+++ Pro-britische Loyalisten greifen rumänische Familien und irische Anwohner in einem
südbelfaster Stadtviertel an +++ Die Polizei greift nicht ein +++ Anwohner demonstrieren
ihre Solidarität gegen die rassisitischen Angriffe +++ Loyalistische Paramilitärs angeblich
in Verhandlungen zur Vernichtung ihres Waffenarsenals +++
„Notfalls bewachen wir die Häuser“
Anwohner mobilisieren gegen rassistische Angriffe in Südbelfast
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Uschi Grandel, 22.06.2009
Die rassistischen übergriffe auf rumänische Familien in Belfast sorgten letzte Woche auch in
der deutschen Presse für Schlagzeilen. Mehr als hundert Rumänen waren gezwungen, in einer
Kirche Schutz vor den rassistischen Angriffen loyalistischer Schläger aus dem Stadtviertel
Village in Südbelfast zu suchen. Die Loyalisten griffen rumänische Familien in ihren Häusern an.
Eine Gang schmiss die Fensterscheiben ein und bedrohte eine schwangere Frau und ihre Kinder
mit einem Messer. Andere Familien wurden von einem bewaffneten Mann mit einer Pistole bedroht.
All dies ruft ein deprimierendes „deja vu“ Gefühl hervor. Denn die Täter tauchen nicht
plötzlich aus dem nichts auf. Es sind Teile derselben loyalistischen Gangs, die die
britische Regierung in London und ihre pro-britischen unionistischen Statthalter in
Belfast über Jahrzehnte als anti-irische Kampftruppen gegen den irisch-katholischen
Teil ihrer Bevölkerung missbraucht haben. Aufgehetzt zum Hass gegen alles, was nicht
protestantisch war und was Nordirland nicht für die britischste aller Provinzen der
Krone hielt, verging während der über 50-jährigen Alleinherrschaft der Unionisten in
Nordirland fast kein Jahrzehnt ohne rassistische Pogrome loyalistischer Paramilitärs
gegen irische Viertel. Geduldet durch die Polizei, aufgehetzt durch unionistische
Politiker, von den Medien (wenn überhaupt) als religöser Hass von Fanatikern beider
Seiten dargestellt. Zusätzlich hat diese, als „Sectarianism“ bezeichnete anti-irische
Form des Rassismus immer auch schon Einwanderer getroffen, italienische Familien,
später die chinesische Community, nun rumänische Einwanderer.
Polizei verhindert Angriffe nicht
Die Polizei verhinderte die Angriffe und die Vertreibung der rumänischen Familien nicht.
Sie hat sich bis zu zwei Stunden Zeit gelassen, bevor sie auf Hilferufe reagierte.
Auf manche reagierte sie gar nicht.
Erst im März dieses Jahres war ein Familienvater in einem irisch-katholischen Viertel
im nordirischen Coleraine von einem loyalistischen Mob zu Tode geprügelt worden. Die
Familie wirft der Polizei ebenfalls vor, nicht eingeschritten zu sein. Genausowenig
wie im Jahre 2005 in Aghohill, als die Polizei in einer zynischen Aktion Brandschutzdecken
an die Anwohner des irischen Viertels verteilte, das über Wochen von kleinen loyalistischen
Gangs jede Nacht mit Brandbomben angegriffen wurde. Das kleine Viertel zu schützen,
kam der Polizei nicht in den Sinn. Auch diesmal wurde neben den rumänischen Familien
auch wieder eine irische Familie aus dem Gebiet rund um die Lisburn Road vertrieben.
„Kill all taigs“ („Taigs“ ist ein verächtlicher Ausdruck für einen Bewohner der irischen
Viertel in Nordirland), schmierten sie an die Wände des Hauses.
Die Haltung der Polizei und die Nähe vieler Polizisten zu loyalistischen Banden ist
nach wie vor ein grosses Problem für den Konfliktlösungsprozess. Auch die Nachricht,
dass die grossen loyalistischen, paramilitärischen Gruppen UVF und UDA derzeit
im Rahmen des Friedensprozesses über die Vernichtung ihres Waffenarsenals verhandeln,
ist angesichts solcher Angriffe mit Vorsicht zu bewerten.
Solidarität der Anwohner mit den rumänischen Familien
Dagegen steht aber viel positives Engagement: Anwohner haben sich zusammengetan, um
Solidarität mit den rumänischen Familien zu zeigen und aktiv gegen weitere Angriffe
einzutreten. Ihre erste lokal organisierte Demonstration am 15. Juni, zu der einhundert
Menschen kamen, wurde von Loyalisten mit Flaschen angegriffen. Junge Männer grölten
Parolen der faschistischen, britischen Gruppen Combat 18 und BNP, die Verbindungen
zu beiden Gruppen sind aber eher lose.
Paddy Meehan, ein direkter Nachbar der vertriebenen rumänischen Familien, hatte bereits
nach dem ersten überfall am 12. Juni begonnen, Anwohner zum Schutz des Viertels vor
rassistischen überfällen zu mobilisieren.
„Bekannte Probleme“
Die Anwohner kritisieren die Polizei scharf, weil sie nichts unternommen hätte, die
rumänischen Familien zu schützen. Im Gegenteil, die Polizei hätte ihnen geraten, ihre
Häuser zu verlassen.
Der rassistische Mob feierte seinen Triumpf, indem der nach West
Belfast zog und auf dem dortigen Milltown Friedhof republikanische Gräber und Mahnmale
mit faschistischen Slogans schändete.
Der Sinn Fein Abgeordnete für West Belfast, Paul Maskey, verurteilte das Schweigen der
Unionisten zu den übergriffen:
"Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Hinweise zur Aufklärung dieser Angriffe aus der
unionistischen Community gegeben werden. Weder zur Schändung der republikanischen Gräber
und noch schlimmer, auch nicht zu den schändlichen Versuchen, die rumänischen Familien
aus der Stadt zu vertreiben. Rassistische überfälle aus den Reihen der unionistischen
Community in Belfast sind nicht neu und haben nicht in dieser Woche mit den Angriffen
auf die Rumänen angefangen. Dies sind seit langem bekannte Probleme, die weder von den
politischen Vertretern der Community noch von der Polizei ernsthaft angegangen werden.
Sonst gäbe es diese Angriffe seit Jahren nicht mehr.“
Am Sonntag fand eine zweite Solidaritäts-Demonstration unter Anwesenheit des stellvertretenden
First Ministers Martin Mc Guinness (Sinn Fein) statt, an der etwa 500 Menschen teilnahmen.
(S. auch die Berichterstattung der Irish Republican News und der lokalen Zeitung South
Belfast News vom 12.-20. Juni 2009. Fotos 1 und 2 aus der South Belfast News vom 20.6.2009,
Foto 3 des Denkmals zum Osteraufstand aus Belfast Telegraph vom 19.6.2009.)