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Raymond McCord Jnr wurde von der pro-britischen Mördergang UVF im (nordirischen) Newtownabbey 1997 ermordet – sein Vater, ein (pro-britischer) Unionist aus dem Bezirk Shankill (in Belfast), hat seitdem unermüdlich dafür gekämpft, dass der Mörder seines Sohnes, den man allgemein für einen Informanten der (Polizeisondereinheit) Special Branch hält, für diesen Mord zur Rechenschaft gezogen wird. Am Montag, den 22. Januar 2007 wird Polizeiombudsman Nuala O'Loan, ihre Untersuchungen zu diesem Mord veröffentlichen. Es wird ein Bericht erwartet, der die schlimmsten Befürchtungen über die Zusammenarbeit der Polizei mit pro-britischen Mördergangs (Collusion) noch übertrifft:
"... Höhere Offiziere der (nordirischen Polizei) RUC sind in einen der grössten Polizeiskandale in Nordirland verwickelt. Während die Regierung damit konfrontiert werden wird, wie eine staatliche Behörde einer terroristischen Gang erlauben kann, Katholiken und Protestanten zu ermorden, wurden der Staatsanwaltschaft die Ermittlungsergebnisse übergeben, um über die Erhebung von Anklagen zu entscheiden. (PA, 21. Jan 2007)
Das Ausmass begreift man erst, wenn man sich vor Augen führt, dass allein die hier beschriebene Zusammenarbeit von Polizei und einer kleinen Nord-Belfaster Einheit der UVF, der nach der UDA zweitgrössten pro-britischen Terrorgruppe, zu 19 Toten im Zeitraum von etwa zehn Jahren führte. Insgesamt schätzt man, dass diese Collusion verantwortlich für Hunderte von Morden während des Konflikts war.


Sunday Business Post, 21. Januar 2007

Polizei leitet pro-britische Mördergang UVF

By Colm Heatley

Für die UVF (Ulster Volunteer Force) war es eine Routineoperation.

Ein Kleinkrimineller schuldet ihnen etwas Drogengeld und er sollte zahlen oder sterben. Drei Männer der Gruppe brachten Raymond McCord Jr zu einem stillgelegten Steinbruch und erschlugen ihn mit Eisenstangen und Hämmern. Der Chef der Mörder hatte Wochenendausgang, eine Pause im Strafvollzug, und machte sich wenig Gedanken um den Mord, da seine Führungsoffiziere in der (Polizeisondereinheit) Special Branch von seinen paramilitärischen Aktivitäten wussten.

Morgen, neuen Jahre nach dem Mord an McCord, wird der Bericht des Polizei-Ombudsman mit den Ergebnissen der Untersuchungen zu diesem und mindestens zwölf weiteren Morden das Schlimmste sein, was je über die Polizei in Nordirland veröffentlicht wurde. Der Bericht zeigt eine enge Zusammenarbeit zwischen der (nordirischen Polizei) Royal Ulster Constabulary (RUC) und (pro-britischen) loyalistischen Paramilitärs bei Mordanschlägen, Erpressungen, Korruption und Bedrohungen, die (zwischen 1997 und) 2003 in Belfast zum Tod von insgesamt achtzehn Personen führte. Der Bericht wird ein vernichtendes Urteil über die Vergangenheit der Polizei in Nordirland sein. (Es ist anzumerken, dass über die letzten Jahre tonnenweise Untersuchungsmaterial zusammengetragen wurde, dessen Veröffentlichung die britische Regierung verweigert. Die bisher veröffentlichten Bruchstücke weiterer Untersuchungen lassen vermuten, dass während des Konflikts Hunderte Menschen der Zusammenarbeit staatlicher britischer Stellen mit pro-britischen Todesschwadronen zum Opfer gefallen sind, etliche Morde passierten nach dem Karfreitagsabkommen.)

Der Bericht des Ombudsman erscheint gerade mal eine Woche vor dem Sinn Féin Ard Fheis (Sonderparteitag) zur Entscheidung über die künftige Unterstützung des Police Service of Northern Ireland (PSNI). (Die alte Polizei RUC wurde im Herbst 2001 in PSNI umbenannt.)

Die Ergebnisse des Berichts illustrieren ganz praktisch einen der prinzipiellen Gründe, warum für viele irische Republikaner und Nationalisten die Akzeptanz und Zusammenarbeit mit der Polizei so schwer ist - die Polizei hat mit (pro-britischen) loyalistischen Paramilitärs zusammengearbeitet. Die Bewohner der irischen Viertel sind überzeugt, dass diese Zusammenarbeit den Tod Hunderter Katholiken während der Troubles zur Folge hatte.

Viele irische Nationalisten sehen die Polizisten der RUC und ihre Nachfolger in der PSNI als den legalen Arm der (beiden grössten pro-britischen Terrororganisationen) UVF und Ulster Defence Association (UDA), die diesen paramilitärischen Organisationen fast täglich Hilfe und Unterstützung gewährten.

Der Bericht des Ombudsmans, der am Freitag dem britischen Nordirlandminister Peter Hain und dem PSNI Polizeichef übergeben wurde, wird viele dieser Befürchtungen bestätigen.

Der Bericht enthüllt eine Polizei, für die Menschenleben nicht zählen, eine Polizei, die mehr damit beschäftigt war, ihre Informanten zu schützen als die Öffentlichkeit und die letztendlich die UVF in Nord-Belfast leitete. Nord-Belfast war während des Konflikts das Viertel mit der höchsten Rate an religiös-rassistischen Morden (durch pro-britische Todesschwadronen).

Dass eine solche Zusammenarbeit noch Jahre nach dem Waffenstillstand und nach der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens existiert, zeigt wie tief verwurzelt und systematisch sie die nordirischen Sicherheitskräfte durchdrang.

Der Bericht ist der aktuellste aus einer Reihe an Untersuchungen zum Thema Collusion (also der Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit pro-britischen Mördergangs) im Norden und im Süden Irlands. Für viele Republikaner ist er ein weiterer Beleg dafür, dass die Sicherheitskräfte den Nordstaat mit religiös-rassistischen Morden überzogen.

Die Nord-Belfaster UVF-Gang, deren Morde Ombudsman Nuala O’Loan untersuchte, war praktisch von oben bis unten durch die RUC Sondereinheit Special Branch geführt.

Der ‘military commander’ der UVF, Mark Haddock, der den Mord an McCord und vielen anderen befahl, war ein langjähriger Agent der Special Branch. Quartiermeister, Brigadier, Stellvertreter des Brigadiers, und der oberste Killer standen höchstwahrscheinlich samt und sonders im Dienst der Special Branch und wurden von ihr bezahlt.

Wenn Polizisten der RUC von ausserhalb der Special Branch, wie zum Beispiel Detective Jonty Brown, versuchten, Killer wie Haddock zur Rechenschaftv zu ziehen, wurden sie von ihren Polizeikollegen der Special Branch bedroht:

"Mir wurde gesagt, ich solle die Finger davon lassen, dass Haddock mich nichts anginge und ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern," erzählt Brown.

Als McCord am 9. November 1997 ermordet wurde, erhöhte er nur die grausige Statistik im Norden, ein Mord, der einer internen Auseinandersetzung der UVF zugeschrieben und vergessen wurde. Zum grossen Teil war es die unermüdliche Kampagne seines Vaters Raymond McCord Sr, die zu den Untersuchungen des Ombudsman führte.

Er wurde als Spinner und Unruhestifter abgetan, sein Verdacht, der Mord an seinem Sohn sei von Agenten der Special Branch angeordnet und ausgeführt, wurde damals abgetan.

Seine Hartnäckigkeit hat sich jedoch wohl ausgezahlt und der morgige Bericht wird voraussichtlich alle seine Behauptungen bestätigen. Lediglich für die Behauptung, dass die Special Branch im Vorfeld vom Tod seines Sohnes in Kenntnis gesetzt wurde, lies sich kein Beleg finden. So brutal der Mord an McCord auch war, es sind die weiteren Aktivitäten der UVF-Gang und ihrer Strippenzieher in der Special Branch, die zur schwerwiegendsten Anklage gegen die Polizei in Nordirland werden können.

Ein weiteres Opfer der UVF-Gang war Sharon McKenna, eine 27-jährige katholische Frau, die in Nord-Belfast am 17. Januar 1993 ermordet wurde.

Sie besuchte einen protestantischen Rentner in der Belfaster Shore Road, als die Gang zuschlug.

Der Bericht des Ombudsman wird feststellen, dass ihre Mörder Agenten der RUC Special Branch waren. Was der Bericht vielleicht nicht enthalten wird, ist die Reaktion der Führungsoffiziere auf den Mord. Zwei der Mörder erzählten ihren Führungsoffizieren, was geschehen war.

"Die Offiziere sagten ihnen, sie sollten aufhören, sich darüber Gedanken zu machen und ein paar Pints drinken," erzählt ein früherer Detective, der über die Morde Bescheid wusste.

"Die Zwei erhielten Geld von den Branch-Leuten und bekamen gesagt, sie sollten sich beruhigen. So ging die Special Branch mit dem Mord an einer unschuldigen jungen Frau um, die von Polizei-Informanten ermordet wurde."

Der Bericht in der für die Öffentlichkeit vorgesehenen Version wird die Namen individueller Agenten und Polizisten, die in die Morde verstrickt sind, nicht bekanntgeben.

Statt dessen werden sie nach ihrem Rang benannt.

Der Bericht ist auf die Rolle von Haddocks Nord-Belfaster UVF beschränkt und liefert keine Erkenntnisse über die Rolle der Agenten der Special Branch in der gesamten UVF (oder auch in der UDA). Allerdings hat McCord Sr. angekündigt, er werde auf einer Pressekonferenz in Belfast am Montag Namen nennen.

"Dieser Bericht bestätigt, was ich seit Jahren sage und zeigt, dass die UVF von der Polizei geführt wurde. Sie waren Handlanger für die Special Branch und begangen Morde an Protestanten und Katholiken auf Befehl," sagt McCord.

"Ich habe Hinweise, dass der Chef der UVF für ganz Nordirland seit den 1980er Jahren ein Agent der Special Branch war und ich werde seinen Namen bekanntgeben."

Neben anderen Verbrechen steht Haddocks UVF unter Verdacht, für zwei Bombenattentate in County Monaghan (im Süden Irlands) und für das Massaker in Loughinisland am 18. Juni 1994 verantwortlich zu sein, bei dem sechs Menschen starben.

Man geht davon aus, dass die UVF-Männer aus Haddocks Einheit selbstgemachte Bomben über die Grenze transportierten. Dies ist normalerweise unüblich, weil eine UVF-Gang aus dem Grenzgebiet diesen Anschlag typischerweise einfacher durchführen könnte.

Ein Agent namens ‘The Mechanic’ hat das Fluchtauto organisiert, das von der UVF-Gang benutzt wurde, die mit Maschinengewehren im Juni 1994 eine katholische Kneipe in Loughinisland überfielen, als die Opfer gerade das Spiel der Fussballweltmeisterschaft Irland-Italien ansahen.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bericht könnte kaum passender sein.

Er kommt zu einer Zeit, in der innerhalb der breiteren republikanischen Öffentlichkeit eine intensive Diskussion um die Haltung zur nordirischen Polizei PSNI stattfindet. Soll man sie künftig unterstützen oder nicht?

In Derry trafen sich letzte Woche Republikaner, die Sinn Féins Strategie der künftigen Akzeptanz der Polizei ablehnen. Zum Treffen kamen vierhundert Personen. Es wurde die Forderung laut, Kandidaten gegen Sinn Féin für die Märzwahl aufzustellen, sollte sie stattfinden.

Letzte Woche gab der Präsident von Sinn Féin, Gerry Adams, bekannt, er würde für Diskussionen mit Gegnern der Polizeistrategie seiner Partei und mit bewaffneten Dissidenten zur Verfügung stehen.

Die Reaktion dieser Gruppen war, dass das Angebot zu wenig sei und zu spät käme.

Sie argumentieren, dass Sinn Féin vorhabe, die unterstützung der Polizei auf dem (Sonderparteitag) Ard Fheis nächsten Sonntag durchzusetzen, unabhängig von der Reaktion der Democratic Unionist Party (DUP) oder republikanischen Bedenken.

Wenn nächsten Sonntag der Sinn Féin Ard Fheis den Aufruf seiner Führung unterstützt, die Polizei zu akzeptieren, wird dies nicht zu einer sofortigen Änderung der republikanischen Haltung gegenüber der PSNI führen. Stattdessen wird das Sinn Féin Führungsgremium Ard Comhairle bevollmächtigt zu entscheiden, wann dies umgesetzt wird.

Für diejenigen, die die Unterstützung der PSNI ablehnen, wird der morgige Bericht Beweis genug sein, dass die Unterstützung der Polizei gleichbedeutend mit Verrat ist.

Sie werden die PSNI nicht nur aus ideologischen Gründen angreifen, sondern als Begründung die vielen Morde in jüngster Vergangenheit anführen.

Sie werden einige Dinge fragen, die der Bericht nicht beantworten wird, zum Beispiel: sind einige der Polizisten, die in Haddocks UVF-Gang involviert waren, heute noch Mitglieder der Polizei? Adams und seine Unterstützer werden argumentieren, dass es nötig ist, dass Republikaner die Polizei kontrollieren, damit eine solche Zusammenarbeit mit Mördergangs endlich der Vergangenheit angehören wird. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die beiden Seiten zu einer gemeinsamen Haltung finden.


Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 21. Januar 2007 (Erläuterungen in Klammern)
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