Nordirland macht Schlagzeilen
mit 3 Morden, verübt von pro-britischen, "loyalistischen" Mördern.
Die schnelle Erklärung, die man in vielen Zeitungen liest: alles habe nichts
mit Politik zu tun, sei ein Kaampf rivalisierender Gangster und Drogenbosse.
Wohl wahr, aber eben nur ein Bruchteil der Wahrheit und deshalb ein Zerrbild.
Warum, könnte der kritische Leser fragen, kann die UDA/UFF, die die derzeitige
Welle loyalistischer Gewalt ausgelöst hat, im Bezirk Lower Shankill, einer überschaubaren,
kleinen Gegend, in der mal grade 400 Menschen wohnen, recht freizügig Drogen
dealen und anderen kriminellen Geschäften nachgehen?
Vielleicht hilft ein Blick auf
Ereignisse, die bisher wenige internationale Meldungen wert waren.
"Collusion" nennen sie die Opfer und meinen damit die jahrzehntelange
Zusammenarbeit der nordirischen Polizei RUC mit eben jenen loyalistischen
Killerkommandos, die zur Zeit mit interner Fehde beschäftigt sind. Allein seit
Januar dieses Jahres verging kaum ein Tag, an dem nicht einem als
irisch-republikanisch oder auch nur einfach katholisch oder in der falschen
Gegend lebenden Menschen von der Polizei kurz angebunden mitgeteilt wurde, seine
Akten seien auf wunderbare Weise in den Besitz eben jener UFF, LVF oder wie sie
alle heissen übergegangen und sein oder ihr Leben sei akut bedroht. Was Polizei,
Britisches Militär und irgendwelche Spitzel gesammelt haben und in ihren
Hochsicherheitsbunkern verwahren, sei nun in der Hand von Todesschwadronen. Die
Autonummer, Wohnungsskizzen, der Name der Freundin, der tägliche Weg zur Arbeit,
Namen von Freunden und Bekannten. Wie diffundieren solche Akten in grosser Menge?
Ohne Folgeaktionen der Polizei? Ohne Untersuchungen, ohne Ergebnisse, ohne ein
Ende. "Collusion" eben.
Vielleicht hilft auch der Blick
auf den einzigen Fall von blindwütigem Terror der Polizei gegen einen jungen
Mann, der je vor Gericht gelangte und letztes Jahr zu einer Verurteilung der
beteiligten Polizisten führte. Vielleicht war es bereits das offenere Klima des
Friedensprozesses und der beginnenden öffentlichen Diskussion über staatlichen
Terror, das einen der Beteiligten gegen seine Kollegen aussagen liess und damit
die Verurteilung ermöglichte: im Dezember 1998 verhaftete besagte RUC Streife
Bernard Griffin willkürlich aus einer Warteschlange an einer Fish&Chips
Bude in Nordbelfast, weil er ein T-shirt des irisch republikanischen
Fussballvereins "Celtic" trug. Sie verhöhnten und verprügelten ihn
im Auto und drohten, ihn mitten in eben jenem loyalistischen Bezirk Shankill
auszusetzen und die dortige UFF zu benachrichtigen - ein sicheres Todesurteil.
Es gibt unzählige Beispiele, viele noch schlimmer und viele alltäglich. So wie
die nächtlichen Übergriffe auf isolierte irische Gemeinden durch die UFF, die
seit Wochen jede Nacht mit Vorschlaghämmern und Farbbeuteln bewaffnet, Leute
terrorisiert und zur Flucht aus ihren Häusern treibt, ohne dass sich Polizei je
blicken lässt, um die Herrschaften bei ihrer Arbeit zu stören.
Ein Aufbrechen dieser
unheiligen Allianz von staatlichen Stellen und kriminellen Killern ist dringend
nötig. Eine internationale Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen
Gouverneurs von Honkong, Chris Patten, hat im Rahmen der Friedensvereinbarung
bereits vor einem Jahr ein Konzept für eine neue Polizei vorgelegt, die für
ihr Tun auch Rechenschaft ablegen muss und in der blinder Katholikenhass nicht
mehr toleriert wird. Das für die Umsetzung verantwortliche Britische Northern
Ireland Office (NIO) unter Peter Mandelson, hat bisher trotz des
Lippenbekenntnisses zu "Patten" mit aller Kraft versucht, Änderungen
in der Polizeistruktur zu hintertreiben.
Was lehrt uns der Terror in der
Shankill Road? Hinter den Mordbanden sitzen immer die Schreibtischtäter. Es wäre
positiv, wenn unsere Lehre wäre, dass wir in Europa staatliche Toleranz oder
Verharmlosung oder schweigende Billigung rassistischer Übergriffe nicht dulden.
In Nordirland nicht und bei uns auch nicht.
Uschi Grandel