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Irakische Politiker, Aufständische und Milizen trafen sich Anfang September in Finnland mit Repräsentanten des irischen und des südafrikanischen Friedensprozesses. Leiter der nordirischen Delegation war Martin McGuinness, während des irischen Friedensprozesses Chefunterhändler der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin und derzeit gemeinsam mit dem alten Mann der DUP, Ian Paisley, Chef der nordirischen Regionalregierung. Weitere Delegationsmitglieder waren der ehemalige IRA Hungerstreiker und jetzige Sinn Féin Mitarbeiter Leo Green, Jeffery Donaldson von der DUP, der frühere Chef der Alliance Party John Alderdice und der Loyalisten Billy Hutchinson.

Die politische Bedeutung solcher Initiativen als mögliche Kristallisationspunkte für Konfliktlösungsprozesse, in denen die Menschen der betroffenen Regionen wieder von Objekten zu politischen Entscheidern werden, die einheimische Bevölkerung eine politische Stimme zurückgewinnt, scheint in deutlich umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Berichtswürdigkeit zu stehen. Ziemlich einseitig macht sich in Diskussionen hierzulande eine (alt)koloniale Mentalität breit, die Konfliktlösung mit militärischer Befriedung verwechselt.

"Die Südafrikaner und wir waren uns einig, dass wir die Möglichkeit wahrnehmen, unsere Erfahrungen darzustellen, den Teilnehmern jedoch dadurch am besten nutzen, dass wir niemandem vorschreiben, wie der Konflikt im Irak gelöst werden müsse," berichtet Martin McGuinness, der gemeinsam mit dem Südafrikaner Roelf Meyer die Diskussionen des Treffens moderierte.

Das folgende Interview mit Martin McGuinness wurde von uns ins Deutsche übersetzt und ist im Original in der englischsprachigen Sektion unserer Webseite und in den Sinn Féin News vom 10. September zu finden.


Sinn Féin News, 10.9.2007

Irakische Politiker, Aufständische und Milizen treffen sich mit Repräsentanten des irischen und des südafrikanischen Friedensprozesses:

Das Abkommen von Helsinki macht Hoffnung für die Zukunft

"Von Anfang an machten die (irakischen) Teilnehmer uns klar, dass sie Regierungen gleich welcher Art nicht trauen, dass sie jedoch beachtliches Vertrauen in die Repräsentanten aus Südafrika und Irland hatten, die gekommen waren, um mit ihnen zu reden. Das zeigt den Grad an Argwohn und Bedenken über Einmischung in ihr Land von aussen."
Martin McGuinness, Sinn Féin Chefunterhändler im irischen Friedensprozess und derzeit gemeinsam mit Ian Paisley (DUP) Chef der nordirischen Regionalregierung.

Letzte Woche wurde bekannt, dass führende Repräsentanten irakischer politischer Parteien und verschiedener anderer am Konflikt beteiligten Gruppen sich an einem geheimen Ort in Finnland getroffen haben. Martin McGuinness, Deputy First Minister der nordirischen Regionalregierung und der frühere südafrikanische Minister Roelf Meyer moderierten die Diskussionen. Eine Bedingung für das Treffen war, dass keine Verteter der Länder anwesend sind, die sich an der derzeitigen militärischen Besetzung des Irak beteiligen. Repräsentanten verschiedener sunnitischen und schiitischen Gruppen nahmen teil.

Die Teilnehmer erklärten, robuste Eckpunkte für ein dauerhaftes Abkommen erarbeiten zu wollen. Die Anwesenden einigten sich auf eine Reihe von Empfehlungen, um Verhandlungen zur nationalen Versöhnung zu beginnen. Diese Empfehlungen sind im sogenannten Abkommen von Helsinki festgehalten. Die Prinzipien der Inklusivität, der Teilung der Macht, und die Verpflichtung, nicht länger Gewalt als Mittel zur Lösung politischer Differenzen zu nutzen, waren einige der wichtigsten Festlegungen, die allgemeine Zustimmung fanden.

Zusammengebracht wurde die Gruppe von der John W. McCormack Graduate School of Policy Studies at the University of Massachusetts -- Boston. Mitgeholfen hatte die Crisis Management Initiative (CMI), die vom ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari geleitet wird. Die irakischen Delegierten wurden von Repräsentanten der Friedensprozesse in Irland und Südafrika dabei unterstützt, die gegenwärtige Situation im Irak zu analysieren. Die Verhandlungen hatten ausserdem als Ziel, internationale und regionale Einmischung in irakische Angelegenheiten zu beenden.

In einem Interview am letzten Mittwoch erläuterte Martin McGuinness: "Ich wurde vor einigen Wochen von Cyril Ramaphosa kontaktiert, der Nelson Mandelas Chefunterhändler während der Verhandlungen in Südafrika war. Cyril gab mir zu verstehen, dass Schlüsselpersonen aus Irland und Südafrika eingeladen werden sollten, eine grössere Gruppe von Politikern und anderen einflussreichen Personen aus dem Irak zu treffen, um über die Erfahrungen aus Südafrika und Irland zu reden."

Nachdem sie sich von der Ernsthaftigkeit und Bedeutung der Delegation überzeugt hatten, entschieden sie sich dafür, deren Beratungen zu unterstützen, erklärte McGuinness.

"Die Südafrikaner und wir waren uns einig, dass wir die Möglichkeit wahrnehmen, unsere Erfahrungen darzustellen, den Teilnehmern jedoch dadurch am besten nutzen, dass wir niemandem vorschreiben, wie der Konflikt im Irak gelöst werden müsse. Wenn die Teilnehmer jedoch Aspekte unserer Erfahrung nützlich finden, würden wir diese gerne weitergeben."

McGuinness bestätigte (der Sinn Féin Wochenzeitung) An Phoblacht, dass er alle Diskussionen in Finnland gemeinsam mit Roelf Meyer aus Südafrika geleitet habe. Er sagte, die Rolle der Moderatoren der Veranstaltung war es, fundamentale Prinzipien zu identifizieren, zu denen eine Einigung möglich war und die die Teilnehmer dann auch als Eckpunkte für weitere Verhandlungen nutzen konnten.

"Es war sehr erfreulich, dass sich die Teilnehmer am Ende der Veranstaltung dazu verpflichteten, tragfähige Schritte in Richtung einer dauerhaften Einigung zu unternehmen. Übereinstimmend beschlossen sie eine Reihe an Eckpunkten, auf Basis derer Verhandlungen zur nationalen Versöhnung beginnen können. Diese Eckpunkte wurden niedergeschrieben und sind nun als Abkommen von Helsinki bekannt."

McGuinness sagte, die irakische Delegation umfasste politische Repräsentanten der Sunniten und der Schiiten. Offensichtlich waren sie alle "sehr beeindruckt von dem politischen Durchbruch in Irland vor einigen wenigen Monaten". Die Teilnehmer seien sehr interessiert daran gewesen, aus der irischen Situation etwas zu lernen. Martin McGuinness, der DUP Abgeordnete Jeffrey Donaldson und weitere Mitglieder der irischen Delegation gaben den Teilnehmern etliche Erfahrungsberichte.

"Ich betonte die Notwendigkeit der Führung. Dass positive Führung ein absolutes Muss in der Entwicklung jedes Friedensprozesses ist. Auch ein weiterer Punkt ist von höchster Bedeutung. Sobald akzeptiert ist, dass ein Friedensprozess nötig ist, ist grösste Eile geboten, ihn so schnell wie möglich aufzusetzen.

Ganz offensichtlich ist die Situation im Irak derzeit sehr düster. Aber diese Menschen verbindet, dass sie sich alle als Iraker sehen, dass sie inzwischen alle einen Prozess inklusiver Verhandlungen befürworten; dass dies alle politischen Kräfte im Irak, sowie Aufständische und Milizen, einschliessen sollte; dass sie ausserdem die Notwendigkeit akzeptieren, gemeinsam vorwärts zu gehen und so schnell wie möglich ein Abkommen zu erzielen.

Sie wollen eine vereinigte irakische Armee, eine vereinigte Polizei, ein vereinigtes politisches System, in das sich jeder einbringen kann. Und ganz offensichtlich steht all dies vor dem Hintergrund beachtlicher Furcht im Land - die Furcht der Schiiten vor Versuchen einer wiederbelebten Ba'ath Partei, das Land erneut zu übernehmen, natürlich auch die Furcht der Sunniten, dass sie nicht gleiche Rechte haben, sondern diskriminiert und ausgeschlossen werden würden.

Wir hatten sehr ausführliche Diskussionen um all diese Fragen. Am Ende erreichten wir eine Einigung auf zwölf Prinzipien, die jedem zugänglich sind und die inzwischen als Helsinki Abkommen bekannt sind.

Von Anfang an machten die (irakischen) Teilnehmer uns klar, dass sie Regierungen gleich welcher Art nicht trauen, dass sie jedoch beachtliches Vertrauen in die Repräsentanten aus Südafrika und Irland hatten, die gekommen waren, um mit ihnen zu reden. Das zeigt den Grad an Argwohn und Bedenken über Einmischung in ihr Land von aussen."

McGuinness ist überzeugt, dass er mit Irakern zu tun hatte, die bedeutenden Einfluss auf den Konflikt haben. Auf die Frage, ob ihm die Gespräche Hoffnung für die Zukunft des Irak geben, sagte McGuinness:

"Auf jeden Fall. Die Erfahrung war hervorragend. Es wurde sehr klar, dass unser Engagement zusammen mit den Repräsentanten aus Südafrika auf die irakische Delegation einen nachhaltigen Eindruck machte. Und letztendlich haben die Teilnehmer bekräftigt, dass sie diesen Prozess fortsetzen wollen. Deshalb denke ich, dass er weitergehen wird."

Die von Martin McGuinness geleitete nordirische Delegation umfasste ausserdem den ehemaligen IRA Hungerstreiker und Sinn Fein Mitarbeiter Leo Green, Jeffery Donaldson von der DUP, den früheren Chef der Alliance Party John Alderdice und den Loyalisten Billy Hutchinson. Aus dem Führungskreis des ANC nahm Mac Maharaj an dem Treffen teil.


Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 18. September 2007 (Erläuterungen in Klammern)

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