Im folgenden dokumentieren wir die Rede des Präsidenten der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin, Gerry Adams,
auf einer Veranstaltung der Tim Parry Johnathan Ball Foundation for Peace am 31. Oktober 2007.
Die Stiftung trägt den Namen zweier Kinder - des Schuljungen Tim Parry und des Babys Johnathan Ball.
Beide Kinder wurden durch Bomben der IRA in Warrington
im Jahr 1993 getötet. Gerry Adams traf die Eltern von Tim Parry, Colin und Wendy Parry, auf der Veranstaltung.
Er wiederholte bei diesem Anlass eine schon früher ausgesprochene Entschuldigung bei Colin und Wendy Parry
für den Tod ihres Sohnes und für den Tod aller anderen Zivilisten.
Gerry Adams stellt das Thema Konfliktlösung in den Mittelpunkt seiner Rede. In der heutigen Situation sich zuspitzender
weltweiter Konflikte sind die Lehren hochaktuell, die wir aus dem anglo-irischen Konflikt ziehen können. Die Erosion von
Bürgerrechten als angeblich notwendige Maßnahme im sogenannten Anti-Terrorkampf, das ist leider nicht nur ein Blick in die
letzten 35 Konfliktjahre in Nordirland, sondern auch in unsere Gegenwart. Die Aufarbeitung des Konflikts aus Sicht der Opfer
ist eines der anstehenden ungelösten Probleme. Eines der schwierigsten Kapitel ist dabei der Umgang mit Verbrechen, die von
staatlichen Stellen begangen wurden. Gerry Adams betont die Notwendigkeit der Unabhängigkeit eines solchen
Wahrheitsfindungsprozesses:
Die Vereinten Nationen oder eine Organisation vergleichbarer Reputation könnten hier involviert werden ..." |
'Alles, was eine Regierung und ihre ausführenden Organe tun, um Aufstände zu bekämpfen, muss legitim sein. Das heisst jedoch nicht, dass die Regierung während eines Notstandes im selben gesetzlichen Rahmen handeln muss, der zuvor existierte. Das Gesetz sollte als weitere Waffe im Arsenal der Regierung Verwendung finden. Es ist dann wenig mehr als eine propagandistische Hülle zur Beseitigung unliebsamer Teile der Bevölkerung.'Tausende wurden getötet und verletzt, Zehntausende eingesperrt, viele ohne Gerichtsverfahren, es gab Zerstörungen in grossem Ausmass, eine Unmenge neuer, repressiver Gesetze wurde eingeführt, darunter auch Gesetze zur Medienzensur. Der britische Staat institutionalisierte eine weitgehende Zusammenarbeit zwischen britischen staatlichen Militäreinheiten und unionistischen Todesschwadronen. Dies beinhaltete die Weitergabe persönlicher Daten von Bürgern an unionistische Paramilitärs durch britische Regierungsstellen, die Weitergabe von Waffen und das Training mit diesen Waffen. Hunderte Bürger wurden durch diese Politik ermordet. Mitte bis Ende der 1970er Jahre war es klar, dass es eine militärische Pattsituation gab. Die Briten konnten die IRA nicht besiegen - die IRA konnte die Briten nicht militärisch besiegen. Die Gewalt ging weiter, während beide Seiten versuchten, neue Strategien, neue Taktiken und tödlichere Waffen zu entwickeln, um den anderen zu töten. In der (irisch-)republikanischen Bewegung war der bewaffnete Kampf die dominierende Richtung. Die vorherrschende Überzeugung war, dass nur die IRA in der Lage sei, die britische Regierung zu bewegen. Es mag Zweifel und ernste Vorbehalte zu einzelnen militärischen Operationen gegeben haben, aber es gab keine wirkliche Kritik am bewaffneten Kampf. Es wurde akzeptiert, dass dies eben so sei.
'Diejenigen Republikaner, die sich am bewaffneten Kampf beteiligen oder die die Legitimität des bewaffneten Kampfes für die irische Unabhängigkeit verteidigen, tun dies nicht, weil sie auf physikalische Gewalt fixiert sind, sondern weil sie dies als einzigen Weg sehen. Diejenigen, die diese Taktik moralisch verdammen, haben die Pflicht, einen alternativen Weg aufzuzeigen, durch den die irische Unabhängigkeit erreicht werden kann. Ich würde gerne eine solche Alternative prüfen.'Ich muss sagen, dass es mir und auch anderen in unserer Führung sehr schnell klar wurde, dass nichts passieren würde, wenn wir darauf warteten, dass unsere politischen Opponenten Alternativen präsentierten. Sie waren in ihrer Denkweise gefangen. Ihr Hauptziel war, die republikanische Bewegung zu schlagen. Aber langsam und in sehr privaten Diskussionen begannen wir, auf Einzelne zuzugehen. John Hume. Einzelne Mitglieder der protestantischen Kirchen. Als Ergebnis waren wir Anfang der 1990er Jahre in Kontakt mit der irischen Regierung, und durch Freunde in den USA festigten wir Kontakte zu Irish America und durch sie später zum US Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton. Auf diesem Weg begannen wir langsam, unter grossen Schwierigkeiten, ein Paket zu schnüren, dass die Möglichkeit einer Alternative zum Krieg beinhaltete. Die Position der IRA war, den Krieg fortzuführen. Die Führung der IRA war offen gegenüber der Idee, einen Friedensprozess zu unterstützen, aber sie stand auch zur Weiterführung des bewaffneten Kampfes. Im Wesentlichen hatte die Führung der IRA zu entscheiden, ob das Paket - die Alternative - die Möglichkeit bietet, republikanische und demokratische Ziele zu erreichen. Meine Aufgabe und die von Martin McGuinness bestand darin, die Führung der IRA zu überzeugen, dass ein Ende bewaffneter Aktionen nicht heisst, republikanische Ziele aufzugeben. Es heisst vielmehr, einen unbewaffneten Kampf zu führen, in dem republikanische und demokratische Ziele mit friedlichen und demokratischen Mitteln verfolgt werden können. Die Führung der IRA stimmte zu und der darauffolgende Waffenstillstand (1994) hielt eineinhalb Jahre. Die (damalige britische) Regierung Major versagte und stellte sich dieser Herausforderung nicht. Die neue Regierung Blair engagierte sich im Mai 1997. Ein neuer Waffenstillstand im Juli desselben Jahres startete einen Prozess, der in weniger als einem Jahr zum Karfreitagsabkommen führte. Es ist natürlich eine Sache, das Abkommen zu schliessen, eine andere, es auch umzusetzen. Auch hier sind Geduld, Hartnäckigkeit, ein Bereitschaft zu riskanten Entscheidungen und zu neuen Initiativen unerlässlich. Der Prozess hatte seine Höhen und Tiefen. Es gab schwerwiegende Versuche einiger unionistischer Politiker, unionistischer Paramilitärs, sowie einiger Elemente des britischen militärisch und politischen Systems, den Prozess zu Fall zu bringen. Es gibt eine kleine Anzahl sogenannter 'republikanischer Dissidenten', die den Prozess ebenfalls ablehnen. Im April 2005 konnte ich in einer Rede darauf hinweisen, dass nun eine Alternative zum bewaffneten Kampf vorhanden sei. Ich habe an die IRA appelliert, 'diese Alternative voll anzuerkennen und zu akzeptieren'. Ein paar Monate später, im July ordnete die IRA formal ein Ende ihrer bewaffneten Kampagne an. Im September bestätigte die Independent International Commission on Decommissioning, die IRA und zwei Zeugen, dass der Prozess der Waffenvernichtung abgeschlossen sei. Es kostete zwei weitere zermürbende Jahre an Verhandlungen, bevor Ian Paisley und ich dieses Jahr im März ein Abkommen zur Zusammenarbeit in den politischen Institutionen schlossen. Im Mai wurden dann die gemeinsame Regionalregierung, das Parlament, die gesamtirischen Institutionen und grenzübergreifenden Organisationen vollständig wiedereingesetzt. Ian Paisley als First Minister und Martin McGuinness als Deputy First Minister leiten nun - gleichberechtigt - die neuen Institutionen im Norden.
"Gegen niemanden mit Hass, mit Mitgefühl für alle, entschlossen, das Richtige zu tun, so wie Gott es uns ermöglicht, das Richtige zu sehen, lasst uns die Wunden der Nation verbinden, für den sorgen, der die Last des Kampfes getragen hat, und auch für seine Witwe und seine Waisen, lasst uns alles zu tun, wodurch wir einen gerechten und dauerhaften Frieden ermöglichen und wahren, unter uns und mit allen anderen Völkern.Als irischer Republikaner und Demokrat bleibe ich überzeugt, dass die Menschen in Irland das Recht haben, unsere eigene Zukunft ohne Einmischung von aussen selbst zu bestimmen. Aus meiner Sicht ist es für unsere Zukunft am besten, die Union (mit Grossbritannien) zu beenden und die Teilung des Landes aufzuheben. Es gibt nun einen demokratischen und friedlichen Weg, diese Ziele zu erreichen. Das heisst, die Gesellschaft und Politik in Irland so zu gestalten, dass alle Teile unserer Bevölkerung sicher sind und respektiert werden. Das, meine Freunde, ist unsere Aufgabe - das wollen wir erreichen. Abschliessend möchte ich nochmals Colin und Wendy für die Möglichkeit danken, heute hier zu reden. Und ich möchte Euch nochmals für die bewundernswerte Würde danken, mit der Ihr den schrecklichen Verlust Eueres Sohnes Tim tragt.