Zum 18. Todestag des Belfaster Rechtsanwalts
Pat Finucane am 12. Februar 2007
Im Januar 2007 veröffentlichte die Polizei-Ombudsfrau für Nordirland, Nuala
O'Loan, ihren Untersuchungsbericht zur Zusammenarbeit der früheren
Polizeisondereinheit RUC Special Branch, der britischen Geheimdienste und
unionistischer, pro-britischer Todesschwadronen. Das Stichwort hierzu ist
"Collusion". Der Bericht war keinesfalls der erste seiner Art. Neu ist, dass
er in voller Länge veröffentlicht wurde. Berge an unveröffentlichten
Berichten wurden über die Jahre in den verschiedenen Untersuchungen
gesammelt - und vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Die britische
Regierung hat sich immer geweigert, Collusion-Vorwürfe anzuerkennen und zu
untersuchen. Durch öffentlichen Druck wurden über die vergangenen Jahre
viele Untersuchungen erzwungen. In diesen Fällen bestand die
Schadensminimierung darin, so viele Ergebnisse wie möglich aus "nationalem
Interesse" unter Verschluss zu halten.
Nuala O'Loan's Bericht ist die Spitze eines gigantischen Eisbergs. Die
Zusammenarbeit zwischen britischen staatlichen Stellen und pro-britischen
Todesschwadronen war ein Instrument britischer Politik in Irland. Jahrelang
wurde diese Tatsache als republikanische Propaganda verhöhnt. Das ganze
Ausmaß dieser Zusammenarbeit muss erst noch ans Tageslicht kommen.
Letzten Montag, am 12. Februar, jährte sich der Mord an Rechtsanwalt Pat
Finucane zum 18. Mal. Die Familie kämpft immer noch um eine öffentliche,
unabhängige Untersuchung des Mordes.
Belfast Telegraph , 12. Februar 2007
Collusion war schuld am Tod meines Vaters.
Ich bin es ihm schuldig, die Wahrheit herauszufinden.
Von Chris Thornton
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Während John Finucane aufwuchs, verdichteten sich die Beweise, dass der Mord an seinem
Vater Pat das Ergebnis der Zusammenarbeit britischer staatlicher Stellen mit Todesschwadronen, also "Collusion",
war. Er erzählt uns, warum seine Familie auch nach 18 Jahren immer noch um eine
öffentliche Untersuchung kämpft.
Er war ein schlaksiger, achtjähriger Junge, als die Mordschützen der UDA ein normales Abendessen am Sonntag in einen
Albtraum verwandelten. Heute vor achtzehn Jahren wurde Pat Finucane vor den Augen seiner Frau und seiner drei
Söhne in ihrem Belfaster Haus erschossen. Der tragische Vorfall wurde damals als irgendwie typisch für die
scheusslichen Morde des Bürgerkriegs gesehen.
John Finucane war der jüngste am Tisch. Ein paar Tage später fiel das erste Licht der Öffentlichkeit auf ihn,
als er dem Sarg seines Vaters folgte. Das Begräbnis eines prominenten, jungen Rechtsanwalts, der von der
Sorte Leute ermordet wurde, die er oft verteidigte, war aussergewöhnlich genug, um das Medieninteresse anzulocken.
Aber Stück um Stück waren es die Hintergründe des Mordes an Pat Finucane, die Aufmerksamkeit verlangten.
Pat Finucane ist zum Prüfstein für Collusion geworden. Seine Ermordung wurde von einem Agenten der (britischen)
Armee geplant. Ein Polizeiagent besorgte die Waffe, ein weiterer Informant führte den Mordauftrag aus.
In der harmlosesten Auslegung hätten die Sicherheitskräfte dabei versagt, diesen Mord zu verhindern. Der schlimmste
Verdacht ist, dass jemand (aus Staatskreisen) seinen Mord beauftragte.
Während das alles ans Licht kam, wurde John Finucane langsam erwachsen. Seinen A-level absolvierte er in der Schule
St. Malachy im Norden Belfasts, er studierte in Schottland Jura. Mittlerweile ist er ein recht ordentlicher Torwart,
gut genug, um für das County Antrim (zu dem Belfast gehört) gälischen Fußball zu spielen. Wie sein ältester Bruder
Michael arbeitet er als Rechtsanwalt in den gleichen Gerichten, in denen sein Vater sich seinen Namen machte.
Wie seine ganze Familie geht auch er an die Öffentlichkeit, um über die Hintergründe des Mordes an seinem Vater
zu reden. Worüber er nicht redet, ist der Mord selbst.
"Ich erinnere mich sehr gut an das, was damals passierte. Ich werde das nie vergessen, sagt er, als wir uns nach
einem Vormittag bei Gericht unterhalten.
"Aber ich sehe keine Notwendigkeit, in der Öffentlichkeit darüber zu reden, auch nicht darüber, was wir
gesehen haben. Ich denke, die Leute können sich das selbst vorstellen. Es ist egal, wie alt man ist, wenn man
seinen Vater verliert. Es ist schwer, darüber hinweg zu kommen. Ich glaube nicht, dass es mir da anders ging als
anderen Kindern, die ihren Vater oder generell ein Elternteil in ähnlichen Umständen verloren haben. Um ehrlich zu sein,
spielen wahrscheinlich die Umstände gar keine so grosse Rolle.
Das Thema ist hier nicht, dass jemand ermordet wurde, auch nicht, dass er auf äusserst brutale Art und Weise
ermordet wurde. Das Thema ist, dass die Mordabsicht oder die Morddrohung im Vorfeld bekannt war.
Mit dem Wissen aufzuwachsen ... es ist schrecklich, zu wissen, dass staatliche Stellen, zu denen jede Person Zutrauen
haben sollte, pervertiert werden. Sie haben sehr ernste Fragen zu beantworten."
Er findet es ermutigend, dass "die Gesellschaft hier Collusion als Thema sieht. Die Leute sehen, dass es hier nicht
nur um Pat Finucane geht," sagt er.
"Ich glaube, die Leute realisieren langsam, dass dieses Thema jeden betraf. Ich habe keinen Zweifel,
dass es auch Republikaner gab, denen erlaubt wurde zu töten, die beschützt wurden, weil sie als Informanten für
wichtiger gehalten wurden als das Leben der Menschen, die sie umbrachten.
Ich glaube, dass der Unionismus das langsam realisiert. Raymond McCord hat gesagt, dass er über Jahre hinweg
Collusion für reine republikanische Propaganda hielt und dass er erst seinen Sohn verlieren und seine Kampagne
führen musste, um zu erkennen, dass das ein lebenswichtiges und sehr reales Thema ist.
Es gibt so viele verschiedene Familien, die erst jetzt langsam erkennen, dass sie von dieser Politik betroffen sind.
Den unionistischen Communities dämmert es langsam, dass das nichts mit republikanischer
Propaganda zu tun hat.
Collusion konnte jeden treffen. Es spielte keine Rolle, ob es ein Mann oder eine Frau war, ein Berufstätiger,
ein Kind, Katholik oder Protestant. Die politische Zugehörigkeit spielte keine Rolle. Wenn die Informationen
und die Rolle eines Agenten für wichtiger gehalten wurde, als das Leben, das bedroht war, wurde eine einfache
Entscheidung getroffen. Und ich habe keinerlei Zweifel daran, dass auch Polizisten, UDR-Leute, Soldaten und
Zivilisten auf beiden Seiten sterben mussten, um die Geheimdienstleute zu schützen.
Das verlangt eine Untersuchung, eine vollständige und öffentliche Untersuchung, damit wir verstehen, was genau
passiert ist und wer dafür verantwortlich ist. Wir müssen das wirklich verstehen, damit wir daraus lernen und
sicherstellen können, dass so etwas nie wieder passiert."
Er denkt nicht viel über Ken Barrett nach, einen Polizeispitzel und den einzigen Mann, der wegen des Mordes an seinem
Vater verurteilt wurde. Ken Barrett wurde letztes Jahr aus der Haft entlassen.
"Wir haben schon immer gesagt, dass uns die käuflichen Handlanger nicht interessieren, die es in unserer Gesellschaft
damals gab und immer noch gibt," sagt er.
"Wir haben kein Interesse daran, dass es Strafverfolgungen gibt und dass Leute ins Gefängnis wandern. Wir sind
ganz einfach daran interessiert, dass Leute erzählen, was passiert ist, und dass sie gemäss ihrer Rolle in dieser
generellen Politik zur Verantwortung gezogen werden."
Es sind die Randbedingungen der öffentlichen Untersuchung, die die Familie Finucane über die letzten Jahre
beschäftigte. Die (britische) Regierung stimmte einer öffentlichen Untersuchung im Jahr 2004 zu - aber erst, nachdem
sie das Gesetz, das solche Untersuchungen regelt, so geändert hat, dass es Staatsministern grössere Kontrolle
einräumte.
Das lies die Finucanes in einer schwierigen Position zurück - zu erklären, warum sie derzeit gegen eine
Untersuchung sind, wo sie doch jahrelang eine gefordert hatten. Dieser Aufgabe haben sich die Finucanes mit Energie
und Klarheit gestellt - John und seine Mutter Geraldine reisen im nächsten Monat nach Washington DC, um ihre
Haltung dem US Kongress zu erklären.
"Zu jeder sich bietenden Gelegenheit betonen wir, dass wir unbedingt an einer Untersuchung partizipieren wollen.
Wir setzen uns dringendst für eine Untersuchung ein und werden den Tag begrüssen, an dem wir endlich anfangen
können.
Wir sind zutiefst betrübt, dass wir nicht in der Lage sind, die Untersuchung unter den Bedingungen, unter denen sie
derzeit geplant ist, zu unterstützen. Für uns ist das Thema Unabhängigkeit keine Verhandlungssache. Aus unserer
Sicht hat der Inquiries Act (das geänderte Gesetz für die Durchführung solcher Untersuchungen) jeder Untersuchung
ihre Unabhängigkeit geraubt."
Die Gesetzgebung zum Inquiries Act wurde in Windeseile vor den Wahlen 2005 durchs Parlament gepeitscht, speziell
für den Fall Finucane. Im Jahr 2004 fühlte sich die (britische) Regierung sicher genug, für die drei weiteren
hochkarätigen Fälle (für die Richter Cory in seinem Bericht den Verdacht auf Collusion sah) - die Morde an
Rosemary Nelson, Robert Hamill und Billy Wright - eine Untersuchung unter bestehender Gesetzgebung anzusetzen.
Im Falle Finucane trauten sie sich das nicht. Sein Fall wurde zurückgehalten, bis die Gesetzgebung geändert war.
Richter aus der ganzen Welt haben die Gesetzgebung kritisiert, hauptsächlich, weil sie Ministern die Macht gibt
zu entscheiden, welche Informationen aus Regierungskreisen untersucht werden dürfen. Das ist ein bisschen so, als
ob einer als Spieler und Schiedsrichter in einem Spiel gleichzeitig zugelassen wird.
Erst kürzlich merkte der High Court in Belfast an, dass speziell eine Befugnis - einen Minister zu ermächtigen,
eine Untersuchung vor ihrem Ende abzubrechen - ein "deutliches Fragezeichen" an die Unabhängigkeit einer
solchen Untersuchung stellt. Das ist einer der Gründe, warum das NIO (britische Nordirlandministerium) auch zwei
Jahre nach der Gesetzesänderung keinen Richter gefunden hat, der bereit ist, die Finucane-Untersuchung zu leiten.
"Wir erwarten nicht, dass es eine Untersuchung zu unseren Bedingungen geben wird," sagte John Finucane.
"Aber wir können nicht an einer Untersuchung teilnehmen, in der ein Regierungsmitglied entscheidet, welches
Material wir sehen, bzw. nicht sehen und in der ein Regierungsmitglied den beteiligten Richtern diktiert,
was sie tun dürfen und was nicht. Das ist die unglückliche Situation, in der wir uns derzeit befinden."
Was dazu führt, dass John Finucane sich weiterhin verpflichtet sieht, über dieses Thema von höchster öffentlicher
Bedeutung zu reden, auch wenn sehr viel privater Schmerz damit verbunden ist.
"Ich hätte mein Leben, wie ich damit umgehe, und all die Dinge, die mit dem Tod eines lieben Menschen einhergehen,
lieber weniger öffentlich," sagt er.
"Unglücklicherweise ist das nicht meine Entscheidung. Ich habe darüber keine Kontrolle. Mein Vater wurde als
Resultat einer Politik der Collusion (der institutionalisierten Zusammenarbeit britischer staatlicher Stellen
mit Killerkommandos) ermordet. Wir glauben, dass diese Politik in den höchsten Ebenen der
britischen Regierung entschieden wurde.
Weniger zu tun, als für die Wahrheit zu kämpfen, weniger zu tun, wäre ein schlechter Dienst für das Andenken meines
Vaters und für das, wofür er sich sein Leben lang einsetzte."
© Belfast Telegraph
Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 14. Februar 2007
(Erläuterungen in Klammern)