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Analyse zum Bericht des Polizeiombudsman über das Bombenattentat von Omagh:

Überraschung? Welche Überraschung?

10.12.2001 | Jim Gibney, Sinn Féin (Irish Republican News)

So bekommen nun die Angehörigen derer, die durch die Bombe in Omagh das Leben verloren, die brutale Macht der RUC "Special Branch" (Sondereinheit der nordirischen Polizei RUC) zu spüren. Die ungeheuer große Zahl an Opfern unterstreicht, um was für eine verkommene und berechnende Gruppe von Personen es sich bei der Special Branch handelt.

Die Angehörigen der Opfer von Omagh gehören damit zu den Hunderten von Familien, deren Leben durch den verdeckt und offen geführten schmutzigen Krieg zerstört wurde, den die RUC Einheit Special Branch während der letzten dreißig Jahre geführt hat.

Selbstverständlich muss klar gesagt werden, dass diejenigen für die Toten in Omagh verantwortlich sind, die die Bombe geplant und gezündet haben.

Wir müssen inmitten der Kontroverse ausserdem bedenken, dass insgesamt neunundzwanzig Menschen ums Leben gekommen sind. Und obwohl die Auseinandersetzung um die Enthüllungen nicht nur legitim, sondern notwendig ist, müssen wir daran denken, dass die ganze Angelegenheit eine enorme menschliche Tragödie ist.

Der Kern der derzeitigen Auseinandersetzung ist, warum die Special Branch sich so passiv verhielt, obwohl es zwei Warnungen gab, deren minimaler Gehalt war, dass "etwas" Gewalttätiges für den 15. August 1998 in Omagh geplant war. Um die Beweggründe der Special Branch in Bezug auf Omagh zu verstehen, wird in den Medien immer wieder von "Versagen" gesprochen, d.h. die "Branch" versagte durch ihr Versäumnis, die Information an den lokalen RUC-Kommandeur weiterzugeben, das Konzept der RUC "versagte" in Bezug auf die Menschen in Omagh, die interne Kommunikation "versagte", die RUC-Führung "versagte".

Die Wahrheit in der Welt der RUC Einheit Special Branch ist natürlich eine andere. Es war kein Versagen gegenüber den Menschen in Omagh. Damit will ich nicht sagen, dass sie sich angesichts der ungeheueren Opfer höhnisch die Hände rieben. Aber es waren kein "Versagen". Ihr Verhalten angesichts der Information, die sie im Vorfeld der Bombe über eine bevorstehende Aktion in Omagh hatten, ist konsistent mit der Art und Weise, wie sie in anderen Situationen mit den Hinweisen von Informanten umgingen.

Sie begutachteten die Informationen über Omagh auf die gleiche Weise, wie sie alle Informationen prüfen. Wie kann sie von Nutzen sein, um das politische Projekt der Special Branch voranzubringen? Vor dem Waffenstillstand der IRA 1994 und 1997 wurden alle Informationen daraufhin geprüft, wie sie zu einem Schlag gegen (irische) Nationalisten und Republikaner verwendet werden könnten. Das waren die Kriterien, die die "Branch" benutzte, als sie die Omagh Informationen erhielt.

Ist es denn so abwegig, dass die "Branch" auf Grund der Informationen zu der Vermutung hätte kommen können, dass eine Bombe für Omagh geplant war? Schliesslich hatte die RIRA (Real IRA, kleine republikanische Gruppe, die den Friedensprozess ablehnt) unmittelbar vor Omagh in rascher Folge grosse Bomben in mehreren Städten Nordirlands gelegt. Ein Teil der Information, die sie von einem Informanten mit Decknamen Kevin Fulton erhielten, besagte, dass eine grosse Bombe hergestellt wurde.

Die Special Branch sind keine passiven Empfänger von Informationen. Sie nutzen jedes kleine Detail, das sie in die Finger bekommen, für ihre Zwecke. Ein kurzer Blick auf die Umstände, unter denen der Rechtsanwalt und Menschenrechtler Pat Finucane (1989) ermordet wurde, belegt dies auf dramatische Art und Weise. Zum Zeitpunkt, als Pat (von der UDA) ermordet wurde, war der Chef der UDA in Westbelfast, Tommy Little, Informant der Special Branch, genauso wie derjenige, der die Waffe für den Mord bereitstellte, William Stobie, der selbst gestern erschossen wurde. Informant war auch der Mann, Brian Nelson, der die Ermordung von Pat plante und auch derjenige, der Pat dann tatsächlich erschoss. Die Fingerabdrücke der RUC Einheit Special Branch finden sich überall in Pats Ermordung.

Die Special Branch hat eine Stärke von ca. achthundert Mitgliedern, einem Zehntel der RUC. Ihre Fangarme reichen in viele dunkle Winkel. Jeder, der sich traut, sich ihnen in den Weg zu stellen, verliert für gewöhnlich.

Dr. Ervine, zuständig für die RUC-Kaserne Castlereah, in der Untersuchungshäftlinge, meist Republikaner, systematisch gefoltert wurden, griff diese Praktiken 1978-79 an. Er zahlte teuer dafür. Die Special Branch liess öffentlich durchsickern, dass ein Britischer Soldat die Frau des Doktors vergewaltigt habe und Ervine's Anschuldigungen aus Wut darüber erfolgten, dass der Vergewaltiger straflos blieb.

John Stalker, ein weithin respektierter und langgedienter Britischer Polizist, wurde eingesetzt, um die Todesschussoperationen der RUC gegen die IRA zu untersuchen. Die Special Branch setzte diese Taktik in den 80er Jahren ein. Er beendete die Untersuchungen nicht und wurde nicht weiter als Polizist eingesetzt, nachdem die Special Branch den Medien Berichte über seine angebliche Verstrickung in die organisierte Kriminalität zugespielt hatte.

Colin Sampson war Stalkers Nachfolger. Sein Bericht wurde nie veröffentlicht. Immerhin empfahl er, eine Anzahl von Mitgliedern der RUC strafrechtlich zu verfolgen. Der damalige Britische Generalstaatsanwalt Patrick Mayhew, sicherte den Betroffenen Anonymität und Straffreiheit zu und sagte im Britischen Unterhaus, eine Strafverfolgung "sei nicht im öffentlichen Interesse".

In ähnlicher Weise kam John Stevens hierher, um drei Fälle von Zusammenarbeit der RUC mit loyalistischen Todesschwadronen (Collusion) zu untersuchen. Keiner seiner Berichte wurde je veröffentlicht. Sein Büro mit den Ermittlungsergebnissen wurde auf mysteriöse Art und Weise niedergebrannt. Das Büro lag in einer militärisch geschützten RUC-Kaserne. Immerhin verhaftete er Brian Nelson. Ironischerweise war es wiederum Patrick Mayhem, der in seiner Rolle als Generalstaatsanwalt mit Brian Nelson einen Deal aushandelte als Dank für dessen Schweigen über seine Agentenrolle während des Gerichtsverfahrens.

Die Kontrolle loyalistischer Paramilitärs durch die "Branch" ist ein offenes Geheimnis. Viele Bücher wurden darüber bereits geschrieben. Die dort genannten loyalistischen Agenten schliessen unter anderem Robin Jackson, R J Kerr, Billy Wright, Brian Nelson, Johnny Adair ein. Alle waren an Dutzenden von Morden an Katholiken beteiligt.

Die "Branch" hatte auch ihre Hand im Spiel, als es darum ging, das Wachstum beliebter politischer Organisationen wie der PUP (mit Verbindungen zur UVF) und der UDP (mit Verbindungen zur UDA) zu bremsen. Ihr Agent, Billy Wright, spaltete die UVF, gründete die LVF, startete eine Fehde mit der UVF und fuhr fort, Katholiken zu ermorden. Die "Branch" deckte die UDA beim Aufbau ihres kriminellen Drogensyndikats. Die UDA startete unter Führung eines weiteren Agenten, Johnny Adair, eine blutige Fehde mit der UVF im Belfaster Bezirk Shankill.

Ich beende diesen flüchtigen Blick auf die Special Branch mit dem Morgen, an dem ein weiterer ihrer Agenten, William Stobie, erschossen wurde - ein Mann, der in die Ermordung Pat Finucanes verwickelt war - und lasse die Leser mit den folgenden ernüchternden Gedanken alleine.

Ist es nicht passend, dass am selben Tag, als die Ombudsfrau ihren vernichtenden Bericht über die RUC Einheit Special Branch veröffentlicht, dieser Mann umgebracht wird (Stobie beschuldigte die Special Branch, nicht auf seine Informationen bezüglich des Anschlags auf Pat Finucane reagiert zu haben)? Die Medien der ganzen Welt haben nun zwei konkurrierende Stories statt einer. Wenn ich Leiter der Special Branch wäre, würde ich heute Nacht besser schlafen als gestern.


Original in englischer Sprache
Irish Republican News, Dec 10, 2001 read more >>


Übersetzung:
Uschi Grandel, 16.12.2001
Anmerkungen in Klammern dienen der Erläuterung

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