Offener Brief an Tony Blair
(Eine) Untersuchung muss klären, wie und warum die britischen Geheimdienste vor drei Jahren
die (nordirische) Regionalregierung stürzten.
Tony Blair
Premierminister
10 Downing Street
London SW1A 2AA
England
28. Dezember 2005
Sehr geehrter Premierminister,
Im Oktober 2002 hat Ihre Regierung die nordirische Regionalregierung suspendiert und drei Personen,
darunter Denis Donaldson, den damaligen Büroleiter von Sinn Féin in Stormont (dem
Sitz des nordirischen Parlaments), angeklagt, einen "IRA-Spionagering" betrieben zu haben.
Am 9. Dezember 2005 wurde der Fall "Spionagering Stormont" im Belfaster Crown Court zu den Akten gelegt,
als Ihre Regierung die Staatsanwaltschaft anwies, alle Anklagepunkte fallen zu lassen.
Sieben Tage später gab Denis Donaldson zu, er habe 20 Jahre lang als bezahlter britischer Agent
für die britischen Sicherheitskräfte gearbeitet. Die britische Regierung hat diese Enthüllung nicht
bestritten.
Trotz ihrer Beschränkungen hat die Regionalregierung den Menschen in Nordirland zum ersten Mal
seit der Spaltung Irlands vor 85 Jahren die Möglichkeit demokratischer Debatte und
Selbstbestimmung gegeben. Sie wurde als Koalitionsregierung auf Basis der Wahlergebnisse gebildet und
war eine bemerkenswerte Errungenschaft aller Parteien, die (im Jahre 1998) das Karfreitagsabkommen
zustandegebracht haben. Die Regionalregierung stand für Toleranz und faires Miteinander.
Trotzdem haben verschiedene britische Nordirlandminister zweimal unilateral die Pforten von Stormont geschlossen.
Jedesmal haben sie damit die Hoffnungen zerstört, die die Menschen der verschiedensten politischen
und religiösen Überzeugungen in Nordirland in diese eigene Regierung setzten.
Jedes Mal haben sie angegeben, auf Grund von Informationen ihrer Sicherheitskräfte
über "foul play" von Sinn Féin handeln zu müssen. Wie jedes Mal, erwies sich auch diesmal die "Information" als
Fälschung. In diesem letzten Debakel war der einzige "Spionagering" in Stormont einer, der von den britischen
Sicherheitskräften selbst initiiert worden war.
Die Auswirkungen sind äusserst ernst. Britische Staatsbeamte haben eine Regionalregierung versprochen;
britische Staatsbeamte haben dieses Versprechen gebrochen und damit das Regierungskonstrukt, das in
sorgfältig austarierter Machtteilung gebildet worden war, manipuliert. Als Resultat war diese Regionalregierung
fast acht Jahre nach Abschluss des Karfreitagsabkommens ganze 20 Monate im Amt. Die restliche Zeit wurde
Nordirland direkt von Grossbritannien aus regiert.
Ihre Regierung trägt die Verantwortung für den Sturz einer frei und demokratisch gewählten Regierung. Würde dies
in einem anderen Teil der Welt geschehen, wäre der britische Premierminister einer der ersten, solch ein
Fehlverhalten als Polizeistaat zu verdammen.
Die Menschen in Irland und in Grossbritannien wollen diesen Friedensprozess. Die Vereinigten Staaten,
vertreten durch den damaligen Präsidenten Clinton und seinen Sonderbevollmächtigten Senator Mitchell,
haben beim Aufbau von Vertrauen zwischen den ehemaligen Konfliktparteien und der Einhaltung des
Karfreitagsabkommens eine zentrale Rolle gespielt.
Dieses Vertrauen wurde betrogen und alle Betroffenen haben das Recht auf eine umfassende und
offene Untersuchung der Vorfälle und der Handlungen der Verantwortlichen. Wenn die britischen
Sicherheitskräfte nicht jenseits von Kontrolle und Verantwortlichkeit operieren, müssen
hochrangige Personen in Ihrer Regierung von Anfang an gewusst haben, dass "Stormontgate" ein Betrug war
und dass Donaldson für Ihre eigenen Sicherheitskräfte arbeitete.
Die tragische Ironie ist, dass die Regionalregierung in der kurzen Zeit, in der ihr die Arbeit erlaubt war, besser
funktionierte, als man sich je hätte denken können. Inzwischen ist das Vertrauen zwischen den Lagern
auf einem Tiefpunkt angelangt. Ihre Regierung trägt die Verantwortung dafür, echte Hoffnung
wiederzubeleben und einem erstarrten Friedensprozess neues Leben einzuhauchen.
Als Minimalkonsens muß all denen, die soviel Hoffnung in den Friedensprozess gesetzt haben, das Recht
auf eine offene und transparente Untersuchung zugestanden werden. Diese Untersuchung muss klären, wie und warum
die britischen Geheimdienste vor drei Jahren die (nordirische) Regionalregierung stürzten.
Genauso wichtig ist es, dass die britische Regierung den bestehenden Zustand nicht länger konserviert,
die politischen Institutionen wieder einsetzt und das Karfreitagsabkommen vollständig umsetzt.
Hochachtungsvoll,
Frank Durkin, Chairman,
Americans for a New Irish Agenda
Ned McGinley, President,
Ancient Order of Hibernians
James Cullen, Patrick Doherty, Steven McCabe,
Esqs. Brehon Law Societies
Robert Linnon, President,
Irish American Unity Conference
Joe Jamison, President,
Irish American Labor Coalition
Paul Doris, Chairman,
Irish Northern Aid Committee
Sean Cahill,
Irish Parades Emergency Committee
Edmund Lynch,
Lawyers' Alliance
Julie Coleman,
Secretary, Irish American Action Committee
Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 2. Januar 2006
(Erläuterungen in Klammern)