Europäischer Gerichtshof entscheidet gegen britische Regierung:
Beteiligung britischer "Sicherheitskräfte" an Anschlägen auf Zivilisten (Links zu den Urteilen s.u.).
Unser Kommentar:
Ein guter Schritt in eine richtige Richtung!
Uschi Grandel, 2. Dezember 2007
Anfang des Jahres hatte der Untersuchungsbericht der nordirischen
Polizeiombudsfrau Nuala O'Loan über die Verstrickung der nordirischen
Polizei in 19 Morde allein in einem kleinen Bezirk im Norden Belfasts
international Aufsehen erregt:
"Über Jahre hinweg, fand Nuala O‘Loan heraus, hatte die
Geheimdienst-Abteilung der (nordirischen Polizei) Royal Ulster Constabulary
Mordverbände ... aus den Reihen der Loyalisten unterstützt, gedeckt, mit
Informationen über ihre Opfer versorgt. ... In den betreffenden Fällen,
heisst es in O‘Loans Untersuchungsbericht weiter, hätten Geheimdienst-Beamte
der RUC die Täter – in der Regel ihnen wohl bekannte Informanten aus dem
loyalistischen Lager – gedeckt, ihnen Alibis verschafft, sie zu Verhören
begleitet, Verfahren gegen sie verhindert, Beweismaterial vernichtet,
Dokumente gefälscht und Hausdurchsuchungen gestoppt. ... teilweise sogar mit
Unterstützung leitender RUC-Offiziere. ... Einige der in die Kollaboration
mit Terroristen verwickelten Beamten seien noch immer im Polizeidienst
beschäftigt."
so fasst Peter Nonnenmacher am 24.1.2007 für den Tagesanzeiger die
Ergebnisse der Untersuchung zusammen
(s.
Info Nordirland ).
Nun hat der Europäische Gerichtshof am 27.11.2007 den Finger in eine weit
grössere Wunde gelegt: in den Regionen Mid-Ulster und South Armagh ging die
Zusammenarbeit britischer staatlicher Stellen mit pro-britischen,
loyalistischen Todesschwadronen weit über Informationen und Verhinderung von
Strafverfolgung hinaus. Mindestens 120 Morde wurden von gemischten Teams
begangen, denen loyalistische Paramilitärs, britische Soldaten und
Geheimagenten, sowie nordirische Polizisten angehörten. Ein ehemaliger
Polizist, John Weir, hatte Ende der 90er Jahre ausgepackt und viele Details
dieser Zusammenarbeit berichtet.
Im Verfahren, das die Familien von acht Opfern dieser Mördergang gegen die
Britische Regierung angestrengt hatten, entschied der Europäische
Gerichtshof gegen die britische Regierung. Der Gerichtshof stellte fest:
"Im Jahre 1999 gab die (nordirische Polizei) RUC vor, die Behauptungen von
John Weir polizeilich zu untersuchen. Die RUC unternahm jedoch keine
Schritte, um John Weir zu befragen. Trotz der glaubwürdigen und belegbaren
Beweise, dass es in Mid-Ulster zu weitreichender Zusammenarbeit von
Mitgliedern der (britischen Armeeeinheit) UDR und der (nordirischen Polizei)
RUC mit einer in Mid-Ulster operierenden loyalistischen Mördergang gekommen
sei, beendete die RUC ihre Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass die
Anschuldigungen falsch seien.
… der Gerichtshof stellt zum einen fest, dass die Vorwürfe von Weir sehr
ernst sind. Es geht um die Beteiligung von Sicherheitskräften an
systematischen Anschlägen auf unschuldige Zivilisten. Zum zweiten sind die
Vorwürfe, prima facie, plausibel, weil sie von einer Quelle kommen, die in
solche Vorfälle involviert war und deren Aussagen sehr detailliert und
konkret waren …"
Alan Brecknell, einer der betroffenen Familien, der seinen Vater durch einen
solchen Mordanschlag verlor, sagte auf einer Pressekonferenz des
nordirischen Menschenrechtszentrums Pat Finucane Centre:
"Mindestens 120 Personen starben als Folge der Aktivitäten dieser Gruppe.
Die Toten waren irische und britische Staatsbürger (wie zum Beispiel mein
Vater, der aus Birmingham stammt). Sie waren Katholiken und Protestanten von
diesseits und jenseits der Grenze ... Auf dieser Pressekonferenz sind
Angehörige anwesend, die die offizielle Bestätigung haben, dass
Polizeioffiziere, Soldaten und Geheimdienstleute die Hauptverdächtigen der
Anschläge (auf ihre Familienangehörigen) sind."
Hochbrisant sind diese Enthüllungen im angeblich demokratischsten Land
Europas. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist ein guter Schritt in
eine richtige Richtung. Wenn wir Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa
ernst nehmen, muss die Aufarbeitung solcher Verbrechen passieren und sie
muss öffentlich passieren. Glaubt ansonsten denn irgend jemand ernsthaft,
dass damals beteiligte Militärs und "Sicherheitsexperten", die sich bisher
weigern, diese Verbrechen aufzuarbeiten, sich in den aktuellen Konflikten
heutzutage anders verhalten?
Puzzlestück um Puzzlestück setzt sich in Nordirland ein Bild zusammen,
dessen Fäden in 10 Downing Street zusammenlaufen, am Sitz der britischen
Regierung, deren Vorgänger diese kriminellen Machenschaften in den 70er und
80er Jahren als Mittel ihrer Nordirlandpolitik einsetzten. Erkennen wir
Muster in den spärlichen Berichten, die uns aus dem Irak und aus Afghanistan
erreichen?
Links zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte:
>>>> Press release issued by the ECHR: FIVE CHAMBER JUDGMENTS CONCERNING NORTHERN IRELAND
>>>> CASE OF REAVEY v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)
>>>> CASE OF BRECKNELL v. THE UNITED KINGDOM (160 kb)
>>>> CASE OF O'DOWD v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)
>>>> CASE OF MCCARTNEY v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)
>>>> CASE OF MCGRATH v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)