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Tages-Anzeiger vom 24.01.2007

Bericht über Polizei sorgt für Empörung

Jahrelang soll in Nordirland die Polizei eng mit protestantischen Terroristen zusammen gearbeitet haben. Katholiken fordern rigide Strafprozesse und eine öffentliche Untersuchung.

Von Peter Nonnenmacher, London

Lange lachte man in Grossbritannien nur über entsprechende «Verdächtigungen». Dass Nordirlands Polizei im Bunde stehe mit protestantischen Killern, wurde als Propaganda der Gegenseite, der irischen Republikaner, abgetan.

Inzwischen räumen sogar protestantische Politiker in der Provinz ein, dass es Angehörigen der Royal Ulster Constabulary (RUC), der ehemaligen Königlichen Polizei Ulsters, «an Integrität und professioneller Moral fehlte» ­ so reagierte die Partei der Ulster-Unionisten gestern. Nordirlands Sozialdemokraten fordern den Rücktritt des gegenwärtigen Inspektors der Polizei und früheren RUC-Chefs Sir Ronnie Flanagan. Und der britische Nordirland-Minister Peter Hain in London, sieht strafrechtliche Verfahren gegen Polizeibeamte voraus. Die «Propaganda» hat sich als bittere Realität erwiesen. Die Katholiken im Lande wussten, wovon sie redeten.

Reihe von Morden und Überfällen

Den Finger auf die Wunde legte diese Woche die Ombudsfrau der neuen Polizeiverbände Nordirlands, Nuala O‘Loan, mit einem schockierenden Bericht zu dunklen Machenschaften früherer Jahre. O‘Loan verfolgte den Fall eines 22-jährigen Protestanten namens Raymond McCord Jr., der von der Loyalistengruppe Ulster Volonteer Force (UVF) 1997 ermordet wurde. Die Untersuchung dieses Falles führte die Ombudsfrau auf die Fährte einer Reihe von Verbrechen, Morden und Überfällen. Was all diese Fälle gemeinsam hatten, war die Verquickung von protestantischen Terroristen und ­– durchweg protestantischer – ­Polizei in der Provinz.

Über Jahre hinweg, fand Nuala O‘Loan heraus, hatte die Geheimdienst-Abteilung der Royal Ulster Constabulary Mordverbände wie die Ulster Volonteer Force oder einzelne Täter aus den Reihen der Loyalisten unterstützt, gedeckt, mit Informationen über ihre Opfer versorgt. Allein im Zeitraum von 1991 bis 2003 und in dem begrenzten Gebiet, auf das sie sich konzentrierte, seien von einer UVF-Gruppe mit dem Wissen oder oft sogar mit Hilfe von Polizeibeamten zehn bis fünfzehn Morde verübt, zehn Mordversuche unternommen, andere Gewalttaten verübt und ein Bombenanschlag auf ein Büro der Republikaner-Partei Sinn Fein geplant und ausgeführt worden.

In den betreffenden Fällen, heisst es in O‘Loans Untersuchungsbericht weiter, hätten Geheimdienst-Beamte der RUC die Täter – in der Regel ihnen wohl bekannte Informanten aus dem loyalistischen Lager – gedeckt, ihnen Alibis verschafft, sie zu Verhören begleitet, Verfahren gegen sie verhindert, Beweismaterial vernichtet, Dokumente gefälscht und Hausdurchsuchungen gestoppt. Das Ganze sei geschehen unter Duldung und teilweise sogar mit Unterstützung leitender RUC-Offiziere. Zahlreiche Polizeibeamte hätten sich ausserdem geweigert, ihr bei ihren Nachforschungen Rede und Antwort zu stehen, sagte die Ombudsfrau. Einige der in die Kollaboration mit Terroristen verwickelten Beamten seien noch immer im Polizeidienst beschäftigt.

Sprecher der katholischen Bevölkerung Nordirlands reagierten auf den Report mit dem Ruf nach einem öffentlichen Untersuchungsverfahren, rigiden Strafprozessen und dem Rücktritt des früheren Polizeipräsidenten Flanagan von seinem gegenwärtigen Inspektoren-Posten. Nordirland-Minister Hain lehnte zwar ein weiteres Untersuchungsverfahren ab, hielt aber Strafverfolgungen für wahrscheinlich. Seit der Reform der nordirischen Polizei in den jüngsten Jahren, meinte Hain, könnten solche Machenschaften glücklicherweise «nicht mehr passieren».

Adams beruft Sonderparteitag ein

Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams erklärte hingegen, die Fälle der verhängnisvollen Zusammenarbeit reichten sehr viel weiter, als der Bericht dokumentiere – und weit zurück, «bis in die Siebzigerjahre». Der Bericht «kratze nur an der Oberfläche», und man müsse «sicherstellen, dass kein Polizeibeamter jemals wieder seine Stellung derart missbrauchen kann». Adams hat für kommenden Sonntag einen Sonderparteitag einberufen, um die Mitglieder dafür zu gewinnen, nach Jahrzehnten bitterer Ablehnung «der britischen Okkupation» Irlands den neuen, zunehmend gemischt-konfessionellen Polizeiverband der Provinz zu akzeptieren und eigenen Parteigängern erstmals zu erlauben, sich diesem Polizeidienst anzuschliessen. Er glaube nicht, sagte Adams, dass O‘Loans Bericht einen solchen Schritt Sinn Feins am Wochenende erschweren werde.
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