Ein Kommentar – 27.8.2000

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Nordirland macht Schlagzeilen mit 3 Morden, verübt von pro-britischen, "loyalistischen" Mördern. Die schnelle Erklärung, die man in vielen Zeitungen liest: alles habe nichts mit Politik zu tun, sei ein Kaampf rivalisierender Gangster und Drogenbosse. Wohl wahr, aber eben nur ein Bruchteil der Wahrheit und deshalb ein Zerrbild. Warum, könnte der kritische Leser fragen, kann die UDA/UFF, die die derzeitige Welle loyalistischer Gewalt ausgelöst hat, im Bezirk Lower Shankill, einer überschaubaren, kleinen Gegend, in der mal grade 400 Menschen wohnen, recht freizügig Drogen dealen und anderen kriminellen Geschäften nachgehen?      

Vielleicht hilft ein Blick auf Ereignisse, die bisher wenige internationale Meldungen wert waren. "Collusion" nennen sie die Opfer und meinen damit die jahrzehntelange Zusammenarbeit der nordirischen Polizei RUC mit eben jenen loyalistischen Killerkommandos, die zur Zeit mit interner Fehde beschäftigt sind. Allein seit Januar dieses Jahres verging kaum ein Tag, an dem nicht einem als irisch-republikanisch oder auch nur einfach katholisch oder in der falschen Gegend lebenden Menschen von der Polizei kurz angebunden mitgeteilt wurde, seine Akten seien auf wunderbare Weise in den Besitz eben jener UFF, LVF oder wie sie alle heissen übergegangen und sein oder ihr Leben sei akut bedroht. Was Polizei, Britisches Militär und irgendwelche Spitzel gesammelt haben und in ihren Hochsicherheitsbunkern verwahren, sei nun in der Hand von Todesschwadronen. Die Autonummer, Wohnungsskizzen, der Name der Freundin, der tägliche Weg zur Arbeit, Namen von Freunden und Bekannten. Wie diffundieren solche Akten in grosser Menge? Ohne Folgeaktionen der Polizei? Ohne Untersuchungen, ohne Ergebnisse, ohne ein Ende. "Collusion" eben.

Vielleicht hilft auch der Blick auf den einzigen Fall von blindwütigem Terror der Polizei gegen einen jungen Mann, der je vor Gericht gelangte und letztes Jahr zu einer Verurteilung der beteiligten Polizisten führte. Vielleicht war es bereits das offenere Klima des Friedensprozesses und der beginnenden öffentlichen Diskussion über staatlichen Terror, das einen der Beteiligten gegen seine Kollegen aussagen liess und damit die Verurteilung ermöglichte: im Dezember 1998 verhaftete besagte RUC Streife Bernard Griffin willkürlich aus einer Warteschlange an einer Fish&Chips Bude in Nordbelfast, weil er ein T-shirt des irisch republikanischen Fussballvereins "Celtic" trug. Sie verhöhnten und verprügelten ihn im Auto und drohten, ihn mitten in eben jenem loyalistischen Bezirk Shankill auszusetzen und die dortige UFF zu benachrichtigen - ein sicheres Todesurteil. Es gibt unzählige Beispiele, viele noch schlimmer und viele alltäglich. So wie die nächtlichen Übergriffe auf isolierte irische Gemeinden durch die UFF, die seit Wochen jede Nacht mit Vorschlaghämmern und Farbbeuteln bewaffnet, Leute terrorisiert und zur Flucht aus ihren Häusern treibt, ohne dass sich Polizei je blicken lässt, um die Herrschaften bei ihrer Arbeit zu stören.

Ein Aufbrechen dieser unheiligen Allianz von staatlichen Stellen und kriminellen Killern ist dringend nötig. Eine internationale Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Gouverneurs von Honkong, Chris Patten, hat im Rahmen der Friedensvereinbarung bereits vor einem Jahr ein Konzept für eine neue Polizei vorgelegt, die für ihr Tun auch Rechenschaft ablegen muss und in der blinder Katholikenhass nicht mehr toleriert wird. Das für die Umsetzung verantwortliche Britische Northern Ireland Office (NIO) unter Peter Mandelson, hat bisher trotz des Lippenbekenntnisses zu "Patten" mit aller Kraft versucht, Änderungen in der Polizeistruktur zu hintertreiben.

Was lehrt uns der Terror in der Shankill Road? Hinter den Mordbanden sitzen immer die Schreibtischtäter. Es wäre positiv, wenn unsere Lehre wäre, dass wir in Europa staatliche Toleranz oder Verharmlosung oder schweigende Billigung rassistischer Übergriffe nicht dulden. In Nordirland nicht und bei uns auch nicht.

Uschi Grandel