Andersontown News, 19. November 2001, http://www.irelandclick.com/

Life in Alabama Ardoyne - eine Mutter erzählt

Original version

Während die Gewalt gegen Grundschulkinder in Ardoyne Tag für Tag fortgesetzt wird, hat eine der Mütter Klage gegen den britischen Nordirlandminister und die (nordirische Polizei) RUC erhoben, die inzwischen vom obersten Gericht in Belfast für zulässig erklärt wurde.

Die Mutter möchte nicht namentlich genannt werden, um sich selbst und ihre neunjährige Tochter vor Racheakten der Loyalisten (probritische Rechtsradikale, die die Gewalt gegen die Kinder organisieren) zu schützen.

Exklusiv erzählt die Ardoyner Mutter in ihrem Interview mit der (Belfaster Zeitung) Andersontown News ihre schrecklichen Erlebnisse und beschreibt den Missbrauch und die Gewalt, die so schlimm sind, dass man es fast nicht zu Papier bringen kann.    

"Als dies alles im Juni startete, sagten die Loyalisten in Glenbryn, sie hätten Beschwerden über mangelnden Service und über einen Vorfall, bei dem es um das Aufstellen einer loyalistischen Fahne ging.

Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung, ob sie wirklich ernst gemeinte Probleme haben, aber ich weiss, dass meine Tochter und die Kinder der Holy Cross Schule, gegen die der Protest seither unablässig gerichtet ist, nichts damit zu tun haben.

Am 19. Juni erlebte meine Tochter eine Szene, die ein Kind ihres Alters nie und nimmer erleben sollte: ein Mob von hundert bis hundertfünfzig Loyalisten, maskiert und bewaffnet mit Hämmern und Schlagstöcken, gröhlte  rassistische Beleidigungen und griffen einen Mann, der nicht weit von uns lebt, in seinem Auto an.

Meine Tochter sah zu, als sie die Scheiben einschlugen und versuchten ihn aus dem Auto zu ziehen. Sie hätten ihn wohl vor ihren Augen totgeschlagen.

Ich fand sie erst eine Stunde später, sie war kreideweiß, stand unter Schock und sprach kein Wort mehr bis zum nächsten Tag.

Andere Eltern wurden von der Polizei daran gehindert, ihre Kinder von der Schule abzuholen, sechs Polizei-Landrover am oberen Ende der Alliance Avenue hielten die Eltern auf.

Die (Polizei) RUC versuchte zu keinem Zeitpunkt, die Protestierer zur Seite zu bewegen, stattdessen sagten sie uns, die Kinder würden über die Crumlin Strasse (Hintereingang) nach Hause gebracht.

Am nächsten Tag wollte sie zuerst nicht zur Schule gehen, aber wir kamen sowieso nur bis zur Ladenpassage und trafen auf andere Eltern, die bereits auf dem Rückweg waren.

Der Mob war wieder da und die RUC hat die Eltern heimgeschickt. Sie könnten ihre Sicherheit nicht garantieren.

Das ging den Rest der Woche so weiter. Am 21. Juni habe ich sie gar nicht erst zur Schule gebracht, weil die Anwohner von Glenbryn erklärt hatten, sie liesen keinen durch.

Am Freitag morgen wurden wir erneut von der RUC weggeschickt, so gingen wir hintenrum über die Crumlin Strasse zur Schule.

Auf unserem Heimweg fuhr ein Auto auf uns zu und stoppte ca. einen Meter vor mir und meiner Tocher.

Sie beschimpften uns als irische Bastarde und sagten, sie würden uns schon kriegen. Sechs Polizeioffiziere standen in der Nähe, machten aber keine Anstalten, die Loyalisten aufzuhalten oder gar festzunehmen. Sie standen einfach da und sahen zu.

Ich war zu Tode erschrocken, nicht wegen mir, sondern wegen der Sicherheit meiner Tochter. Jetzt wurde mir klar, dass der Weg über die Crumlin Strasse nicht sicher war, obwohl es zu der Zeit der einzige von der Polizei zugelassene Weg war.

Als nach einer Woche die Proteste noch immer nicht beendet waren, wurde entschieden, die Schule vorzeitig zu schliessen. Die Hoffnung war, die Sommerferien würden die Gemüter beruhigen und die Kinder könnten nach den Sommerferien wieder ohne Furcht zur Schule gehen.

Die Eltern hatten den Eindruck, dass die Rädelsführer für ihre Straftaten, die sie während des Protests im Juni begangen hatten, verhaftet und vor Gericht gestellt würden. In den Sommermonaten fanden Gespräche zwischen Eltern, loyalistischen Protestierern und Vertretern der beiden Gemeinden statt.

Die Gespräche verliefen ohne Ergebnis und am 3. September begann das neue Schuljahr mit einem Ausbruch an Hass und Gewalt gegen unsere Kinder, mit dem keiner rechnen konnte. Das Schuljahr startete und keiner von uns dachte, dass es so schrecklich werden würde, ja überhaupt werden konnte. Am ersten Tag schrien sie unter anderem "IRA Bastarde", und griffen durch die Polizeireihen nach den Kindern.

Die Leute brüllten den Kindern Schimpfwörter zu, ich nahm meine Tochter unter meinen Mantel, um sie zu beschützen, aber sie schluchste. Sie warfen mit Ziegelsteinen und Flaschen nach uns, die Polizei machte nicht einmal Anstalten, sie daran zu hindern. Sie brüllten uns zu, "heute abend schiess ich Dir eine Kugel in den Kopf".

Seither sind wir einer Unzahl an kriminellen Taten ausgesetzt, der tag, an dem sie eine Bombe geworfen haben, war einer der schlimmsten Tage. Einige Minuten vorher hatten Jugendliche aus Glenbryn Steine geworfen und die Soldaten hatten ihre Schilder gehoben,um sich zu schützen.

Ohne diese Bewegung wäre ein Kind von der Bombe verletzt oder gar getötet worden. Sie haben uns mit Feuerwerkskörpern, Krachern, Steinen, Ziegelsteinen, Flaschen, Müll beworfen, mit  Luftballons, die mit Urin gefüllt waren, mit Hundekot, mit Rohr-und Streubomben. Sie haben Poster hochgehalten und die Kinder mit pädophilen pornographischen Bildern beworfen. Sie haben Kinder bespuckt und wurden so nahe an uns herangelassen, dass ein Mann einem kleinen Mädchen Speichel ins Gesicht schmieren konnte.

Sie haben die Kinder mit Beleidigungen überschüttet, sie als hässlich verhöhnt und ihnen widerliche Verleumdungen  über ihre Väter zugerufen, Dinge, von denen man nie glauben würde, dass ein Erwachsener sie einem kleinen Mädchen zubrüllt.

Meine Tochter hat Worte gehört, die nicht mal ein Betrunkener sagt. Alte Frauen, die euere Großmütter sein könnten, haben uns als Schlampen und Huren beschimpft und geschrien: "wir hätten euch schon vor Jahren abfackeln sollen".

Ich bin der festen Überzeugung, dass nichts von alledem passiert wäre, wenn sie nicht die Erlaubnis gehabt hätten, uns ohne jede Abschirmung so nahe zu kommen.

Anstelle einer normalen Mutter bin ich nun eine Mutter, die in Sorge um das Leben ihres Kindes lebt. Ich musste (aus Sicherheitsgründen) mein Haus verlassen. Ich bringe mein Kind jeden Tag zur Schule im Angesicht von Gewehren und Kameras, die gegen uns gerichtet sind. An manchen Tagen wählen sie eine Mutter mit einem Kind aus, folgen ihnen den ganzen Weg lang und bedrohen sie. Das ist wirklich schlimm, wenn sie das tun.

Sie haben direkt über die Köpfe der RUC hinweg heissen Tee geschüttet und während der ganzen Zeit gab es lediglich acht Verhaftungen. Drei wurden unter Auflage entlassen, sich nicht mehr an den Protesten zu beteiligen, sie sind aber trotzdem da.

Wir werden kontinuierlich unmenschlich behandelt und gedemütigt. Was mich am meisten schmerzt, ist die Tatsache, dass es nicht viele Massnahmen bräuchte, um den Kindern einen gewissen Schutz zukommen zu lassen.

Die Errichtung von Abschirmungen, wie sie für die Paraden am 12. Juli verwendet werden, hätte uns längst von diesen Albträumen erlösen können, für die immer noch kein Ende in Sicht ist.

Ich hoffe zutiefst, dass meine Klage dies ein für alle mal  beendet, und wir zur Normalität zurückkehren können.   

Und dass die Wunden, die meiner Tochter und den anderen Mädchen von Holy Cross zugefügt wurden, zu heilen anfangen können.

Journalist: Staff Reporter

Übersetzung: Uschi Grandel, 20.11.2001, Text in Klammern dient der Erläuterung