Neues Deutschland vom 27.01.2007
Weichenstellung bei Sinn Féin
Parteitag entscheidet über Haltung zu Sicherheitskräften in Nordirland
Von Aljoscha Kertesz
Der Friedensprozess in Nordirland steht vor einer Weichenstellung. Darüber
wird die Partei Sinn Féin an diesem Sonntag (28. Jan.) entscheiden.
2000 Delegierte der irischen Sinn Féin kommen in Dublin zusammen, um über
die Anerkennung der nordirischen Sicherheitsorgane zu diskutieren. Bislang
stockte immer wieder der Friedensprozess, da scheinbar unüberbrückbare
Standpunkte aufeinander trafen. Derzeitiger Hauptstreitpunkt ist die
nordirische Polizei. Die stärkste Partei der Unionisten, die Democratic
Unionist Party (DUP) von Ian Paisley, macht die Akzeptanz der
Sicherheitsorgane durch Sinn Féin zur Voraussetzung für deren
Regierungsbeteiligung .
Bisher hat sich Sinn Féin, die stärkste Partei der irischen Nationalisten,
strikt gegen die Anerkennung des Police Service of Northern Ireland (PSNI)
ausgesprochen. Wenn es nach dem Willen der Parteispitze um Gerry Adams geht,
wird sich dies nun ändern. Sollte eine breite Mehrheit der Delegierten ihrem
Parteivorstand folgen, könnte der 28. Januar als einer der wichtigsten
Meilensteine in die Geschichte des irischen Friedensprozesses eingehen.
Die letzten Wochen haben gezeigt, dass in der irisch-republikanischen
Bevölkerung großer Diskussionsbedarf über die Anerkennung der
Sicherheitskräfte besteht. Auf vielen Regionalkonferenzen warb die
Parteispitze bis zuletzt um das Vertrauen der Basis und bat um Unterstützung
auf dem eingeschlagenen Weg. Die Mehrheit scheint sicher. Jedoch sind auch
die Stimmen der innerparteilichen Gegner hörbar. Diese erhielten in den
vergangenen Tagen Auftrieb angesichts der Veröffentlichung eines Berichtes
durch die Polizei-Ombudsfrau Nuala O`Loan. In ihm stellte sie die Ergebnisse
einer Untersuchungskommision vor, wonach die Zusammenarbeit der nordirischen
Polizei mit loyalistischen Terrororganisationen im Norden Belfasts
nachgewiesen wird. Grund genug für viele irische Nationalisten, der Polizei
auch weiterhin das Vertrauen zu entziehen.
Enttäuscht über den Kurswechsel in Sachen Polizei, geben die ersten
Mitglieder ihr Parteibuch zurück. In teilweise erregten Diskussionen warb
die Parteiführung um Unterstützung für den Friedensprozess und verwies
darauf, dass in Gesprächen mit der britischen Regierung umfassende Reformen
des PSNI erreicht wurden. So dürfte der Einsatz von oft tödlichen
Plastikgeschossen demnächst der Vergangenheit angehören. Auch jegliche
Einmischung des britischen Geheimdienstes MI5 in die lokale Polizeiarbeit
soll zukünftig ausgeschlossen sein.
Die erzielten Reformen reichen jedoch nicht allen Parteimitgliedern. Sie
wittern Verrat am Ziel der irischen Unabhängigkeit. Trotzdem erwarten
Experten, dass eine deutliche Mehrheit des Parteitages der Kurskorrektur
zustimmen wird. Vereinzelte Stimmen warnen jedoch vor der Abspaltung und
Radikalisierung enttäuschter Parteimitglieder. So könnten Splittergruppen
wie die »Real IRA« oder die »Continuity IRA« Zulauf erhalten. Die Mitglieder
der Sinn Fein haben die Chance, einen großen Schritt in Richtung eines
friedlichen Miteinanders zu gehen. Durch ein positives Votum auf ihrem
Parteitag würde dem ins Stocken geratenen Friedensprozess neuer Atem
eingehaucht.