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Daily Ireland, 3. März 2006


Vergleichbarer Staatsterror im ehemaligen Apartheid-Südafrika und im nordirischen Tyrone

von Jarlath Kearney


3. März 2006

Kürzlich bemerkte Peter Hain, der derzeitige ohne Parlament herrschende (britische) Nordirlandminister, der Mord an Pat Finucane im Jahr 1989 "brachte Erinnerungen zurück an Leute, die ich in Südafrika vor vielen Jahren kannte und die unter erschreckend ähnlichen Umständen ermordet wurden".

Etliche Angehörige, die durch Collusion, das ist die planmässige Zusammenarbeit britischer Behörden mit Todesschwadronen, Familienmitglieder verloren haben, finden diese Symphatiekundgebung schwer zu ertragen. Denn die Analogie mit dem (Apartheids-)Südafrika wirft ernste Fragen für den 'bwana (Herr)' ihrer Majestät in Irland auf.

Insbesondere erfolgte der Transfer von militärischen Waffen (für loyalistische Paramilitärs, also pro-britische Todesschwadronen)aus Südafrika nach Nordirland unter der Kontrolle und der Betreuung von britischen Staatsdienern. Und Herr Hain weiss, dass einige dieser Staatsdiener auch unter seiner Ägide immer noch in Amt und Würden sind.

Die Fragen, die Herr Hains Analogie mit Südafrika aufwirft, können anhand der brutalen Vernetzung erklärt werden, die heute vor 15 Jahren zu vier Morden führte.

Wenn Herr Hain verstehen will, was 1991 im ländlichen Ort Cappagh im nordirischen Tyrone geschah, möge er sich das urbane township Soweto in Johannisburg zur gleichen Zeit vorstellen.

Um die Morde in Cappagh zu verstehen, muss man die Politik der Collusion, (also der planmässigen Zusammenarbeit von britischen Stellen mit pro-britischen Todesschwadronen), verstehen. Herr Hain soll sich dabei ein Gebiet vorstellen, in dem das Konzept der Nachbarschaftshilfe sich wie ein enges Band des Widerstands gegen Unterdrückung um die Anwohner schlingt. Dies wird vor allem durch die Unterstützung der politischen Aktivitäten des ANC sichtbar.

Er soll sich ein Gebiet vorstellen, in dem diese Anwohner täglich mehrfach ihre Ausweise vorzeigen müssen, in dem die kleinen Wohnungen täglich mit Razzien überzogen und dabei verwüstet werden, in dem ihre Autos durchsucht und verdreckt werden, in dem die Schultaschen und Einkaufstüten mehrfach täglich ausgeleert und durchsucht werden, in dem Männer und vor allem Frauen unterwegs systematisch schikaniert und bedroht werden - Junge und Alte gleichermassen.

Er soll sich vorstellen, dass an einem Sonntag abends die Polizei das zentrale Bürgerhaus des Gebiets betrat und anfing, eine Lageskizze anzufertigen. Er soll sich vorstellen, dass eine Woche später, an einem Sonntagnachmittag, der örtliche Fussballplatz intensiv von einem Militärhubschrauber überwacht wurde, gerade mal 100 m über dem wöchentlichen Spiel. Er soll sich vorstellen, dass der ganze Ort an diesem Tag von Massen an Militär besetzt war - genauso wie in den Wochen und Monaten davor.

Herr Hain soll sich dann vorstellen, wie diese allumfassende Militärpräsenz in diesem Township sanft und auf unerklärbare Weise plötzlich spät am Sonntag abend verschwindet. Er soll sich vorstellen, dass eine gutausgerüstete Gang einer rassistischen Miliz - die modernste Militärwaffen trägt, die gerade von Grossbritannien unter der Leitung eines südafrikanischen Polizeiagenten nach Südafrika importiert wurden - völlig unentdeckt in das Township schlüpfen kann. Er soll sich vorstellen, dass diese rassistische Gang praktischerweise exakt zu dem Zeitpunkt vor dem Bürgerhaus ankommt, an dem die Woche zuvor die Razzia durch die Polizei begonnen hatte.

Er soll sich vorstellen, dass diese Gang praktischerweise in einem Auto sass, in dem sie sich in aller Ruhe vorbereitete, dass von Farbe und Machart identisch zu einem am Ort vorhandenen Fahrzeug war. Damit war es nicht auffällig.

Er soll sich vorstellen, dass diese rassistische Gang das Feuer eröffnet, als ein Fahrzeug mit jungen ANC Mitgliedern ankommt - drei der Autoinsassen sterben und einer wird verwundet. Er soll sich vorstellen, dass diese rassistische Gang dann in Kenntnis der Verhältnisse im Bürgerhaus, in einem solchen Winkel durch die hohen Fenster der Toiletten in das Bürgerhaus feuert, dass die Kugeln direkt in Richtung der Leute zielten, die sich im zentralen Treffpunkt aufhielten. Ein Mann in mittlerem Alter wurde duch diese Schüsse getötet, ein weiterer verletzt.

Er soll sich vorstellen, dass diese rassistische Gang es dann schafft, aus dem feindlichen Soweto Township auf wundersame Art in die Nacht hinaus zu verschwinden. Er soll sich vorstellen, dass die Polizei sich weigert, die genaue ballistische Historie der benützten Waffen offenzulegen.

Er soll sich vorstellen, dass die Polizei keine einzige Verurteilung im Zusammenhang mit diesen Morden zu Wege brachte.

Er soll sich vorstellen, dass dieser Vorfall nach einem Muster passierte, dass wiederholt angewendet wurde. Und dann, Herr Hein, fragen Sie sich selbst: wäre solch ein Überfall in Soweto 1991 passiert, hätten Sie nicht "Colluion" geschrien? Die Leute in Cappagh sind überzeugt, dass die Politik der britischen Regierung, mit anti-irischen Mordgangs zusammenzuarbeiten (Collusion), zu den Massenmorden vor O’Boyle’s Pub am 3. März 1991 führte.

Nachdem sich (die nordirische Polizei) RUC und die (berüchtigten Polizeihilfstruppen)UDR auffällig um diesen Pub gekümmert haben, war eine UVF Gang in der Lage, Cappagh an einem Sonntag abend zu betreten und zu verschwinden, ohne irgendwie aufgehalten zu werden.

Dabei ermordete die UVF den 23-jährigen John Quinn, den 20-jährigen Malcom Nugent, den 17-jährigen Dwyane O’Donnell und verwundeten einen weiteren Mann, als sie vor O’Boyle’s auftauchten.

In O’Boyle’s Pub wurde der 52-jährige Thomas Armstrong von Kugeln getroffen, die in das Pub durch ein kaum zugängliches Toilettenfenster, das sich hoch oben in der Wand des Pubs befand, gefeuert wurden. Ein weiterer Mann wurde verletzt.

Das Verschwinden der UVF Gang passiert zu dem Zeitpunkt, als ein einziger Helikopter (der britischen Armee) im Ort landet und sofort wieder abhebt.

Das UVF Fluchtauto wurde ausgebrannt in einem nahegelegenen Steinbruch gefunden, an derselben Stelle, an der 1972 ein loyalistisches Fluchtauto entsorgt wurde.

Daily Ireland hat gestern mit den Angehörigen der vier Ermordeten gesprochen. Sie fordern Aufklärung vom (britischen) Staat über den Mord.

Malcom Nugent’s Schwester, Siobhan Wylie, sagt, es sei zynisch, wie gut die Soldaten ihrer Majestät die Autos, die von und zur Beerdigung fuhren, anhalten und durchsuchen konnten. Dass sie aber ausgerechnet und völlig uncharakteristisch in der Nacht des Mordes von der Bildfläche verschwanden. Siobhan hat nun eine 14-jährige Tocher, die "es nicht glauben kann, dass Loyalisten in der Lage waren, einfach nach Cappagh zu kommen" und ihre Mordmission zu vollenden.

"Vielleicht sind wir jetzt stark genug, die Wahrheit herauszufinden. Ich erinnere mich an einen UDR Soldaten, der während einer UDR Razzia in unserem Haus im folgenden Jahr damit angab und darüber lachte, dass er wusste, auf welchem Weg Malcolm versucht hatte zu fliehen, wie er über eine Mauer gesprungen sei und versucht habe, ins Feld zu entkommen, bevor er erschossen wurde."

John Quinn’s Mutter, Peggy, erzählt Daily Ireland, dass die UDR ihren Sohn vor dem Mord auf der Hauptstrasse in Cappagh gestoppt habe und ihm eine Gewehrkugel in die Tasche gesteckt habe.

“Die Mordnacht war die erste und letzt Nacht, in der ich beim Bingospielen in Carrickmore war. Ich erhielt einen Anruf, ich solle nach Hause kommen, es hätte Schüsse in Cappagh gegeben und John sei verwundet."

“Wir gingen direkt zum South Tyrone Hospital und ich erinnere mich, dass die Polizei mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor dem Krankenhaus sass.

“Viele dieser politischen Polizei "Special Branch" sind heute noch Polizisten. Wir wollen die Wahrheit wissen. Wer hat den Auftrag gegeben?" fragt Peggy.

Thomas Armstrong’s Bruder Mickey erinnert sich daran, wie verletzt seine Mutter war, dass ihr der Staat nie die Wahrheit über die Morde gesagt hat.

"Meine Mutter starb und sie litt sehr daran, die Wahrheit nicht erfahren zu haben. Niemand wurde zur Verantwortung gezogen. Sie hat immer gewarnt, dass irgend ewtas in O'Boyle's Pub passieren könnte, weil man sich da einfach traf. Sie hat das immer gesagt und dann ist es passiert."

"Thomas starb direkt am Tatort. Am nächsten morgen holten sie uns in die Polizeikaserne Dungannon Barracks und zeigten uns das Auto. Es war von Einschusslöchern übersäht. Wir haben die kleider von Thomas nie zurückerhalten, nur seine Brieftasche," erzählt Mickey.

Dwyane O’Donnell’s Mutter Briege sagt, sie könne immmer noch nicht glauben, dass eine loyalistische Gang in der Lage war, eine solche Mordtat "in einer Hochburg von Republikanern und Nationalisten" durchzuführen."

“Billy Wrights Name wurde genannt, aber wir müssen wissen, wer die Strippenzieher waren. Die Polizei kam erst Stunden nach den Morden nach Cappagh.

“An manchen Tagen kann ich sehr stark sein, aber an anderen Tagen stehe ich einfach beim Kartoffelschälen und die Tränen tropfen ins Waschbecken."

“Wir wissen nun, dass niemand mehr verurteilt werden wird, aber es ist sehr schwierig, dies alles den Kindern und Enkeln zu erklären, ohne dass die Wahrheit vom Staat anerkannt wird," sagt Briege.

Heute Nacht finden Messen im Gedenken an Malcolm, John, Thomas und Dwyane in Tyrone statt. Die Menschen in Cappagh gedenken jedes Jahr an Ostern stolz der ermordeten Männer in einer Gedenkveranstaltung vor O'Boyle’s Pub.

Vielleicht sind Messen zum Gedenken nicht die Sache von Peter Hain. aber vielleicht könnte er dem ein oder anderen seiner südafrikanischen Bekannten erklären, was ihm wichtiger ist: der Schutz korrupter Staatspraktiken und korruptem Staatspersonal im Interesse einer angeblichen "Nationalen Sicherheit" oder die Aufdeckung der Wahrheit über Staatsterrorismus im Interesse der trauernden Familien - und im Interesse der Zukunft dieser Insel?


Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 11. März 2006 (Erläuterungen in Klammern)


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