„Die Einhaltung der Menschenrechte sichern helfen“

Seit rund 15 Jahren beschäftige ich mich mit Nordirland und habe seitdem sehr viel zum Thema gelesen. Ein lang gehegter Wunsch von mir war, mir selber einmal ein Bild der Situation vor Ort machen zu können. So sagte ich spontan zu, als ich erfuhr, daß das Pat Finucane Centre im September eine Delegationsreise durch Nordirland organisieren würde. Als Mitglied einer Menschenrechtsorganisation standen für mich dabei Menschenrechtsverletzungen im Vordergrund meines Interesses.

Derry

Die Reise beginnt offiziell in Derry mit einer Besichtigung des Pat Finucane Centres. Das PFC ist ein unabhängiges Zentrum, das seine Stimme gegen Menschenrechts-verletzungen, politische und soziale Ungerechtigkeiten erhebt. Benannt ist es nach Pat Finucane, einem angesehenen Menschenrechtsverteidiger, der 1989 vor den Augen seiner Familie von probritischen Paramilitärs ermordet wurde. Pat Finucane brachte die britische Regierung in mehreren Fällen von Menschenrechtsverletzungen erfolgreich vor Gericht. Seit seiner Ermordung weisen einige Indizien auf eine vorherige Zusammenarbeit von britischen Sicherheitskräften und loyalistischen Paramilitärs hin. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen haben seit der Tat mehrfach eine unabhängige Untersuchung des Mordes gefordert.

Im PFC erfahren wir dank der umfangreichen Erläuterungen der Mitarbeiter sehr viel über dessen Arbeit, die von der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen bis zur Unterstützung der Opfer und Familienangehörigen in ihrer Forderung nach Gerechtigkeit reicht. Wir werfen einen Blick auf das Archiv, das über sektiererische Attacken geführt wird und können die Spuren einer Razzia an der Tür begutachten. Als 1992 die Rufe nach einer erneuten Untersuchung des „Bloody Sunday“ immer lauter wurden, drangen RUC-Beamte gewaltsam in das Pat Finucane Centre ein, beschlagnahmten Unterlagen und verhafteten die Anwesenden. Diese blieben aber nicht lange in Haft. Wie uns erzählt wird, war die Empörung über die Verhaftung sehr groß. Schon der Abtransport war von den Nachbarn massiv behindert worden, Menschenrechtsorganisationen hatten sich eingeschaltet, so daß die Mitarbeiter bald freigelassen wurden.

Wir erfahren auch von den zahlreichen Organisationen, mit denen das PFC zusammenarbeitet und von einer Gesprächsrunde für die Opfer des „Bloody Sunday“ und deren Angehörigen, von denen einige zum ersten Mal über die Ereignisse von 1972 sprechen.

Paul, der Projektleiter, erzählt von der letzten Aktion des PFC, die in der vorangegangenen Woche am Todestag von Peter McBride stattgefunden hatte. Der 18-jährige unbewaffnete Peter McBride wurde 1992 bei einer Strassenkontrolle von britischen Soldaten erschossen. Anlässlich seines Todestages hatten sie auf einem zentralen Platz in Derry mit Kreide die Umrisse von Menschen auf den Boden gezeichnet – für jedes Opfer von staatlicher Gewalt der letzten 30 Jahre einen Umriß. Zwischen den ca. 350 Umrissen führte eine schmale Gasse hindurch. Paul erzählt, dass die Aktion von der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen wurde, beeindruckend sei gewesen, wie die Gasse von den allermeisten Menschen eingehalten und die Umrisse respektiert wurden.

Wir erfahren aber auch, dass die Situation im Vergleich zu Belfast, geschweige denn Portadown, eher ruhig ist und es erheblich weniger Probleme mit sektiererischen Attacken gibt.

Im PFC treffen wir auch Robbie McVeigh, den Verantwortlichen für die Rosemary-Nelson-Kampagne. Die angesehene Rechtsanwältin Rosemary Nelson, Mutter von drei Kindern, war 40 Jahre alt, als sie im vergangenen Jahr von loyalistischen Paramilitärs ermordet wurde. Ihre Ermordung weist zahlreiche Parallelen zum Mord an Pat Finucane auf. Auch hier gibt es Hinweise auf eine Zusammenarbeit von Sicherheitskräften und loyalistischen Paramilitärs. Rosemary war vorher wiederholt von anonymer Seite sowie von der RUC bedroht worden. Sie verteidigte u.a. die Familie von Robert Hamill und war auch die Anwältin der katholischen AnwohnerInnen der Garvaghy Road in Portadown.  Portadown wird eine weitere Station unserer Reise sein.

Die Bedrohung und Einschüchterung von Rechtsanwälten ist in Nordirland immer noch ein sehr grosses Problem, mit dem sich auch der UN-Sonderberichterstatter über die Unabhängigkeit der RichterInnen und RechtsanwältInnen sowie der US-amerikanische Kongreß beschäftigt haben. Menschenrechtsorganisationen haben auch im Fall von Rosemary Nelson wiederholt eine unabhängige Untersuchung gefordert. Fraglich ist auch, warum die britische Regierung keinen ausreichenden Schutz für Rosemary Nelson gewährleisten konnte. Ich frage Robbie, was von der britischen Regierung im Moment zur Aufklärung des Mordes unternommen wird. Seine Antwort ist zwar umfangreich, endet aber in der nüchternden Konklusion: „Nicht viel“. Er verweist weiter auf den, durch dessen zögerliches Handeln verursachten, politischen Schaden für Tony Blair.

Ich hatte schon vorher davon gehört, aber es ist trotzdem schockierend für mich, zu erfahren, daß die Nachfolgerin von Rosemary Nelson, Paidrigin Drinan, sich mittlerweile ebenfalls massivsten Drohungen ausgesetzt sieht.

In Derry besuchen wir auch den „Bloody Sunday Trust“. Am 30. Januar 1972, dem so genannten „Blutigen Sonntag“, wurden in Derry bei einer Bürgerrechtskundgebung 13 unbewaffnete Menschen von der britischen Armee erschossen und 15 weitere verletzt. Ein Verletzter starb später an den Schußverletzungen. Seit langem war von Angehörigen der Opfer und Menschenrechtsorganisationen eine neue Untersuchung der Ereignisse gefordert worden. 1998 kündigte der britische Premierminister Tony Blair eine Wiederaufnahme des Verfahrens an, da neues Beweismaterial auf grobe Fehler und Manipulationen der Untersuchung von 1972 hinwies. In diesem Jahr finden nun endlich die versprochenen Anhörungen statt.

Für die Dauer der Untersuchung wurde dem „Bloody-Sunday-Trust“ von einem Geschäftsmann in Derry ein Gebäude in der Nähe der Anhörungsstätte zur Verfügung gestellt. Es soll als Ausstellungsraum, Treffpunkt für AnwältInnen, Familienangehörige und InteressentInnen während der Anhörungen dienen. Zu finden sind dort sehr erschütternde Dokumente vom „Bloody Sunday“. Zu sehen sind eine Fotoausstellung und authentische Videoaufzeichnungen. Ein Diavortrag über die Ereignisse von 1972 wird ebenso gezeigt wie eines der blutverschmierten „Civil-Rights“-Banner, die bei der Demonstration mitgetragen wurden.

Der Besuch beim „Bloody-Sunday-Trust“ bewegt mich sehr. Wir sprechen dort mit zwei Brüdern von Getöteten. Wir sehen Fotos von verwundeten und getöteten Menschen, von Menschen, die auf allen Vieren Verwundeten zur Hilfe kommen wollen. Fast beschwörend zeigt einer der beiden auf ein Foto und sagt: „Das ist mein Bruder, ihr könnt sehen, er hat nichts in den Händen, das ist der Beweis, dass er unschuldig war“. Nach der ersten Untersuchung waren die Getöteten als bewaffnete Terroristen dargestellt worden und die Morde als Notwehr. Der Bischof von Derry, Edward Daly, sagte damals, die Widgery-Untersuchung habe die Unschuldigen für schuldig und die Schuldigen für unschuldig befunden. Heute ist sicher, dass alle Getöteten unbewaffnet waren.

Für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer, die hier als Freiwillige arbeiten, bietet der „Bloody Sunday Trust“ nicht nur die Gelegenheit, die Öffentlichkeit über die Geschehnisse zu informieren, sie finden hier auch eine Möglichkeit, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und über ihre Empfindungen zu sprechen. Unvorstellbar beispielsweise, daß, wie uns erzählt wird, der Tod ihrer Angehörigen den Menschen bis heute nicht offiziell mitgeteilt worden ist. Ihnen geht es nicht nur um eine Rehabilitierung der Opfer und eine Anerkennung der britischen Regierung, daß alle Getöteten unschuldig waren, nicht nur um eine Anklage der Verantwortlichen. Viele der Angehörigen möchten endlich die Wahrheit über die Geschehnisse vom 30. Januar 1972 erfahren.

Belfast

Von Derry führt unser Weg dann nach Belfast. Gleich der erste Eindruck bestätigt, was man uns über den Unterschied von Derry und Belfast erzählt hatte. Derry war mir überraschend „normal“ vorgekommen, in Belfast fällt mir gleich der RUC-Helicopter auf, der permanent über der Stadt schwebt.

Trotzdem ist die Atmosphäre in West-Belfast auf den ersten Blick ruhig, ich fühle mich wohl ... bis wir beschliessen, uns einmal die protestantische Shankill-Road anzusehen. Über die brutalen Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden paramilitärischen Gruppierungen UDA und UVF war seit Wochen in den Medien berichtet worden, Menschen waren ums Leben gekommen, Familien aus ihren Häusern vertrieben worden. Trotzdem kann ich schwer glauben, was ich sehe, als wir in die Strasse einbiegen: Ein Meer von britischen Fahnen weht an den Strassenlaternen und Häusern. Fast alle Läden sind geschlossen, nur ganz wenige Menschen sind auf der Strasse und einige stehen alles andere als vertrauenserweckend an der Strassenecke und beobachten die Szene. Als einige der wenigen Fahrzeuge (die Black-Taxis der Shankill Road nehmen an diesem Tag den Weg über die katholische Falls Road(!)) fahren Land-Rover der RUC auf der Strasse. Die Stimmung ist bedrohlich und wir beschliessen, umzukehren.

In ihrem Büro auf der Falls Road treffen wir die Frauen der Falls Womens Group. Sehr offen berichten sie über ihre Arbeit und auch über ihre Zusammenarbeit mit Frauen von der Shankill-Road in einem Netzwerk. Gegründet wurde das Falls Womens Centre, um den Frauen in West-Belfast Hilfe und Unterstützung anzubieten, die sie angesichts der politischen Gewalt, der chronischen Arbeitslosigkeit, den überfüllten Wohnhäusern und der allgegenwärtigen Armut dringend brauchen. Frauen haben hier nicht nur eine Gelegenheit, Kurse zu besuchen und andere Frauen zu treffen. Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen, sexuellen Belästigungen oder Gewalt geworden sind, finden hier eine sichere Umgebung, Frauen, die Hilfe brauchen, finden sie hier.

Viele der Frauen haben bewegende Lebensgeschichten zu erzählen. Eine der Frauen berichtet von der Verzweiflung in der Zeit nachdem ihr Mann erschossen wurde und sie mit ihrer kleinen Tochter zurückblieb.

Ebenfalls auf der Falls Road haben die „relatives for justice“ ihr Büro - eine Vereinigung von Opfern staatlicher Gewalt und deren Angehörigen Sie finden hier Unterstützung bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit und treffen mit Menschen zusammen, die Ähnliches erlebt haben. Auch Weiterbildungskurse werden angeboten.

Auf der Aussenmauer des Gebäudes befindet sich eines der zahlreichen Wandgemälde, die in Belfast und Derry zu finden sind und die an die erschütternde nordirische Realität erinnern. Dieses ist den Menschen gewidmet, die durch Plastikgeschosse umkamen, welche die Polizei abfeuerte. Seit 1972 sind 17 Menschen durch solche Geschosse getötet worden, darunter acht Kinder.

Eines der Opfer war Nora McCabe, Mutter von drei Kindern. Sie war 33 Jahre alt, als sie 1982 in der Nähe ihres Hauses starb. Ihr Ehemann engagiert sich bei den relatives for justice und erzählt uns die erschütternde Geschichte des Todes seiner Frau. Sein Anwalt war Pat Finucane.

Obwohl die RUC nie zugegeben hat, betreffendes Plastikgeschoss abgefeuert zu haben, hat sie zugestimmt, der Familie Schadensersatz zu zahlen und eingestanden, daß Nora McCabe an Verletzungen gestorben ist, wie sie durch Plastikgeschosse verursacht werden. In der Untersuchung der Todesumstände, die 1982 stattfand, widersprachen sich die Aussagen der verantwortlichen RUC-Beamten und der AugenzeugInnen. Augenzeugen hatten einen Land-Rover die Strasse herunterfahren sehen, hörten einen Knall, sahen Funken und sahen Nora McCabe fallen. Die RUC stritt ab, zu dieser Zeit an dieser Stelle gewesen zu sein und Plastikgeschosse abgefeuert zu haben. Pat Finucane hatte ein Video ausfindig gemacht, das ein kanadisches Filmteam zur fraglichen Zeit aufgenommen hatte. Es wurde für authentisch befunden, zeigt insgesamt zwei Land-Rover, einen Land-Rover davon in die betreffende Strasse einbiegen, ein Knall ist zu hören, Rauch zu sehen. Steine und Flaschen werden auf das Fahrzeug geworfen, aber keine Molotow-Cocktails. Die RUC blieb bei ihrer Aussage, daß sie unter Beschuß von Molotow-Cocktails standen, nur auf identifizierte Ziele geschossen und in der betreffenden Strasse keine Plastikgeschosse abgefeuert hatten. Die Jury befand zwar, dass Nora McCabe eine unschuldige Unbeteiligte war, folgte aber in grossen Teilen der Argumentation der RUC. Gegen die RUC-Beamten wurde keine Anklage erhoben. Zahlreiche Gruppen und Politiker forderten eine öffentliche Untersuchung. Die betreffenden Beamten blieben jedoch im Dienst und einige wurden sogar nach einiger Zeit befördert.

Portadown

Nach einem Kurzbesuch im Stormont fahren wir nach Portadown, jenen Ort, der alljährlich in den Schlagzeilen ist, wenn hier der protestantische Oranierorden den Durchmarsch seiner Parade durch die katholische Garvaghy Road erzwingen will.

Wir sprechen hier mit VertreterInnen der „Garvaghy-Road-Residence“, hören in beeindruckenden Schilderungen von dem alltäglichen Rassismus, unter dem die katholische Bevölkerung von Portadown zu leiden hat. So ist es für Katholiken beispielsweise nach 17:00 h nicht mehr möglich, einen Arzt aufzusuchen oder einkaufen zu gehen, weil der Weg zu Arzt und Einkaufsmöglichkeiten durch protestantisches Gebiet führt. Der Vorsitzende der Garvaghy-Road-Residence erzählt uns, daß er seit Jahren nicht mehr im Stadtzentrum gewesen sei, weil es für ihn viel zu gefährlich sei. Selbst für Kinder ist es zu gefährlich, durch bestimmte Gebiete zu gehen, z.B. um eine bestimmte Schule oder einen Kurs zu besuchen.

In Portadown wurde 1997 Robert Hamill von einer protestantischen Menschenmenge vor den Augen von RUC-Beamten zu Tode geprügelt. Rosemary Nelson vertrat bis zu ihrem Tod die Familie von Robert Hamill. Sie war auch die Anwältin der AnwohnerInnen der Garvaghy Road.

Wir erfahren von dem Versuch, eine gemeinsame Veranstaltung mit protestantischen und katholischen Kindern zu organisieren, der wegen massivem protestantischen Widerstand nicht durchgeführt werden konnte. Wir erfahren von einer jungen Frau, die ihr Kind verlor, weil sie hochschwanger und in Wehen wegen einer Strassenblockade nicht auf direktem Weg ins Krankenhaus gebracht werden konnte und wir hören von den alltäglichen gegen Katholiken gerichteten Beschimpfungen und Übergriffen, die selbst Kinder und alte Frauen treffen.

Wir erfahren auch von Verleumdungen eher skuriler Art. So erzählen die VertreterInnen der Garvaghy Road von der, in einer Zeitung, aufgestellten Behauptung, die gegen den Durchmarsch des Oranierordens Protestierenden würden die Strasse jeweils nur blockieren, weil der Vorsitzende es ihnen befiehlt und/oder ihnen je zwei Pfund dafür gibt. Dieser meint lachend zu uns AktivistInnen, ob dies nicht auch eine Anregung für unsere Arbeit wäre.

Der Besuch auf der Garvaghy Road ist beeindruckend. Bewundernswert, wenn die Menschen ihr Engagement weiterführen und den Mut nicht verlieren.

Crossmaglen

Die letzte Etappe unserer Reise führt uns an die Grenze nach Crossmaglen. Die starke Militärpräsenz fällt sofort auf. Schon bei der Einfahrt in den Ort begegnet uns eine bewaffnete Armeepatrouille. Paradoxerweise ist die Militärpräsenz mit dem Waffenstillstand und trotz Karfreitagsabkommen für die Bevölkerung von Crossmaglen spürbarer geworden. Vorher war es für die britischen Soldaten zu gefährlich, sich dort ausserhalb der Militärposten zu bewegen.

Wir selber bekommen auch einen Eindruck von der starken Militarisierung der Gegend – jeden Morgen werden wir im Morgengrauen von einem Helicopter im Tiefflug geweckt.

An einem Abend beschliessen wir, uns ein Gaelic-Football-Spiel in der Nähe des Ortszentrums anzusehen. Ein riesiger Militärposten ragt bis dicht ans Spielfeld heran. Antennen ragen in alle Himmelsrichtungen und schwenkbare Kameras haben alles im Visier. Während des Spiels startet aus dem Komplex ein Helicopter und fliegt im Tiefstflug über das Spielfeld. Uns wird berichtet, daß dies nicht das erste mal gewesen sei und daß sich die Spieler deshalb sogar schon auf das Spielfeld hätten legen müssen. Der Helicopter fliegt nur kurz zu einem nahegelegenen „Hilltop“, einem Überwachungsposten, wie er auf zahlreichen Hügeln in South Armagh zu finden ist, und kehrt wieder zurück.

In Erinnerung wird mir auch der junge Soldat bleiben, dem wir auf unserem Weg nach Bessbrook begegnen. Die Landkarte verzeichnet eine durchgehende Strasse, unsere Fahrt wird aber durch Metallwände und eben jenen Soldaten gestoppt. Er wirkt als sei er halb so alt wie wir und meint, dies sei ein Armeeposten und hinter diesem gäbe es keinen Ort. Irgendwann schaltet sich sein Kollege vom Wachturm ein und bestätigt unsere Vermutung hinsichtlich des Ortes. Doch, sagt er, da sei schon ein Ort und wir könnten auch hindurch fahren, wir müssten aber warten, bis am anderen Ende Bescheid gesagt worden wäre. Wir warten also und können nach einiger Zeit mit unserem Mietwagen mit irischem Kennzeichen vorbei an freundlich grüssenden britischen Soldaten den Armeestützpunkt durchqueren. Das Leben inszeniert manchmal ungewöhnliche Szenarien.

Die Reise war in jeder Hinsicht beeindruckend. Beeindruckend waren besonders die Menschen, die uns so offen, freundlich, auskunfts- und hilfsbereit empfangen haben. Beeindruckend waren die Erlebnisse und Erfahrungen, die sie zu berichten hatten. Beeindruckend war die Art und Weise, wie sie mit dem Erlebten umgehen, vielfach in Engagement umsetzen und wie sie ihren Alltag bewältigen. In ganz positiver Erinnerung wird mir aber auch die Gruppe bleiben, mit der ich den Norden von Irland bereist und mit der ich einige bemerkenswerte Abende in irischen Pubs verbracht habe.

Unter dem Titel „Den Frieden in Nordirland sichern helfen“ wurde zu der Delegationsreise aufgerufen – ein sehr hochgestecktes Ziel. Wie die Gespräche immer wieder gezeigt haben, kann es dauerhaften Frieden in Nordirland nur durch soziale, wirtschaftliche und politische Gleichberechtigung der gesamten Bevölkerung geben. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg wird die Reform der heute noch zu 93% durch Protestanten vertretenen RUC sein, die sicherstellt, daß die Polizei ihrer Aufgabe in fairer, unabhängiger und rechenschaftspflichtiger Weise wahrnimmt.

Der Friedensprozess, der viele Hoffnungen hat aufkeimen lassen, steckt zur Zeit in einer schwierigen Phase. Für MenschenrechtsaktivistInnen gilt es nun, die weitere Entwicklung zu beobachten, die geknüpften Kontakte zu nutzen und – die Einhaltung der Menschenrechte sichern zu helfen!

Sandra