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Redner der diesjährigen Bobby Sands Gedächtnisveranstaltung in Belfast am Freitag, den 5. Mai 2006 war der ANC Veteran Robert McBride. Robert McBride wurde 1963 in Durban geboren. Er war in Südafrika während des Apartheid-Regimes führendes Mitglied des militärischen Flügels des African National Congress (ANC), Umkhonto we Sizwe. Er wurde zum Tode verurteilt und saß vor dem Fall des Regimes in der Todeszelle. Nach dem Ende der Apartheid war er Mitglied der Wahrheitskomission und ist heute Polizeichef von Johannesburg.

Hunderte nahmen an der Veranstaltung teil und gaben Robert McBride stehend Applaus.

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Bobby Sands Gedächtnisveranstaltung 2006:

UBUNTU

Robert McBride (ANC)

"Robert McBride, ein ehemaliger politischer Gefangener und Mitglied des African National Congress, sieht sich als Aussenstehender unabhängig, aber nicht neutral gegenüber dem jahrhundertealten Freiheitskampf Irlands. "Meine eigene Geschichte ist Kampf gegen Imperialismus, Kolonialismus, Diskriminierung und Unterdrückung. Als jemand, der einen Freiheitskampf geführt hat, kann ich aus prinzipiellen Gründen niemals die Idee akzeptieren, dass eine ausländische Regierung Kontrolle über ein anderes Land ausübt. Das republikanische Streben ist berechtigt und das wird zu einem Ende der Unterdrückung führen," sagte McBride."


Überarbeitete Mitschrift der Rede (mit Dank an Sinn Féin und das Hungerstreik-Komitee für die Überlassung der Mitschrift):

“Es ist sehr schwierig, eine Rede über so ein überwältigendes Ereignis in der Geschichte eines Volkes zu halten. Es gibt einen Ausdruck in Zulu, den wir in Südafrika als Richtschnur für unser Leben benutzen. “Umuntu ngumuntu ngabantu”, ein Mensch wird zum Menschen durch andere Menschen. Ich bin menschlich, weil andere mich als Mensch behandeln. Wir nennen diese Philosophie “ubuntu.” Es ist die Philosophie der Menschlichkeit, des Respekts und der Würde.

Die Art und Weise, wie wir andere Menschen behandeln, ist ein Zeichen unserer eigenen Humanität oder ihres Fehlens. Wir sollten die Unterschiede zwischen Menschen, unterschiedlichen Glauben und unterschiedliche Traditionen respektieren.

Wir haben mehr gemein als uns trennt. Die Tatsache, dass wir menschliche Wesen sind, ist Gemeinsamkeit genug, um die restlichen Differenzen zu überwinden. Ubuntu, Menschlichkeit, Respekt kommt zum Vorschein in unseren Beziehungen zu anderen Menschen, in den Botschaften, die wir über andere Menschen aussenden.

Ubuntu gibt es nicht nur in Südafrika. Es ist eine unverselle Tradition, man findet es überall, in gegenseitigem Respekt. Als Gerry Adams und John Hume im April 1993 ihren gemeinsamen Appell (zur Lösung des Konflikts durch Dialog) veröffentlichten, war es zu finden. Ein Absatz insbesondere charakterisierte die Intention der beiden Parteichefs:

“Jeder hat die schwierige Pflicht, den politischen Prozess weg vom Konflikt und hin zu nationaler Versöhnung zu führen. Das beinhaltet eine friedliche Einigung zwischen den Menschen in Britannien und in Irland und auch unter den Menschen in Irland."

Diese Worte sind wichtig, weil sie an den Unterschieden anknüpfen, die eine Realität auf dieser Insel sind und eine Intention vermitteln, wie mit ihnen umgegangen werden soll. Ubuntu praktizieren heisst, friedvolle Koexistenz zwischen Menschen verschiedener Überzeugung und Tradition. Den Menschen ihr Recht auf Würde und Respekt vorzuenthalten, heisst jedoch, Konflikt zu erzeugen.

Vor diesem Hintergrund möchte ich die Wichtigkeit des heutigen Tages hervorheben. Der Monat Mai hat in zweierlei Hinsicht Bedeutung für irische Märtyrer (Hinrichtung der Führer des Osteraufstands 1916, Tod der ersten Hungerstreiker 1981). Irische Märtyrer gaben unter völlig unterschiedlichen Umständen, zeitlich getrennt durch 65 Jahre, ihr Leben, weil ihr Recht und das Recht ihrer Nation auf Würde und Respekt mit Füßen getreten wurde. Bei beiden Anlässen revolutionierten die Aktionen und die Hingabe der Märtyrer ein ganzes Land und verbreiterten die Basis für den Freiheitskampf. Sie gaben den Menschen den Willen zu kämpfen.

Der Einfluss von 1916 und 1981 veränderte die politische Landschaft des irischen Wegs zur Freiheit grundlegend. Bobby Sands, genau wie Major John McBride (ein Vorfahre von Robert McBride, der am Osteraufstand teilgenommen hatte) vor ihm und zahllose Generationen von irischen Männern und Frauen, wehrte sich dagegen, mit Füßen getreten zu werden. Sie entschieden sich, gegen ein System zu kämpfen, das sie erniedrigte.

Die Entscheidung von Bobby Sands und seinen Genossen, sich nicht als Kriminelle abstempeln und behandeln zu lassen, war von zentraler Bedeutung zu einem Zeitpunkt in der irischen Geschichte, in der die Legitimität des Kampfes in Frage gestellt wurde.

Vor seiner Gefangennahme war Bobby Sands ein Aktivist und Kämpfer im Freiheitskampf. Er war ein Organisator für Rechte in den irischen Vierteln. Er war weitsichtig. Einen wichtigen Aspekt seines Charakters und Denkens, der zentrale Bedeutung für alle Freiheitskämpfer auf der ganzen Welt hat, wird in seinem Gedicht ‘The Rhythm of Time’ sichtbar.

Das Gedicht 'Rhythm of Time ('Zeitläufe', beschreibt den weltweiten Kampf gegen Unterdrückung)' spricht uns alle an und weckt Emotionen, die ganz schwierig jemandem zu erklären sind, für den Freiheitskampf nur ein Wort ist. Jedesmal wenn ich es lese, die meisten von Euch werden es kennen, gibt es Kraft, unauslöschlich und unverrückbar, unvergänglich wie die Zeit. Das Gedicht selbst wurde zu einer Strophe des Zeitverlaufs, von dem Bobby Sands spricht.

Als er das zweite Mal verhaftet wurde, tat das seinem Willen, den Kampf fortzusetzen, keinen Abbruch. Er fuhr fort, zu schreiben, zu organisieren und zu kämpfen. Und als er keine andere Option mehr hatte, kämpfte er für seine Würde mit dem Einsatz seines Lebens. Er war sich der Risiken bewusst und war erfahren genug, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Die Versuche der britischen Regierung, den Freiheitskampf zu kriminalisieren, versagten kläglich, als Bobby Sands zum Abgeordneten für den Wahlbezirk Fermanagh South Tyrone ins britische Unterhaus gewählt wurde. Bobby Sands und seine Genossen starben für ihre Würde, die Integrität ihres Kampfes und für die Menschen. Sie starben für eine bessere Zukunft.

Heute ist der Weg in Irland frei für diese bessere Zukunft. Eine neue Situation ist entstanden. Zugegeben, sie ist voller Gefahren, voller Risiken, wie in 1916 und 1981. Aber die neue Situation bietet auch neue Möglichkeiten.

Um der Zukunft Willen, wegen der Opfer, die in allen Teilen der Welt über die Jahrhunderte gebracht wurden, ist es unerlässlich, dass wir Möglichkeiten erkennen. Wir können sie erkennen, wenn wir nicht zulassen, dass der Schmerz und das Leid uns blind macht.

Wir müssen sie durch andere Augen sehen. Durch Augen, die daran glauben, dass in einer besseren Zukunft "unsere einzige Revanche das Lachen unserer Kinder sein wird" (Bobby Sands). Wenn eine neue Situation nur durch die Brille der alten Wut und des Hasses gesehen wird, dann gehen neue Möglichkeiten verloren. Die revolutionäre Kraft wird ins Wanken geraten, weil Kleinigkeiten den Weg blockieren.

Der Weg vorwärts muss mit dem Ziel gegangen werden, eine friedliche und gerechte Gesellschaft für die künftigen Generationen zu schaffen, die auf den Prinzipien des ubuntu basiert. Oder anders gesagt, wir müssen uns trauen zu hoffen und hart arbeiten, um die Hoffnung Wirklichkeit werden zu lassen.

Ich möchte auf die Auswirkung eingehen, die der irische Hungerstreik in Südafrika hatte. Im Mai 1981 als die Nachricht von Bobby Sands Tod kam, hatte das tiefen Einfluss auf die Art und Weise, in der wir auf unsere Situation im Gefängnis reagierten.

Bereits nach kurzer Zeit führte Nelson Mandela einen Kampf um die Verbesserung der Gefängnisbedingungen. Die Bedingungen in den Gefängnissen in Südafrika wurden geändert und verbessert. Der irische Hungerstreik öffnete unsere Augen für einen ganz neuen Weg des Widerstands im Gefängnis. Während wir uns zuvor kleinmütig untergeordnet hatten, verstanden wir nun, dass dies eine neue Waffe war.

Ich selbst habe in der Zeit meiner Gefangenschaft mehrere Hungerstreiks durchgeführt. Das Codewort für Widerstand durch Hungerstreik im Gefängnis war "einen Sands zu machen". Der Hungerstreik gab uns die Möglichkeit, Kampagnen durchzuführen und bewahrte unsere Verbundenheit im Gefängnis.

Die Beziehung zwischen Irland und Südafrika startete aber nicht erst während der Hungerstreiks, obwohl die Hungerstreiks der irischen Geschichte ein Katalysator waren. In den 1920er Jahren kam der erste Kontakt zwischen dem ANC und Sinn Fein ebenfalls durch einen Hungerstreik zustande. Nach dem Tod des Bürgermeisters von Cork, Terence MacSwiney, sendete der Generalsekretär des ANC eine Solidaritätsbotschaft. Zu dieser Zeit steckten beide Organsiationen noch in ihren Kinderschuhen.

Der Tod von Terence MacSwiney beeinflusste den Freiheitskampf auf der ganzen Welt. Er beeinflusste den Kampf in Indien, wo Mahatma Ghandi die Entwicklung aufmerksam verfolgte und selbst Widerstand (gegen die britische Besatzung) organisierte. Man erzählt auch, dass Ho Chi Minh, der zur Zeit des Todes von MacSwiney in Europa war, daraus für den Aufbau der kommunistischen Partei Indochinas gelernt habe.

Die Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen unseren Freiheitskämpfen können alle durch Ubuntu erklärt werden und sind Teil des Rhythm of Time. Es ist wichtig, sich das zu einer Zeit vor Augen zu halten, in der Irland in eine ganz schwierige Phase auf dem Weg zur Freiheit eintritt. Jede Aktion, die wir unternehmen, hat einen Einfluss auf diesen Weg. Jede Aktion trägt zur Befreiung der Nation bei oder verzögert sie.

Unter den heutigen Gegebenheiten wird die militärische Tradition nicht länger benutzt, um unsere Ziele zu erreichen. Das heisst aber nicht, dass wir deswegen in einer schwächeren Position sind. Wir benutzen lediglich andere Formen des Kampfes.

Frieden zu schliessen heisst, sich mit unseren Feinden auseinanderzusetzen und speziell in Irland ist die republikanische Bewegung sehr weit gegangen, um eine solche Auseinandersetzung zu ermöglichen. Ich glaube, es ist die richtige Zeit, den Prozess des Aufbaus der Nation auf den Weg zu bringen.

Gegenwärtig gibt es eine Reihe an Problemen, eines der wichtigsten ist das Thema Polizei. Polizei hat kein Existenzrecht aus sich heraus. Sie braucht das Mandat des Volkes und in einer demokratischen Gesellschaft sollte sie den gewählten Repräsentanten verantwortlich sein. Polizeiarbeit in einer demokratischen Gesellschaft muss auf Menschenrechten basieren und darf niemanden ausgrenzen. Sie darf nicht ohne Verantwortung sein oder für spezielle Interessen eintreten.

Eine Polizei kann sich nicht neutral nennen, wenn sie immer noch diejenigen beobachtet, ausspioniert, behindert, die sie für ihre politischen Gegner hält. Schon gar nicht, wenn es keine gewaltsame Auseinandersetzung gibt. Eine demokratische Polizei sollte die Interessen aller politischen Parteien und alle politischen Auseinandersetzungen beschützen. Irgendwann werden Republikaner die Polizei unterstützen. Den Zeitpunkt, wann dies geschieht, hat die Republikanische Bewegung zu entscheiden.

Noch nie war Irland näher an der Lösung seiner Probleme, die es seit Jahrhunderten hat. So nahe am Sieg waren seine Freiheitskämpfer noch nie. Es ist wichtig, das zu sehen. Die Reise bis hierher hat viele Opfer gekostet. Der Hungerstreik 1981 und der Aufstand 1916 sind zwei Ereignisse, die wesentlich dazu beigetragen haben, den Verlauf der Geschichte auf dieser Insel zu ändern.

Ich hatte viele Diskussionen mit Leuten hier und wir waren uns einig, dass der bewaffnete Kampf in vieler Hinsicht einfacher ist. Es ist einfacher, den Erfolg zu sehen. Wenn Du ein Gebäude in die Luft sprengen willst und das Gebäude fällt in sich zusammen, siehst Du den Erfolg.

Wenn das Schlachtfeld der politische Kampf wird, ist der Erfolg nicht so einfach zu sehen und auszuwerten. Langfristige komplexe Strategien gehören dazu, die Geduld fordern. Es ist eine schwierige Phase und es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass es die Verantwortung jedes Einzelnen ist, auf diesem Weg nach vorn dabei zu sein. Wir sind das dem Andenken derer, die ihr Leben geopfert haben, schuldig.”


Uschi Grandel - http://archiv.info-nordirland.de/ - 8. Mai 2006 (Anmerkungen der Übersetzerin in Klammern)

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