Als
wolle der Ku-Klux-Klan durch Harlem marschieren
Der
Sinn-Fein-Politiker Gerry Kelly über Orangisten, die IRA und den Frieden in
Nordirland
Gerry
Kelly ist der "Dritte Mann" im Triumvirat der irischen Republikaner -
die Graue Eminenz neben Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams und Chefunterhändler
Martin McGuinness. Kelly wurde bekannt durch den IRA-Bombenanschlag auf das
Londoner Schwurgericht des Old Bailey 1972, und machte 1983 erneut von sich
reden, als er einen Massenausbruch aus dem Maze-Hochsicherheitsgefängnis
organisierte. Sein Ruf als "harter" Republikaner verschafft ihm bis
heute Respekt in der IRA. Gleichwohl trug Kelly die "Gewalt überwindende
Strategie" mit, die zu Waffenstillstand und Karfreitagsabkommen in
Nordirland führte. Heute sitzt er für Sinn-Fein im Stormont-Parlament und ist
Sprecher seiner Partei für Recht und Ordnung. Mit Kelly sprach in Stormont FR-Korrespondent
Peter Nonnenmacher
Frankfurter
Rundschau:
Mr.Kelly - in Drumcree sieht man Nordirlands Orangisten gegen Polizei und Armee
anrennen. Was ist da los? Was bedeutet diese Konfrontation für die katholische
Bevölkerung, und für den Frieden in der Provinz?
Gerry
Kelly:
Diese punktuelle Geschichte hat unglaublich vielen Leute in ganz Irland zu
denken gegeben. Sie ist so etwas wie ein Mikrokosmos dessen geworden, womit wir
es hier zu tun haben - weil es um eine kleine katholische Bevölkerungsgruppe
geht, die von einer sehr viel größeren loyalistischen und unionistischen
umgeben ist. Und was will diese größere Gruppe tun? Sie will mitten durch das
katholische Viertel marschieren. Durch ein Viertel, in dem schon eine Menge
Menschen getötet worden sind. Weshalb das Ganze äußerst leicht außer
Kontrolle geraten kann. Hoffen wir, dass es das nicht tut. Denn was in der
Garvaghy Road passiert, teilt sich unmittelbar auch Belfast mit. Die letzten
paar Nächte haben wir ja erlebt, wie in Nord-Belfast marschiert wurde, wie
überall Straßen blockiert wurden.
Die
Protestanten bestehen, was diese Märsche angeht, auf ihrem Recht, sogar auf
einem Menschenrecht, zur freien Parade.
Es
ist kein Menschenrecht, auf anderer Leute Rechten herumzutrampeln. Das ist doch,
als verlange der Ku-Klux-Klan, durch Harlem marschieren zu dürfen. Das alles
hat eine lange Geschichte. 3000 solcher Märsche gibt es jedes Jahr, und
niemanden kümmert's. Und warum? Weil es ihre Kultur ist, weil Marschieren Teil
ihrer Kultur ist. Aber sagen wir es doch einmal direkt heraus: Die Kultur der
Orangisten besteht darin, dass sie Katholiken hassen. Darum geht es doch. Und
meinetwegen sollen sie eine eigene Kultur haben. Nur, in mein Haus schließe ich
mich deshalb nicht ein, wenn diese Typen die Straße herunter kommen und mich
unflätig beschimpfen und damit angeben, wieviele Katholiken sie umgebracht
haben. Da muss man mal sagen: Bis hierher und nicht weiter. Und natürlich
wollen sie auch nicht über diese Dinge mit sich reden lassen - aus genau
demselben Grund, weil sie diese Mentalität haben, wollen sie nicht mit uns
reden.
Immerhin
verstellt ihnen die britische Regierung mittlerweile den Weg durch die Garvaghy
Road.
Das
Problem mit der irischen Situation ist, dass die Unionisten bis jetzt in der
Lage waren, sich jeder Art von Wandel zu widersetzen - betreffs
Gleichberechtigung, betreffs Teilhabe der Katholiken an der Macht. Widersetzen
aber konnten sie sich nur, weil die Briten ihnen erlaubten, das zu tun. Was sich
in jüngster Zeit geändert hat, das ist, dass die britische Labour Party
zumindest teilweise akzeptiert hat, dass es einen Wandel geben muss, dass der
Unionismus sich verändern muss.
Und
gegen diesen Wandel stemmen sich die Protestanten?
Die
Unionisten versuchen immer noch, die IRA, den republikanischen Kampf, den
Republikanismus vernichtend zu besiegen. Ich glaube, diese Mentalität muss sich
ändern. Solange sie nur versuchen, den Republikanismus zu besiegen, ist der
Friedensprozess in Schwierigkeiten. Wo sie ernsthaft an einer Konfliktlösung
arbeiten, hilft uns das, Fortschritte zu machen.
David
Trimble, der Unionisten-Führer und nordirische Ministerpräsident, der auch
zwei Sinn-Fein-Minister im Kabinett hat, ist ja wohl selbst an solchem
Fortschritt interessiert?
Leider
hat Trimble, seit er das Karfreitags-Abkommen von 1998 unterzeichnete, dem
Friedensprozess eine ganze Reihe von Hindernissen in den Weg gestellt. Ich will
mal warten mit einem Urteil, ob er damit aufgehört hat oder nicht. Ich will
auch nicht kleinlich sein. Man muss Trimble beim Wort nehmen. Die Regierung
funktioniert jedenfalls. Das Stormont-Parlament funktioniert. Generell, auch
wenn es vielleicht nicht so klingt, bin ich zuversichtlich. Wir bewegen uns
vorwärts, und das ist wichtig. Wir haben es geschafft, wieder Bewegung in den
Friedensprozess zu bringen, und wir dürfen nicht nachlassen, die Sache am
Laufen zu halten.
Wie
solide ist denn die Grundlage des Friedensprozesses wirklich? Die loyalistischen
Ulster Freedom Fighters (UFF) etwa droht schon, den Waffenstillstand
aufzukündigen. Vermummte UFF-Gestalten haben in Portadown, anlässlich der
Drumcree-Konfrontation, Gewehrsalven abgefeuert.
Die
Gefahr, dass die UFF zu weit geht, und dass wir wieder eine Situation wie in den
siebziger Jahren bekommen, existiert natürlich. Ich persönlich bezweifle es
allerdings. Wenn ich mir diese Bilder anschaue, von UFF-Bannern, die nach
Drumcree getragen werden, dann kommt mir das eher lächerlich als gefährlich
vor. Natürlich, das stimmt, hat man es mit gefährlichen Leuten zu tun.
Sie
selbst waren ja früher auch in den Reihen der IRA an militärischen Aktionen
beteiligt. Was hat Sie bewogen, die Waffe aus der Hand zu legen? Bedeutet das,
dass Sie zu der Einsicht gekommen sind, bewaffneter Kampf trage zur Lösung des
Nordirland-Problems nichts bei?
Nein,
es bedeutet nur, dass ich mit einigen anderen in den späten achtziger und
frühen neunziger Jahren die Möglichkeit ausmachte, dass wir in eine Situation
eingetreten waren, in der der Konflikt gelöst werden konnte. Unsere Analyse
war, dass der Kampf zwischen britischer Armee und IRA praktisch zu einem Patt
geführt hatte und dass das politische Klima Entwicklung erlaubten. Wenn Sie
mich also fragen, ob ich heute denke, dass ich mit 19 Jahren das Falsche getan
habe, dann wäre die Antwort: keineswegs. Wir haben uns einfach weiter bewegt.
Die Chance ist jetzt da, die Ursachen des Konflikts auf demokratische Weise zu
beheben. Das war, glaube ich, damals noch nicht der Fall.
Und
wird die IRA weiter mit ziehen auf diesem Weg? Werden die Republikaner am
Friedensprozess festhalten, auch wenn es langsam und zäh vorangeht?
Natürlich ist die Ungeduld groß, in der republikanischen Bewegung. Wir haben unseren Aktivisten eine Menge zugemutet. Manchmal bin ich selbst überrascht, dass uns das gelungen ist, wenn ich an die republikanischen Traditionen denke. Dass die IRA Inspektoren ihre Waffenlager geöffnet hat - das hat's noch nie gegeben in den 200 Jahren unserer Geschichte. Gewiss, die Leute sind nervös. Aber sie denken auch sehr politisch. Der Wille ist jedenfalls da unter uns Republikanern, den Konflikt hinter uns zu lassen.