Die Wahrheit kostet Nichts - Vertuschen kostet Millionen!
Demonstranten aus den nördlichen Stadtvierteln Belfasts, aus Ardoyne, Ligoniel, Bone, New Lodge, Carrickhill und
Greencastle tragen Poster derjenigen, die aus ihren Vierteln von Polizei, britischer Armee und pro-britischen
loyalistischen Todesschwadronen ermordet wurden. In kaum einem der Fälle gab es je Ermittlungen, einen
Prozess oder Verurteilungen. Als hätten die Menschen, die oft unter nie geklärten Umständen in ihrer Wohnung
oder auf dem Weg nach Hause von britischen Soldaten oder pro-britischen Todesschwadronen ermordet wurden,
nie existiert. An Fhirinne - das ist das irische Wort für Wahrheit - fordern die Demonstranten.
(Fotos und Bildunterschrift: Uschi Grandel)
Tausende fordern Aufklärung
von Evan Short (Belfast, Andersonstown News, 13.8.2007)
Tausende Demonstranten forderten gestern von der britischen Regierung, endlich offenzulegen, welchen
Anteil sie an der Ermorderung von (irischen) Nationalisten und Republikanern während der letzten 40 Jahre
hatte.
Mehr als 7000 Demonstranten aus ganz Irland, darunter Angehörige der Opfer, marschierten in einem
Sternmarsch zur Belfaster City Hall, mit der Forderung, die britische Regierung müsse endlich
zugeben, dass eine ihrer Methoden (in Nordirland) die Steuerung loyalistischer
(pro-britischer, unionistischer) Mördergangs war. Vertreter verschiedener Initiativen berichteten den Teilnehmern
des Sternmarsches von den Schwierigkeiten, die Wahrheit
über die Morde an ihren Angehörigen herauszufinden. Gerry Adams versprach in seiner Rede, Sinn Féin werde dieses Thema
in den Gesprächen mit der britischen Regierung weiterhin mit Nachdruck zur Sprache bringen.
"In einem allumfassenden und ernstgemeinten Prozess der Versöhnung muss sich die
britische Regierung zu ihrer Verantwortung bekennen", sagte der Westminster-Abgeordnete für West Belfast.
"Es ist im Interesse aller hier lebenden Menschen, dass ein ernstgemeinter und erfolgreicher Prozess der Versöhnung erfolgt,
und alle politischen Führer haben die Verantwortung, diesen zu fördern. "Das setzt voraus, über begrenzte,
parteipolitische Interessen und Egoismen hinaus zu denken," erläuterte Gerry Adams weiter.
Aus vier Himmelsrichtungen marschierten die Demonstranten gestern zur City Hall, um von der britischen
Regierung zu verlangen, dass sie sich zu ihrer Rolle an der Ermordung ihrer eigenen Bürger bekenne.
In strahlendem Sonnenschein hörten die Teilnehmerzu, wie Familienangehörige von Opfern staatlicher Gewalt vom
Leid sprachen, das ihnen die britische Regierung zugefügt hatte. Sie berichteten von der (britischen) Strategie,
loyalistische Mördergangs einzusetzen, um die nationalistische und republikanische Community anzugreifen.
Die Demonstranten kamen aus allen Altersgruppen und trugen Poster der Opfer und
ihnen zu Ehren eine schwarze Schleife. Als der Zug vorbeimarschierte, waren auch die Namen der Opfer aus West Belfast,
wie z.B. Pearse Jordan, Pat Finucane und Tony Fusco unter denen zu finden, die ihrer Lieben gedachten.
Erinnerungen
Die Tochter des Sinn Féin Abgeordneten Eddie Fullerton aus Donegal (in der Republik Irland) war die erste Sprecherin.
Die Geschichte, die sie erzählte, klang für viele der Zuhörer allzu altbekannt. Sie beschrieb, wie Loyalisten
mit Vorschlaghämmern die Tür zur Wohnung ihrer Eltern einschlugen, ihn und seine Frau im Bett vorfanden und ihn dort erschossen.
Ihre Erinnerung an die desinteressierten Justizsysteme in beiden Teilen der Insel, Nord und Süd, erschütterte die Demonstranten.
"Verschiedene Recherchen von Journalisten haben Beziehungen zwischen den Geheimdiensten der britischen Armee und ihren Agenten
in den loyalistischen Gangs, die für den Mord an meinem Vater verantwortlich waren, aufgezeigt," sagte Amanda Fullerton.
"Vor vier Jahren erhielten wir Informationen, die die Zusammenarbeit zwischen den Loyalisten und der (nordirischen Polizei) RUC
bestätigten. Wir wissen mittlerweile, dass auch die (irische Polizei) Garda Síochána diese Informationen erhalten hat, aber nichts
daraufhin unternahm. Sie haben uns immer gesagt, die Grenze (zwischen der Republik Irland und Nordirland) sei ein grösseres Problem
für die Ermittlungen. Wir wissen nun, dass die Grenze kein grösseres Problem darstellte."
Nach Amanda sprach Mark Thompson, der Direktor der Gruppe Relatives for Justice, der selbst einen Bruder durch loyalistische
Todesschwadronen verloren hatte.
Morde
Er sagte, dass Versuche von Republikanern und Nationalisten, ihre Bürgerrechte durch öffentliche Demonstrationen einzufordern,
schon immer zu heftigen Reaktionen der Briten und ihrer Vertreter innerhalb des Loyalismus geführt haben.
"Die UDA und die UFF ermordeten mehr als hundert Menschen allein in dieser Stadt. Die meisten wurden von Informanten getötet,
die für die britische Regierung arbeiteten - das war Strategie.
Diese Agenten waren daran beteiligt, Waffenlieferungen (nach Nordirland) zu organisieren. Mit diesen Waffen wurden über 300
Menschen in Nordirland getötet - das war Strategie.
Gerry Adams betonte in seiner Rede, das Thema Wahrheit werde zentraler Bestandteil künftiger Verhandlungen mit den Briten
sein.
"Das Anliegen dieser Demonstration ist es, das Augenmerk auf Collusion und britischen staatlichen Terror als (bewusste) Strategie
zu lenken. Diese Strategie hatte Tausende von Opfern zur Folge, die getötet wurden, verletzt wurden oder um Angehörige
trauern mussten. Wir wollen das Augenmerk auf die administrative und institutionalisierte Verschleierungstaktik der britischen
Regierung und ihrer staatlichen Stellen lenken.
Eine schwarze Schleife
"Die schwarze Schleife ist das Symbol dieser Veranstaltung. Sie heute zu tragen, ist ein Akt der Solidarität mit den Opfern,
ihren Familien und den Gruppen, die für Aufklärung kämpfen.
Sie ist ausserdem ein klares Signal an den britischen Staat, dass wir entschlossen sind, die Wahrheit ans Licht zu bringen,"
fügt er hinzu.
"Wir sind entschlossen, diese Kampagne zu führen, auch wenn es lange dauern wird, bis der britische Staat zugibt, dass er
Todesschwadronen und staatlichen Terror administrativ und institutionalisiert einsetzte."
Er sagte weiterhin, dass die Manipulation von Mitgliedern der republikanischen Bewegung durch die Briten genauso
aufgedeckt werden müsse.
"Ja, die Briten brachten einzelne Republikaner durch Erpressung, Betrug, Einschüchterung und Bestechung dazu, für sie zu
arbeiten. Aus meiner Sicht ist es richtig, auch diese Dimension der britischen Strategie zu untersuchen.
"Wenn der britische Staat ehemalige Republikaner dazu benutzt hat, in seinem Auftrag zu morden, dann haben die Opfer dieser
Politik ebenso das Recht auf Wahrheit wie alle anderen."
Collusion - Einsatz von Todesschwadronen
"Organisationen zu infiltrieren, die Taktik des 'spalte und herrsche', die Todesschwadronen, sind schon lange ein
Kennzeichen britischer Strategie.
Aber wenn Anti-Republikaner die Strategie, republikanische Organisationen zu infiltrieren, gleichsetzen mit
der strukturierten Kontrolle und Lenkung unionistischer (pro-britischer) Paramilitärs als Teil der britischen
Kriegsmaschinerie, dann ist das unredlich."
Gerry Adams fügte hinzu, dass die vielen Demonstranten in der (Belfaster) Innenstadt zeigen, dass die Strategie des Einsatzes
von Todesschwadronen, wie auch der britische Militarismus in Irland, gescheitert sind.
"Beide Strategien haben einiges gemeinsam - sie sollten den Republikanismus besiegen. Sie scheiterten. Sie haben ihr Ziel
nicht erreicht. Sie werden es nie erreichen," fügte er hinzu.
Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 1. September 2007
(Erläuterungen in Klammern)