Im Januar 2007 veröffentlichte die Polizei-Ombudsfrau für Nordirland, Nuala
O'Loan, ihren Untersuchungsbericht zur Zusammenarbeit der früheren
Polizeisondereinheit RUC Special Branch, der britischen Geheimdienste und
unionistischer, pro-britischer Todesschwadronen der UVF (Ulster Volunteer Force) und UDA
(Ulster Defence Association). Das Stichwort hierzu ist "Collusion".
Der Bericht war keinesfalls der erste seiner Art. Neu ist, dass
er in voller Länge veröffentlicht wurde. Berge an unveröffentlichten
Berichten wurden über die Jahre in den verschiedenen Untersuchungen
gesammelt - und vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Die britische
Regierung hat sich immer geweigert, Collusion-Vorwürfe anzuerkennen und zu
untersuchen. Durch öffentlichen Druck wurden über die vergangenen Jahre
viele Untersuchungen erzwungen. In diesen Fällen bestand die
Schadensminimierung darin, so viele Ergebnisse wie möglich aus "nationalem
Interesse" unter Verschluss zu halten.
Nuala O'Loan's Bericht ist die Spitze eines gigantischen Eisbergs. Die
Zusammenarbeit zwischen britischen staatlichen Stellen und pro-britischen
Todesschwadronen war ein Instrument britischer Politik in Irland. Während nach aussen der Konflikt als
Katholiken gegen Protestanten porträtiert wurde, wurden die pro-britischen, protestantischen
Killerkommandos von ihren Führungsoffizieren in der britischen Armee, den britischen Geheimdiensten und
der nordirischen Polizei gelenkt. Der Terror der selbsternannten Hüter der Zugehörigkeit zu Grossbritannien
traf immer schon neben den Bewohnern irischer Viertel, mehrheitlich Katholiken, und ihren politischen
Vertretern auch Protestanten. Zum Thema "Collusion" gehört auch, dass die Polizei nicht eingreift,
wenn UDA und UVF die protestantischen Arbeiterviertel, in denen sie leben, terrorisieren, kontrollieren
und ausbluten.
Dass "Collusion" nicht der Vergangenheit angehört, zeigt der folgende Bericht.
Sunday Business Post , 22. April 2007
Spionagering der UVF besaß Dossiers über 116 Personen
von Colm Heatley in Belfast
Am vergangenen Samstag besuchten kurz nach 9.00 Uhr zwei Polizisten Mark
Thompson in seinem Haus in Belfast, um ihm Nachrichten zu überbringen, die
er "sehr ernst" nehmen solle.
Eine solche Szene hatten viele aufgrund der aktuellen politischen
Entwicklungen für vergangen gehalten. Thompson, einem
Menschenrechtsaktivisten und Mitglied der Initiative
Relatives for Justice ,
wurde mitgeteilt, dass die Ulster Volunteer Force persönliche Daten über ihn
besitze und sein Leben ernstlich in Gefahr sei. Thompson, der fünf Kinder
hat, wurde gesagt, er solle angemessene Sicherheitsmaßnahmen treffen. Bis
Mitte letzter Woche wurden 116 weitere Personen gleichermaßen informiert, da
angeblich ein UVF-Spionagering, der mitten in den Büros der PSNI arbeitete,
aufgedeckt worden war.
Unter den Bedrohten waren auch Declan Kearney, Sinn Fein-Vorsitzender im
Norden, sowie Daithi McKay, Sinn Feins Abgeordneter für das
Regionalparlament aus Nordantrim. Die meisten der Bedrohten hatten
allerdings keine republikanischen Verbindungen. Es wurden Informationen wie
Autokennzeichen, Privatadresse, Arbeitsplatz und persönliche Gewohnheiten
festgehalten. Die Drohungen kamen gerade ein paar Wochen, nachdem die Ulster
Defence Association, die größte paramilitärische Gruppe im Norden,
öffentlich gesagt hatte, dass sie in naher Zukunft nicht beabsichtige, ihr
riesiges Waffenarsenal zu beseitigen.
Der angebliche Spionagering wurde aufgedeckt, als Spekulationen aufkamen,
die UFV könne eine "definitive Erklärung" über ihre zukünftigen Absichten in
Vorbereitung haben. Leitende UVF-Leute sagten der Sunday Business Post, dass
die Erklärung bereits stehe und in naher Zukunft veröffentlicht werde. Gemäß
dem Loyalisten, der bei der Abfassung der Erklärung mitarbeitete, umfasse
sie viele Themen und würde die "Nationalisten zufrieden stellen".
Allerdings verlautete aus anderen Quellen, dass eine Waffenabgabe nicht auf
der Tagesordnung stehe. Loyalistische Gruppen argumentieren, anders als die
Republikaner hätten sie keine internationalen Kontakte, um sich zu einem
späteren Zeitpunkt wieder Waffen zu beschaffen. Ihre gewaltigen Waffenlager
umfassen auch Hunderte von Sturmfeuergewehren, die unter Aufsicht des
britischen Geheimdienstes Ende der achtziger Jahre nach Irland geschmuggelt
wurden. Aus loyalistischen Quellen heißt es, dieses gesamte Arsenal solle
erhalten bleiben.
Jetzt, da im Norden eine Regierung der Machtteilung mit Martin McGuinness
und Ian Paisley an der Spitze im Entstehen ist, lassen loyalistische
Paramilitärs wieder einmal ihre Muskeln spielen. Während die IRA ihre Waffen
beseitigt hat und Sinn Fein die Polizei unterstützt, haben es loyalistische
Banden, die die Nationalisten jahrzehntelang terrorisierten, weiterhin auf
mögliche politische Opfer abgesehen.
Als Gerry Adams vergangene Woche in London die britische Regierung
aufsuchte, wurde die Frage gestellt: "Ist der Krieg wirklich vorbei?" Viele
Nationalisten im Norden fragen sich das. Mark Thompson nimmt die gegen ihn
gerichtete Drohung ernst. "Ich muss das tun. Es handelt sich um eine
bewaffnete Gruppe, die mich beschattet", sagte er. Neuere Ermittlungen zu
loyalistischen Paramilitärs, vor allem von Seiten des Ombudsmanns der
Polizei, enthüllten eine weit reichende Kollaboration zwischen Staat und UVF
bzw. UDA. Loyalistische Banden konnten ungestraft töten und waren durch die
(nordirische Polizeisondereinheit) Special Branch vor Verfolgung geschützt.
Während so anscheinend eine Menge Aufwand betrieben wurde, um UVF und UDA
aufrechtzuerhalten, wird nun kein wirklicher politischer Druck ausgeübt, um
die Auflösung der beiden Gruppen zu garantieren. Die Entdeckung des
mutmaßlichen Spionagerings letzte Woche wurde vom Chef der PSNI, Hugh Orde,
und von Nordirlandminister Peter Hain verhalten begrüßt. Es gibt den
Verdacht, dass die momentane Welle von UVF-Aktivitäten eine Reaktion auf die
Nachforschungen ist, die über sie von Gruppen wie den Relatives for Justice
betrieben werden. In letzter Zeit haben protestantische Opfer loyalistischer
Gewalt die in Belfast ansässige Gruppe aufgesucht und angegeben, ihre
Verwandten seien von Mitgliedern der UVF getötet worden, die bezahlte
Special Branch-Leute seien.
Durch die Ermittlungen einiger Menschenrechtsgruppen wurden neue Beweise
dafür gefunden, dass es zwischen Sicherheitskräften und Loyalisten in
Mid-Ulster und Derry weitreichende Kollaboration gab. Es wird vermutet, dass
es dabei zwischen leitenden UVF-Leuten und Mitgliedern der Special Branch
auch um Geschäfte und Geld ging. Thompson glaubt, dass die Arbeit der
Relatives for Justice der Grund dafür war, dass die UVF über ihn
Informationen sammelte.
Für viele ist die weitere Existenz von UVF und UDA und der mangelnde
politische Wille, sie loszuwerden, ein direktes Ergebnis der Beziehungen,
die die Loyalisten mit RUC und britischer Armee unterhielten. Aufgrund
fundierter Beweise sieht es nun in der Öffentlichkeit so aus, dass Staat und
Loyalisten - weit davon entfernt, Gegner zu sein - jahrzehntelang
zusammenarbeiteten und sich während der Troubles gegenseitig unterstützten.
In Belfast werden viele der obersten UVF- und UDA-Leute selbst von
Mitgliedern ihrer eigenen Organisationen verdächtigt, für die Special Branch
und den (britischen Geheimdienst) MI5 zu arbeiten. Im nordirischen Alltag
betrachten die loyalistischen Gruppen ihre Reviere als ihre persönlichen
Lehnsgüter. In loyalistischen Gebieten wird zügellos mit Drogen gehandelt,
Erpressung ist häufig und das Wort des örtlichen Kommandeurs ist Gesetz.
Während vieler mörderischer Fehden wurden Massenvertreibungen von Dutzenden
von Familien fast allgegenwärtig und sie zeigen, welche Macht UDA und UVF
tatsächlich haben. In einem Versuch, Loyalisten dazu zu bringen, von der
Gewalt zu lassen, gab man ihnen Zugang zu höchsten politischen Stellen in
Irland und England. Bekannterweise unterhält Jackie McDonald - einer der
UDA-Führer und ein verurteilter Erpresser - enge Verbindungen zur (irischen)
Präsidentin Mary McAleese.
McDonald hat öffentlich gesagt, dass die UDA sich nicht entwaffnen werde.
Während die politischen Wege für die Loyalisten offen sind, ist der
erforderliche politische Druck nicht ausgeübt worden. Darüber hinaus ist
McDonalds UDA-Einheit, die South-Belfast-Brigade, eine der aktivsten, was
Erpressung und Drogenhandel in einem der wohlhabendsten Bezirke des Nordens
betrifft.
Im vergangenen Monat riefen in Tigers Bay, einer loyalistischen Enklave im
Norden Belfasts, Anwohner wegen des Ausmaßes des Drogenshandels zu
Straßenprotesten in der Gegend auf. Die Anwohner sagten, die Gegend würde
mit Ecstasy und Kokain überschwemmt und machten die lokale UDA-Einheit dafür
verantwortlich. Die Erpresserbanden, die von den loyalistischen Gruppen
unterhalten werden, gefährden auch die kleinen Geschäfte, das Rückgrat des
privaten Handels im Norden. Händler werden routinemäßig aufgefordert,
Schutzgeld zu bezahlen oder bei Verweigerung die Konsequenzen zu tragen.
Selbst wenn die UVF ein Statement herausgibt, in der sie ihre Unterstützung
für den politischen Prozess und ihre "friedlichen Absichten" erklärt, ist
ein Stopp der kriminellen Aktivitäten unwahrscheinlich. Einer der
UDA-Führer in Nordbelfast, den seine eigene Organisation für einen
Informanten hält, kontrolliert trotzdem noch sein Revier, weil er ein
"Talent" dafür hat, der Gruppe Geld zu beschaffen. Mag der Daseinszweck
loyalistischer Paramilitärs gewesen sein, Nationalisten zu terrorisieren, so
verüben sie im Alltag schon seit langer Zeit gewöhnliche Verbrechen.
Das ist ein Grund dafür, dass ihre politischen Vertreter, die Progressive
Unionist Party und die nun bedeutungslose Ulster Democratic Party, bei den
Wahlen keine wirkliche Unterstützung gewinnen konnten. Der Unionismus hat in
der Arbeitsklasse bisher darin versagt, eine authentische politische Stimme
zu entwickeln und ist gewissermaßen raus aus dem politischen Spiel. Deshalb
gibt es keinen Anreiz, die Kriminalität aufzugeben und sich der Politik
zuzuwenden.
Solange die protestantische Arbeiterschaft in der Politik nicht angemessen
vertreten ist, wird das Regionalparlament arbeiten, während im Hintergrund
die voll bewaffneten Organisationen von UDA und UVF stehen.
Copyright © 2007 Sunday Business Post
Übersetzung:
Irlandinitiative Heidelberg (Sib), 25. April 2007 (Erläuterungen in Klammern)