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"Hautsitako Leihoa - das zerbrochene Fenster"
ein gewöhnlicher Tag im Baskenland

4. Februar 2008 | Cristina Maristany, Schriftstellerin (in GARA, 2. February 2008)

Ich habe kürzlich einen sehr interessanten Dokumentarfilm gesehen. Er wurde bereits vor fünf Jahren gedreht, aber erst jetzt erstmalig gezeigt. Aktueller denn je. Der Film heisst «Hautsitako Leihoa» (das zerbrochene Fenster), er wurde von den Regisseuren Eñaut Toulouse und Hammudi al-Rahmoun in der ESCAC (Escuela de Cine de Catalunya) produziert. Der Film erzählt die Geschichte eines gewöhnlichen Tages im Baskenland. Ein Glückwunsch an die Produzenten von Escándalo für ihren Mut! Der Film ist wunderbar und notwendig.

Zerstörung der elementaren Rechtgrundlage: der Unschuldsvermutung

Durch die Worte des damaligen Richters des Madrider Provinzialgerichts, Joaquín Navarro Esteban, betreten wir anhand der Geschichte einiger junger Leute, die wegen «kale borroka» (Strassenkampf) verhaftet worden waren, die schreckliche und verschwiegene Realität im Baskenland. Navarro sagt, dass in diesem Land nach dem nordamerikanischen Strafsystem verfahren wird, das durch die Theorie der zerbrochenen Fensterscheibe charakterisiert werden kann: bestrafe den Verursacher der zerbrochenen Scheibe so hart wir möglich. Denn wenn er nicht die härtest mögliche Strafe erhält, wird er später als Mörder enden und jemanden umbringen. Joaquín Navarro beschreibt die verschiedenen Interpretationen, die ein und dieselbe Tat aus diesem Grund erfährt, abhängig davon ob sie im Baskenland begangen wird oder ausserhalb. Er gibt ein Beispiel dafür: wenn ein Jugendlicher in Almería einen Feuerwerkskörper gegen einen Geldautomaten wirft, wird die Strafe minimal sein. Vielleicht eine kleine Geldstrafe. Wenn dasselbe im Baskenland passiert, wird die Tat unmittelbar zum terroristischen Akt und die Strafe wird einige Jahre Gefängnis heissen.

Die erschütternde Analyse des Zustands des Rechts geht weiter und zeigt die Zerstörung der elementaren Rechtgrundlage: der Unschuldsvermutung. Denn antiterroristische Praxis ist die Annahme der Schuld. Navarro betont, dass das Recht ausser Kraft gesetzt wird, wenn jemand seine Unschuld erst beweisen muss. Wir sind mit einer Anti-Terror-Politik konfrontiert, in der jedes Mittel recht ist, um grösstmögliche Effizienz zu erreichen: fünf Tage in den Händen der Polizei, «incommunicado» (ohne jeglichen Kontakt zur Aussenwelt). Bei der Unterschrift unter ein Geständnis ist kein Rechtsbeistand anwesend - nicht einmal ein vom Gericht benannter. Aber später gelten diese Geständnisse als Beweismaterial im Verfahren, als ob die Polizei eidesstattliche Erklärungen abgegeben hätte. Wenn das Verfahren überhaupt stattfindet. Manchmal wird es ad acta gelegt, nachdem der Angeklagte Monate über Monate im Gefängnis verbrachte. Die Politik der Verteilung der Gefangenen auf alle Gefängnisse des Staates ergänzt die Praxis um eine ungeheuerliche Verletzung von Menschenrechten, die den Täter und die Familie bestraft. Die Familien werden gezwungen, tausende Kilometer zurückzulegen, und können ihre Lieben manchmal nicht einmal sehen.

Nur eine mögliche Lösung: Dialog und Verhandlungen

Navarro beendet seine Analyse mit der Feststellung, dass es nur eine mögliche Lösung gäbe: Dialog und Verhandlungen.

Alles ist ein ewiger Kreislauf, der sich wieder und wieder aufdrängt. Folter hat im spanischen Staat nie aufgehört zu existieren, weder in den langen Jahren der Franco Diktatur, noch später, in den entkoffeinierten Übergangsregierungen von Adolfo Suárez, Felipe González, José Mª Aznar und des derzeitigen José Luis Rodríguez Zapatero. (transición - Übergang - nennt man in Spanien den Machtübergang aus der Diktatur Francos in die "Demokratie", mit der nie eine Demokratisierung staatlicher Institutionen, wie zum Beispiel der Polizei verbunden war. Die grossspanische Ideologie bekam Verfassungsrang und steht als Bollwerk gegen Unabhängigkeitsbestrebungen der Basken, Katalanen und Galizier.)

Folter hat im spanischen Staat nie aufgehört zu existieren

Der Fall Igor Portu, der zusammen mit Mattin Sarasola verhaftet worden war, ist nur deshalb bekoannt geworden, weil sie nicht in der Lage waren, die schweren Verletzungen zu verbergen, die eine Einlieferung in die Intensivstation nötig gemacht haben. Die Regierung betrachtet die vielen Stunden, die zwischen Verhaftung und Einlieferung ins Krankenhaus vergingen, als völlig normal und versichert uns, die Verletzungen hätten sich durch den Widerstand während der Verhaftung ergeben. Der Minister Pérez Rubalcaba stellt sich vollständig hinter diese Behauptung, ohne zu bemerken, dass das Fehlverhalten - wie Javier Ortiz in einem Artikel gut bemerkt - aufzeigt, was alles sich "in Übereinstimmung mit der Antiterrorismus-Gesetzgebung abgespielt hat".

Joseba Arregi starb durch Folter mehrere Tage nach seiner Verhaftung in Madrid am 13. Februar 1981. Ich möchte die Fakten der damaligen Geschehnisse in Erinnerung rufen. Wir haben eine Anti-Nato Veranstaltung im Ateneo in Madrid organisiert, in die viele Leute involviert waren. Es war eine der wichitgsten Veranstaltungen des neugegründeten Anti-Nato-Bündnisses. Am Tag zuvor war Arregi ermordet worden. Wir begannen die Veranstaltung mit einer Erklärung, die seinen Mord verurteilte. Ich erinnere mich, dass ich damals Teil der Veranstaltungsleitung war und die Erklärung verlas. Ich beschrieb die Brutalität, mit der er misshandelt wurde. Als die Polizei die Erklärung bemerkte, griff sie sofort ein. Die Bilder der brutal gefolterten Leiche waren schrecklich. Selbstverständlich sagte der oberste Polizeichef, dass der Gefangene zu keinem Zeitpunkt misshandelt worden sei. Das war 1981. Später, unter einer PSOE Regierung , würden sie zu noch widerwärtigeren Methoden übergehen: GAL, Staatsterrorismus.

"Warum wir, die Demokraten ..."

Jahr für Jahr fordert Amnesty International, die Sonderbehandlung während der Verhöre, der Haft und der «incommunicado» Haft abzuschaffen. Aber in diesem Land, in dem man so oft, mit einer Leidenschaft an der Grenze zum Orgasmus, "Warum wir, die Demokraten ..." hört, fühlt man sich nicht angesprochen. Und jetzt werden wir in den kommenden Wahlen wieder einen Wahlbetrug begehen ... Der Richter Joaquín Navarro Esteban konnte den Dokumentarfilm «Hautsitako Leihoa» nicht mehr sehen. Er starb am 29. April 2007 in absoluter Einsamkeit.


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