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Augenzeugenbericht vom 1. Tag der israelischen Bombenangriffe auf Gaza:

Pablo Picasso hat mit seinem Bild "Guernica" gegen die Bombardierung der baskischen Stadt Gernika (spanisch: Guernica) und seiner Zivilbevölkerung während des spanischen Bürgerkriegs protestiert und damit das wohl bekannteste Antikriegsbild geschaffen. Vittorio Arrigoni, italienischer Staatsbürger und Mitglied der Menschenrechtsorganisation International Solidarity Movement (ISM), lebt in Gaza. Für ihn waren die Bombardements auf Gaza, die Stadt mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt, als ob "(bildlich gesprochen) Gernika (erneut) Wirklichkeit werden würde".

"Gernika in Gaza"

von Vittorio Arrigoni

>> GARA, 30. Dezember 2008 <<
>> PDF der deutschen Übersetzung <<

Mein Appartement in Gaza liegt direkt am Meer. Es hat einen Panoramablick, der meine Moral trotz des elenden Lebens unter der Blockade immer wieder aufbaut. Das war so bis heute morgen, als alle Dämonen vor meinem Fenster tobten. Heute morgen wurden wir in Gaza vom Lärm der abgeworfenen Bomben geweckt. Viele von ihnen schlugen nur wenige hundert Meter von meinem Haus entfernt ein.

Palästinensische Frauen und Kinder fliehen nach einem der Bombenangriffe der israelischen Luftwaffe [Foto: AlJazeera.net, GALLO/GETTY] Einige meiner Freunde wurden von Bomben getroffen. Im Moment liegt die Zahl der Toten bei 210, aber die Zahl wächst dramatisch. Es ist ein beispielloses Gemetzel. Sie haben den Hafen, der sich gegenüber meines Hauses befindet, bis auf das Fundament zerstört und Polizeistationen in Schutt und Asche gelegt. Ich habe gehört, dass die westlichen Medien begriffen haben und die Pressemeldungen der israelischen Streitkräfte zurückweisen, nach denen das Ziel nur Hamas Terroristen seien, die mit chirurgischer Präzision getroffen werden.

Als wir das größte Krankenhaus der Stadt, al-Shifa, besuchen, sehen wir einen chaotischen Haufen an Körpern im Hof. Wir stellen fest, dass die Mehrheit derer, die auf medizinische Hilfe wartet, Zivilisten sind. Sie liegen nebeneinander und neben den Toten, die beerdigt werden müssen. Kannst Du Dir Gaza vorstellen? Die Häuser stehen dicht gedrängt, jedes Gebäude eng am darauf folgenden. Gaza ist der Ort mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt. Wer eine Bombe aus 10.000 Metern Höhe auf Gaza abfeuert, begeht unausweichlich ein Massaker an Zivilisten. Du weißt das, Du bist schuld, es ist kein Fehler, es sind keine Kollateralschäden.

Bei der Bombardierung der zentralen Polizeistation in al-Abbas im Stadtzentrum wurde auch die nahe gelegene Grundschule durch die Explosion ernsthaft beschädigt. Es war gerade Schulschluss und die Kinder waren schon auf der Strasse. Der Himmel, der bis dahin blau war, färbte sich blutrot. Als sie die Polizeiakademie von Dair al-Balah bombardierten, gab es auch Tote und Verletzte auf dem benachbarten Markt, dem zentralen Markt in Gaza.

Wir haben Körper von Tieren und Menschen gesehen, deren Blut sich mischt und in den Rinnsteinen der Asphaltstrassen hinunterläuft. Es ist (bildlich gesprochen) als ob Gernika (erneut) Wirklichkeit würde. Ich habe in den vielen Krankenhäusern, die ich besuchte, viele Leichen in Uniform gesehen, die Mehrheit von ihnen junge Leute. Ich kannte einige von ihnen namentlich und grüßte sie jeden Tag, wenn ich sie auf der Strasse traf, auf dem Weg zum Hafen oder am Abend auf dem Weg in ein Cafe.

Picassos Meisterstück Guernica als Wandmalerei in Belfast:
Picasso malte Guernica 1937 innerhalb von drei Wochen während des spanischen Bürgerkriegs, um gegen die Bombardierung der baskischen Hauptstadt Guernica durch die Nazis (auf Wunsch der Franco Truppen) am 26. April desselben Jahres zu protestieren. Hunderte Tote (Zivilisten) waren die Folge. Guernica war und ist die Stadt, die das baskische Streben nach Freiheit am Stärksten symbolisiert. Das Bild gilt als eines der bedeutendsten Anti-Kriegs Bilder des 20. Jahrhunderts.
( >> s. hierzu auch unseren Bericht vom West Belfast Festival 2007 << )

Ein Name, eine Geschichte, eine verstümmelte Familie. Die Mehrheit waren junge Leute, im Alter von 18-20 Jahren, ohne politische Zugehörigkeit, weder zu Hamas, noch zu al-Fatah. Sie haben sich nach dem Ende ihres Studiums bei der Polizei beworben, nur weil sie eine sichere Arbeit in Gaza wollten, wo die kriminelle Blockade durch Israel die Arbeitslosenquote auf 60% erhöht hat. Mich interessiert keine Propaganda und ich erzähle, was meine Augen sehen. Meine Ohren hören den Lärm der Sirenen und Explosionen. Ich habe keine Terroristen unter den Opfern des heutigen Tages gesehen, nur Zivilisten und Polizisten. Genauso wie Polizisten in unseren Städten, konnten die palästinensischen Beamten, die durch die israelischen Bomben ermordet wurden, jeden Tag des Jahres auf ihrem Rundgang auf denselben Plätzen in der Stadt angetroffen werden, bewachten sie dieselben Kreuzungen oder Abzweigungen.

Erst letzte Nacht habe ich mit ihnen Witze darüber gemacht, dass sie in der Kälte gegenüber meines Hauses stehen mussten. Ich möchte, dass wenigstens über einige dieser Toten die Wahrheit erzählt wird. Sie feuerten keinen Schuss gegen Israel, sie wurden auch nicht dazu gedrängt, das gehörte nicht zu ihren Aufgaben. Sie regelten den Verkehr und hatten ausschließlich mit interner Sicherheit zu tun.

Die ohrenbetäubende Stille der "zivilisierten Welt"

Der Hafen ist sowieso sehr weit von der israelischen Grenze entfernt. Ich habe eine Videokamera, aber heute will mir das Filmen nicht gelingen. Ich bin nicht in der Lage, verstümmelte Körper oder tränenverschmierte Gesichter zu filmen. Auch ich beginne zu weinen. Ich war mit anderen Freiwilligen des ISM (International Solidarity Movement) zum Blutspenden im Krankenhaus al-Shifa.

Dort haben wir erfahren, dass unsere Freundin Sara tot ist. Sie wurde in der Nähe ihrer Wohnung im Flüchtlingslager von Jabaliyah von einem Metallsplitter getroffen. Sie war eine liebenswürdige Person von großer Ausstrahlung, die unterwegs war, um Brot für ihre Familie zu besorgen. Sie hinterlässt 13 Kinder.

Vor kurzem habe ich einen Anruf von Tofiq aus Chipre erhalten. Tofiq ist einer der palästinensischen Studenten, der dem Schicksal des endlosen Gefängniscamps, das Gaza ist, mit dem Schiff "Free Gaza" entkam. Er fragt mich, ob ich wie versprochen, seinen Onkel besucht habe, um ihn von ihm zu grüssen. Bedauerlicherweise hatte ich noch keine Zeit. Jetzt ist es zu spät.

Er wurde wie viele andere unter den einstürzenden Hafentrümmern begraben. Von Israel erhielten wir die schreckliche Drohung, dass dies nur der erste Tag einer zweiwöchigen Bombenkampagne sein würde. Sie wollen eine Wüste schaffen und nennen es Frieden. Die Stille der "zivilisierten Welt" ist noch ohrenbetäubender als die Explosionen, die die Stadt wie ein Leichentuch aus Tod und Terror bedecken.


übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 30. Dezember 2008
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