein recht konservatives Element des hiesigen Establishments. Vielen muss es gegen den Strich gegangen sein, dass ich da war. Aber am Abend selbst haben sie sich wirklich anständig verhalten, und mich überwiegend willkommen geheißen."

Auf noch mehr Resonanz stieß Maskeys privater Gedenkakt am Krieger-Denkmal vor dem Rathaus, mit dem er nach Jahrzehnten republikanischer Feindseligkeit gegenüber der britischen Armee seine Mitbürger verblüffte. Der Gefallenen des Ersten Weltkriegs an der Somme und all der anderen Kriegstoten zu gedenken, bereite ihm "absolut keine Schwierigkeiten", beteuerte der Mayor nach seiner Schweigeminute, auch wenn die offiziellen Gedenkfeiern "der Reform" bedürften, um den Katholiken Nordirlands echte Beteiligung zu ermöglichen.

Ebenso überrascht wie misstrauisch verfolgten die Unionisten diesen unerwarteten Schritt. Anderthalb Jahrzehnte nach dem verheerenden Bombenanschlag der IRA auf das Krieger-Denkmal in der Stadt Enniskillen, bei dem elf Zivilisten ums Leben kamen, wissen viele Protestanten schlicht nicht, wie ernst sie Maskeys Verneigung vor den (britischen) Weltkriegs-Toten nehmen sollen.

Maskey hingegen hebt mit Stolz hervor, dass er Sinn-Fein und mit Sinn-Fein wohl auch die IRA zur Billigung seiner Aktion gewinnen konnte: "Das war, immerhin, ein großer Schritt für die Republikaner und Nationalisten dieser Insel."

Eine Welt liegt, gewiss, zwischen solchen Aktionen und den Zeiten bitterer und blutiger Fehde, die noch die frühen achtziger Jahre charakterisierten, als Alex Maskey einziger (und einsamer) Sinn-Fein-Repräsentant in Belfast war. Damals, als die bewaffneten Republikaner einen gnadenlosen Kampf gegen die Staatsmacht führten, sah sich Maskey als gewählter politischer Vertreter seiner Partei nicht nur im Rathaus isoliert, von unionistischen Kollegen beschimpft und aus wichtigen Sitzungen ausgeschlossen - er war auch, insgesamt dreimal, Ziel loyalistischer und britischer Mordanschläge, und entkam mehrfach nur knapp dem Tod.

Wie kann er sich nun heute mit einem politischem Gegner auseinander setzen, der ihm einst nach dem Leben trachtete und den die Republikaner selbst mit allen Mitteln bekämpften? "Nun, ich sage immer, man darf diese Dinge nicht persönlich nehmen. Die Leute, die versucht haben, mich umzubringen, haben mich nicht als Menschen gekannt. Für die war ich nur eine Bedrohung ihrer politischen Lebensart." Mittlerweile, meint Alex Maskey, müssten Brücken geschlagen, müssten alte Ressentiments überwunden werden. "Vor allem in Belfast. Belfast muss endlich mit sich selber Frieden schließen."

Wie aber kann diese Stadt, wie kann Nordirland insgesamt endlich Frieden finden, wenn das Misstrauen zwischen den Fronten durch den Fortbestand paramilitärischer Verbände auf beiden Seiten genährt wird? "Das wirkliche Problem ist der Führungsmangel bei den Unionisten", erklärt Maskey. "Überall stößt man auf gefährliche Emotionen, und die loyalistischen Verbände sind fast jeden Tag im Einsatz. Aber wer wagt es auf unionistischer Seite, den Weg zu weisen, den notwendigen Wandel durchzusetzen?"

Und auf republikanischer Seite? Hält Mayor Maskey es für denkbar, dass die IRA sich, wie von London und den Unionisten gefordert, auflöst? "Was mich betrifft, so hat die IRA um bestimmte Ziele gekämpft. Wenn man diesen Zielen anders näher kommt, braucht es ja keine IRA mehr." Die Trikolore im Amtszimmer des Oberbürgermeisters spricht ihre eigene Sprache. "Die IRA ist erhebliche Risiken eingegangen im Laufe dieses Prozesses. Für mich ist wichtig, dass die IRA diesen Prozess bejaht und unterstützt, ihn vollkommen unterstützt. Von da, denke ich, gibt es keinen Weg zurück."


[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 03.12.2002 um 21:28:29 Uhr
Erscheinungsdatum 04.12.2002


Foto: BBC

Zur Webseite