Frankfurter Rundschau – 10.7.2000


Als wolle der Ku-Klux-Klan durch Harlem marschieren

Der Sinn-Fein-Politiker Gerry Kelly über Orangisten, die IRA und den Frieden in Nordirland

Gerry Kelly ist der "Dritte Mann" im Triumvirat der irischen Republikaner - die Graue Eminenz neben Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams und Chefunterhändler Martin McGuinness. Kelly wurde bekannt durch den IRA-Bombenanschlag auf das Londoner Schwurgericht des Old Bailey 1972, und machte 1983 erneut von sich reden, als er einen Massenausbruch aus dem Maze-Hochsicherheitsgefängnis organisierte. Sein Ruf als "harter" Republikaner verschafft ihm bis heute Respekt in der IRA. Gleichwohl trug Kelly die "Gewalt überwindende Strategie" mit, die zu Waffenstillstand und Karfreitagsabkommen in Nordirland führte. Heute sitzt er für Sinn-Fein im Stormont-Parlament und ist Sprecher seiner Partei für Recht und Ordnung. Mit Kelly sprach in Stormont FR-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Frankfurter Rundschau: Mr.Kelly - in Drumcree sieht man Nordirlands Orangisten gegen Polizei und Armee anrennen. Was ist da los? Was bedeutet diese Konfrontation für die katholische Bevölkerung, und für den Frieden in der Provinz?

Gerry Kelly: Diese punktuelle Geschichte hat unglaublich vielen Leute in ganz Irland zu denken gegeben. Sie ist so etwas wie ein Mikrokosmos dessen geworden, womit wir es hier zu tun haben - weil es um eine kleine katholische Bevölkerungsgruppe geht, die von einer sehr viel größeren loyalistischen und unionistischen umgeben ist. Und was will diese größere Gruppe tun? Sie will mitten durch das katholische Viertel marschieren. Durch ein Viertel, in dem schon eine Menge Menschen getötet worden sind. Weshalb das Ganze äußerst leicht außer Kontrolle geraten kann. Hoffen wir, dass es das nicht tut. Denn was in der Garvaghy Road passiert, teilt sich unmittelbar auch Belfast mit. Die letzten paar Nächte haben wir ja erlebt, wie in Nord-Belfast marschiert wurde, wie überall Straßen blockiert wurden.

Die Protestanten bestehen, was diese Märsche angeht, auf ihrem Recht, sogar auf einem Menschenrecht, zur freien Parade.

Es ist kein Menschenrecht, auf anderer Leute Rechten herumzutrampeln. Das ist doch, als verlange der Ku-Klux-Klan, durch Harlem marschieren zu dürfen. Das alles hat eine lange Geschichte. 3000 solcher Märsche gibt es jedes Jahr, und niemanden kümmert's. Und warum? Weil es ihre Kultur ist, weil Marschieren Teil ihrer Kultur ist. Aber sagen wir es doch einmal direkt heraus: Die Kultur der Orangisten besteht darin, dass sie Katholiken hassen. Darum geht es doch. Und meinetwegen sollen sie eine eigene Kultur haben. Nur, in mein Haus schließe ich mich deshalb nicht ein, wenn diese Typen die Straße herunter kommen und mich unflätig beschimpfen und damit angeben, wieviele Katholiken sie umgebracht haben. Da muss man mal sagen: Bis hierher und nicht weiter. Und natürlich wollen sie auch nicht über diese Dinge mit sich reden lassen - aus genau demselben Grund, weil sie diese Mentalität haben, wollen sie nicht mit uns reden.

Immerhin verstellt ihnen die britische Regierung mittlerweile den Weg durch die Garvaghy Road.

Das Problem mit der irischen Situation ist, dass die Unionisten bis jetzt in der Lage waren, sich jeder Art von Wandel zu widersetzen - betreffs Gleichberechtigung, betreffs Teilhabe der Katholiken an der Macht. Widersetzen aber konnten sie sich nur, weil die Briten ihnen erlaubten, das zu tun. Was sich in jüngster Zeit geändert hat, das ist, dass die britische Labour Party zumindest teilweise akzeptiert hat, dass es einen Wandel geben muss, dass der Unionismus sich verändern muss.

Und gegen diesen Wandel stemmen sich die Protestanten?

Die Unionisten versuchen immer noch, die IRA, den republikanischen Kampf, den Republikanismus vernichtend zu besiegen. Ich glaube, diese Mentalität muss sich ändern. Solange sie nur versuchen, den Republikanismus zu besiegen, ist der Friedensprozess in Schwierigkeiten. Wo sie ernsthaft an einer Konfliktlösung arbeiten, hilft uns das, Fortschritte zu machen.

David Trimble, der Unionisten-Führer und nordirische Ministerpräsident, der auch zwei Sinn-Fein-Minister im Kabinett hat, ist ja wohl selbst an solchem Fortschritt interessiert?

Leider hat Trimble, seit er das Karfreitags-Abkommen von 1998 unterzeichnete, dem Friedensprozess eine ganze Reihe von Hindernissen in den Weg gestellt. Ich will mal warten mit einem Urteil, ob er damit aufgehört hat oder nicht. Ich will auch nicht kleinlich sein. Man muss Trimble beim Wort nehmen. Die Regierung funktioniert jedenfalls. Das Stormont-Parlament funktioniert. Generell, auch wenn es vielleicht nicht so klingt, bin ich zuversichtlich. Wir bewegen uns vorwärts, und das ist wichtig. Wir haben es geschafft, wieder Bewegung in den Friedensprozess zu bringen, und wir dürfen nicht nachlassen, die Sache am Laufen zu halten.

Wie solide ist denn die Grundlage des Friedensprozesses wirklich? Die loyalistischen Ulster Freedom Fighters (UFF) etwa droht schon, den Waffenstillstand aufzukündigen. Vermummte UFF-Gestalten haben in Portadown, anlässlich der Drumcree-Konfrontation, Gewehrsalven abgefeuert.

Die Gefahr, dass die UFF zu weit geht, und dass wir wieder eine Situation wie in den siebziger Jahren bekommen, existiert natürlich. Ich persönlich bezweifle es allerdings. Wenn ich mir diese Bilder anschaue, von UFF-Bannern, die nach Drumcree getragen werden, dann kommt mir das eher lächerlich als gefährlich vor. Natürlich, das stimmt, hat man es mit gefährlichen Leuten zu tun.

Sie selbst waren ja früher auch in den Reihen der IRA an militärischen Aktionen beteiligt. Was hat Sie bewogen, die Waffe aus der Hand zu legen? Bedeutet das, dass Sie zu der Einsicht gekommen sind, bewaffneter Kampf trage zur Lösung des Nordirland-Problems nichts bei?

Nein, es bedeutet nur, dass ich mit einigen anderen in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren die Möglichkeit ausmachte, dass wir in eine Situation eingetreten waren, in der der Konflikt gelöst werden konnte. Unsere Analyse war, dass der Kampf zwischen britischer Armee und IRA praktisch zu einem Patt geführt hatte und dass das politische Klima Entwicklung erlaubten. Wenn Sie mich also fragen, ob ich heute denke, dass ich mit 19 Jahren das Falsche getan habe, dann wäre die Antwort: keineswegs. Wir haben uns einfach weiter bewegt. Die Chance ist jetzt da, die Ursachen des Konflikts auf demokratische Weise zu beheben. Das war, glaube ich, damals noch nicht der Fall.

Und wird die IRA weiter mit ziehen auf diesem Weg? Werden die Republikaner am Friedensprozess festhalten, auch wenn es langsam und zäh vorangeht?

Natürlich ist die Ungeduld groß, in der republikanischen Bewegung. Wir haben unseren Aktivisten eine Menge zugemutet. Manchmal bin ich selbst überrascht, dass uns das gelungen ist, wenn ich an die republikanischen Traditionen denke. Dass die IRA Inspektoren ihre Waffenlager geöffnet hat - das hat's noch nie gegeben in den 200 Jahren unserer Geschichte. Gewiss, die Leute sind nervös. Aber sie denken auch sehr politisch. Der Wille ist jedenfalls da unter uns Republikanern, den Konflikt hinter uns zu lassen.