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Nordirland: Anschlag auf das Parlament
Uschi Grandel, Info Nordirland, 25. November 2006

Hintergrund:

Warum gestaltet sich die Bildung der Regionalregierung als so schwierig

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Freitag, der 24. November 2006, war als Auftakt zur Wiederbelebung der nordirischen Regionalregierung gedacht. So sollte das nordirische Regionalparlament, die Assembly, tagen, um den First Minister und seinen Stellvertreter zu nominieren. Bereits nach 40 Minuten führte der versuchte Anschlag des pro-britischen Killers Stone auf das Parlamentsgebäude Stormont zum Abbruch der Sitzung und zur Räumung des Parlaments.

"(Am Freitag Nachmittag) waren die Einzigen, die sich in Stormont aufhielten, ein Kommando der britischen Armee zur Entschärfung der Bomben."

so fasste die Irish Republican News in ihrem Rundbrief vom Samstag die Ereignisse vom Freitag zusammen. Anne Cadwallader kommentiert in ihrem Bericht für Reuters die Sitzung im Parlament nüchtern:

"Der Vorfall am Freitag störte angespannte Diskussionen über die Regionalregierung. Diese würde Parteien in einer gemeinsamen Regierung sehen, die hochgradig entgegengesetzter politischer und religiöser Ansichten sind und die Gegner in einem Jahrzehnte andauernden Konflikt waren, der etwa 3600 Menschen das Leben gekostet hat. Die Debatte musste nach 40 Minuten beendet werden und endete ohne eine klare Aussage der pro-britischen Hardliner, der Democratic Unionist party (DUP), wen sie als First Minister dieser Allparteienregierung nominieren werden."

Am Nachmittag eskalierte die Situation in einer Weise, die so typisch den zähen Kampf um die Umsetzung des Karfreitagsabkommens wiederspiegelt: zwölf Abgeodnete der DUP veröffentlichten eine Erklärung, dass am Vormittag keine Nominierung des First Ministers durch die DUP erfolgt sei. Ian Paisley sieht sich daraufhin gezwungen, seine Position nochmals so zu formulieren, dass die beiden Regierungen sie akzeptieren. In einer Partei, in der der Gründer Ian Paisley seit Jahrzehnten unangefochtener Alleinherrscher ist, zeigen diese Vorgänge, wie hart der Kampf hinter den Kulissen ist. Auch Vertreter der von Ian Paisley gegründeten Kirche, der Free Presbyterian Church, kämpfen gegen eine Beteiligung der DUP an der Allparteienregierung. Ein Reverend der Kirche, enger Freund und Weggefährte von Paisley, formuliert es wie folgt:

"Der Gedanke, jemanden, der so hochgeschätzt und geliebt ist wie Ian Paisley, in einer politischen Koalition mit Martin McGuinness zu sehen, ist herzzerreißend für die meisten, wenn nicht für alle Freien Presbyterianer."

Einen solchen religiös-emotionalen Hass auf eine Person, hier den Sinn Fein Chefunterhändler Martin McGuinness, kann man nur begreifen, wenn man sich vor Augen hält, wie lange das Schüren anti-katholischer, anti-irischer Ressentiments Mittel unionistischer Politik war und immer noch ist. Nicht erst seit Beginn der Troubles, sondern seit Gründung des "protestantischen Staates" durch Abtrennung des nordöstlichen Zipfels von Irland durch britisches Gesetz im Jahre 1920 verbindet unionistische Politiker, anti-katholische Oranier Orden, staatliche Stellen und loyalistische Killer eine Tradition der Zusammenarbeit, um den "Taigs" oder "Fenians", wie sie die Bewohner der irischen Viertel verächtlich nennen, ihren Platz zu zeigen.

Loyalistische Helden

Der Journalist Robin Dinwoodie war im Jahr 1988 Augenzeuge des damaligen Attentats von Stone auf eine irisch-republikanische Beerdigung. Stone hatte auf dem katholischen Friedhof drei Menschen erschossen und viele verwundet. Robin Dinwoodie kommentiert in der Zeitung "Herald" (The Herald, 25.11.2006) die Ereignisse vom vergangenen Freitag:

"Als ich das (Massaker 1988) erlebte, dachte ich, was für ein feiger Überfall das war und dennoch wurde Stone zur loyalistischen Heldenfigur. ... Wie der 'Held' nun in den loyalistischen Viertel gesehen werden wird, gibt uns ein gute Messlatte für den Fortschritt, der bisher gemacht wurde."

Das eigentliche Problem des nordirischen Konfliktlösungsprozesses ist es, alle Parteien dazu zu bringen, sich offen ihrer Verantwortung zu stellen und gemeinsam mit dem politischen Gegner Lösungen zu suchen. Weder die britische Regierung noch die unionistischen Parteien geben in der Öffentlichkeit zu, dass sie in irgendeiner Weise Verantwortung tragen. Die unionistischen Politiker haben ihre Anhänger nie darauf vorbereitet, dass Konfliktlösung Kompromiss heisst. Mit seiner Forderung, die IRA müsse "in Sack und Asche" gehen, hat Paisley den Kompromiss im Dezember 2004 zum Scheitern gebracht. Kein Wort eines unionistischen Politikers oder eines britischen Ministers, dass die Unterdrückung und Entrechtung der irischen Hälfte der Bevölkerung in Nordirland irgend etwas mit dem Konflikt zu tun habe.

Und die britische Regierung porträtiert sich lieber als Mittler zwischen verfeindeten Communities, als dass sie sich ihrer Verantwortung für den Konflikt in Nordirland stellt. Auch wenn diese Darstellung ausserhalb Irlands oft Glauben findet und als Grundtenor in vielen Berichten über Nordirland zum Ausdruck kommt, enthüllt die jahrelange gute Arbeit von Menschenrechtsorganisationen und Anti-Collusion-Gruppen mittlerweile Stück um Stück, in welchem Ausmass loyalistische Gewalt von staatlichen, britischen Stellen initiiert, gelenkt, gefördert und benutzt wurde.

Details hierzu finden Sie auf unserer Übersichtsseite "Collusion":

Info-Nordirland -> Hintergrund/Schlagwortsuche -> Collusion

Ganz aktuell hat das Pat Finucane Centre in Derry auf seiner Webseite den Bericht einer nicht-staatlichen, unabhängigen Untersuchungkommission von Anfang November 2006 veröffentlicht, der sich mit dem Thema der staatlichen Auftragsmorde in den 70ern befasst:

"Report of the Independent International Panel on Alleged Collusion in Sectarian Killings In Northern Ireland"

Der britische Staat hat loyalistische Killer benutzt, um die irischen Viertel zu terrorisieren und ihren Widerstand zu brechen. Als Gegenleistung für die Zusammenarbeit hat er den loyalistischen Gangs "ihre" Viertel überlassen und hat damit die typischen protestantischen Arbeiterviertel, wie z.B. den Bereich Shankill, mit ihrer loyalen, pro-britischen, weitgehend obrigkeitshörigen Bevölkerung dem Terrorregime von Gangstern ausgeliefert.

Der Kampf um die Kontrolle der Polizei

Mit unseren Delegationen nach Nordirland haben wir seit Jahren gute Kontakte auch in diese Viertel, vor allem in den West Belfaster Shankill-Bezirk. Wir haben die letzte Diskussion um die Einschätzung der Polizei dort auf unserer Delegationsreise im August 2005 geführt. Viele Menschen des Shankill erzählen im Vertrauen, dass die Polizei für ihre Viertel ein ebenso grosses Problem darstellt, wie für das republikanische West Belfast auf der anderen Seite des Sperrzaunes. Die Polizei überlässt das Viertel immer noch den loyalistischen Terrorgruppen. Sie kümmert sich auch hier nicht, wenn sie um Hilfe gerufen werden.

Das Problem mit der Polizei ist nicht, dass Sinn Fein endlich Recht und Gesetz akzeptiert. Das Problem ist, dass die Polizei dies tut. Welche Schritte passieren müssen, damit der Police Service of Northern Ireland (PSNI) zivile Polizeiarbeit auf kontrollierbare Art und Weise ausübt und nicht länger eine Kampftruppe gegen den irischen Teil der Bevölkerung ist, ist eines der schwierigen Themen des Konfliktlösungsprozesses.

Wer glaubt, dass das Problem doch Ende 2001 mit der Umwandlung der alten RUC in den smarten Police Service of Northern Ireland (PSNI) gelöst wurde, sollte sich die Polizeiarbeit der PSNI seither ansehen. Als letztes Jahr im August 2005 loyalistische Killer die katholische Minderheit des kleinen Dörfchens Ahoghill nördlich von Belfast über Tage hinweg jede Nacht mit Brandbomben überfielen, hätte die Polizei zeigen können, dass sie sich geändert hat. Ein paar Dutzend Häuser in einem kleinen Dorf sollten sich von einer hochgerüsteten Polizei doch wirkungsvoll schützen lassen? Statt dessen verteilte die Polizei in einer zynischen Aktion an die Anwohner nicht-brennbare Decken und gab ihnen den Rat, doch durch Fenster in den Garten zu flüchten, wenn die Angreifer von vorn Brandbomben werfen. Weder von der Polizei, noch von anderen staatlichen Stellen, ganz zu schweigen von den unionistischen Politikern dieser Gegend kam Hilfe. Dies ist nur ein Beispiel aus einer langen Liste.

Eines der Kernprobleme, das Sinn Fein derzeit mit der britischen Regieurng verhandelt, ist ein Zeitplan für die Übergabe der Kontrolle der Polizei und Justiz von London an die Regionalregierung und die Abgrenzung der Polizei gegen den britischen Geheimdienst MI5. Wenn der britische Geheimdienst Teilen der Polizei weisungsbefugt wird, so wie es die alte Polizei-interne Geheimdienstkrake "RUC Special Branch" war, wird die Polizei in die kriminellen Machenschaften der britischen Geheimdienste in Nordirland verstrickt bleiben. Das ist unabhängig vom guten Willen einzelner Polizisten, die es auch in der alten RUC auf sehr verlorenem Posten gab.

Man darf nicht vergessen, dass die Suspendierung der Regionalregierung im Jahre 2002 durch eine Polizeirazzia im Parlament gegen einen angeblichen IRA-Spionagering ausgelöst wurde. Der einzige Beschuldigte, gegen den angeblich Belastungsmaterial gefunden wurde, entpuppte sich später als britischer Spion. Roy Greenslade kommentierte damals am 9.Oktober 2002 im Guardian:

„Wird es jemals Gerechtigkeit im Norden Irlands geben? Die Razzien sind ein makabrer Witz, der zeigt, dass die Polizei die alte geblieben ist und Fairness und Gerechtigkeit verhöhnt. Die Polizei ist nicht in der Lage Mörder zu verhaften, nicht einmal, wenn sie sie kennen, aber sie sind grossartig bei der Jagd auf angebliche Spione.“

Gleichheit, Fairness und Gerechtigkeit

In seiner Rede vor dem Parlament, mit der er Martin McGuinness als stellvertretenden First Minister nominierte, sagte der Sinn Fein Präsident Gerry Adams:

"Wir alle müssen unsere Verantwortung für das, was passiert ist, akzeptieren. Als irische Republikaner ist unser Vorbild der grosse protestantische Patriot Theobald Wolfe Tone, der die Einheit von Katholiken, Protestanten und Atheisten anstrebte. Und Martin McGuinness wird ein Verfechter von Gleichheit, Fairness und Gerechtigkeit für alle Menschen hier sein."


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