Gestern (4.4.2006) wurde bekannt, dass Denis Donaldson, der ehemalige Büroleiter von
Sinn Féin im Regionalparlament, der im Dezember als britischer Agent
enttarnt und aus der Partei ausgeschlossen wurde, tot aufgefunden wurde. Hr.
Donaldson war die einzige Person, bei der im Zusammenhang mit dem
angeblichen Spionagering der IRA im Regionalparlament im Jahre 2002
belastendes Material gefunden wurde. Dieser angebliche Spionagering führte
damals zur Suspendierung der Regionalregierung durch die britische Regierung
und damit zur tiefen Krise, in der der nordirische Friedensprozess seither
steckt. Der Tod des (oder Mord an) Denis Donaldson kommt nun gerade in der
Woche, in der die Diskussion um ein Ende der Suspendierung und die Bildung
einer parteiübergreifenden Regionalregierung neu aufgenommen werden soll.
Der heutige Leitartikel der Tageszeitung "Daily Ireland" regt zum Nachdenken an:
Daily Ireland Leitartikel:
Die Mörder wollen den Friedensprozess zu Fall bringen
Herausgeber: Colin O’Carroll
Daily Ireland, 5. April 2006
Die Wahrheit über den Tod von Denis Donaldson muss erst noch ans Tageslicht kommen, aber zuallererst
ist dies eine fürchterliche Tragödie für die Familie Donaldson, die schon ein schweres Kreuz zu tragen hatte,
seit die grimmigen Fakten seines geheimen Lebens im Wirbel des "Stormontgate"-Fiaskos enthüllt wurden.
Die IRA hat in einer Stellungnahme erklärt, sie habe nichts mit dem Mord zu tun, Sinn Féin
Präsident Gerry Adams hat die Tat vorbehaltlos verurteilt. Die DUP sagte, die Augen würden sich nun
auf "Sinn Féin/IRA" richten. Diese Augen, die sich da in diese Richtung bewegen, haben eine Tradition darin,
politisches Kapital aus nicht belegten Beschuldigungen zu schlagen - dass sie sich mit nur schlecht
verborgener Häme auf diesen Fall stürzen, wundert kaum. Und trotzdem ist es zutiefst beunruhigend, wie dieser
Wirbel aus leerem Geschwätz und verdrehten Darstellungen losbricht, bevor überhaupt die Leiche in Glenties
(in Donegal, im Nordwesten Irlands)
offiziell identifiziert wurde. Im Moment weiss keiner, wer Denis Donaldson umgebracht hat, keiner ausser seinem
Mörder und dessen Auftraggebern. Aber auch wenn harte Fakten fehlen, haben wir das Recht zu fragen "cui bono"?
Wem nützt der Tod eines Mannes, der den irischen Republikanern, für die er offen arbeitete und den britischen Spitzeln,
für die er geheim arbeitete, so viel Ärger machte?
Den Friedensprozess in eine nächste lähmende Runde von gegenseitigen Beschuldigungen über solch ein
hochpolitisches Verbrechen hineinziehen zu lassen, ist das allerletzte, was die Republikaner derzeit
wollen. Die Modalitäten für die Wiederaufnahme der politischen Institutionen in Irlands Norden sind noch
nicht festgelegt, aber eine wachsende Dynamik in Richtung des Wiederbelebens der Regionalregierung ist nicht
zu leugnen. Hinzu kommt die wachsende Zuversicht über die Chancen von Sinn Féin im Süden, wo die hysterische
Ablehnung der Partei als möglicher Koalitionspartner gerade durch leise aber unmissverständliche Töne
Stück für Stück zurückgenommen wird. Warum um alles in der Welt sollten die Republikaner in dieser
Situation alles aufgeben, nur um eine alte Rechnung zu begleichen? Das heisst nicht, dass nicht die Möglichkeit
besteht, dass die Wut und Feindseligkeit eines republikanischen Individuums tief genug war, um diesen Mord
zu begehen.
Aber wir sollten auch darüber nachdenken, wie sehr der britische Geheimdienst, der langjährige Auftraggeber des
Herrn Donaldson, von seinem Tod profitiert haben könnte. Seit dem Waffenstillstand des IRA (im Jahr 1997)
ist die Verlustrate der Paramilitärs - hauptsächlich Loyalisten, muss man dazusagen - die im Sold des britischen
Staates standen, erschreckend. Und wie die anderen Agenten vor ihm (die in den letzten Jahren
auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen sind) nimmt Denis Donaldson seine Geheimnisse mit ins Grab.
Wie so oft wurde ein hochkarätiges Verbrechen zu einer Zeit ausgeführt, als gerade eine wichtige politische
Initiative anstand - in diesem Fall eine wichtige gemeinsame Ankündigung von Bertie Ahern und Tony Blair
am Donnerstag in Armagh , wie der Stillstand im Friedensprozess überwunden werden kann.
Die Gegner des Friedensprozesses im britischen Sicherheitsapparat, (die 2002 bereits die Regionalregierung zu Fall
brachten und ) die Fortschritt im Friedensprozess verhindern wollen, werden sich freuen.
Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 5. April 2006
(Erläuterungen in Klammern)