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20. Dezember 2005

Allein der Verdacht, dass mitten in Europa der Sturz einer gewählten Regierung in irgendeiner Weise von staatlichen Stellen inszeniert worden sein könnte, ist ungeheuerlich. Man sollte meinen, die britische Regierung setzt alles daran, diesem Verdacht auf den Grund zu gehen, die Verhältnisse aufzuklären und die Drahtzieher aus dem Verkehr zu ziehen.

In Nordirland kommt hinzu, dass die Regionalregierung im Jahr 2002 ein zentraler Kristallisationspunkt des Konfliktlösungsprozesses war. Sie war die erste gemeinsame Regierung der nordirischen Konfliktparteien, die Anzahl der Minister gewichtet nach dem Mandat der Wähler. Sie zeigte auf praktische Art, dass Zusammenarbeit funktioniert und machte durch die sehr populäre Arbeit der beiden Sinn Fein Minister, des Erziehungsministers Martin McGuinness und der Gesundheitsministerin Bairbre de Brun, die Dämonisierung von Sinn Fein unglaubwürdig.

Reaktionen von Sinn Féin und britischer Regierung -

nordirischer Polizeichef Orde und britischer Nordirlandminister Hain versuchen, mit durchsichtigen Halbwahrheiten die Öffentlichkeit in die Irre zu führen und die Razzien im Parlamentsgebäude zu rechtfertigen

Sinn Fein fordert ein Ende der politischen Intrigen durch Polizei und Geheimdienste

Am Montag, den 19.12.2005 führte Sinn Féin Präsident Gerry Adams eine Delegation seiner Partei, u.a. Martin McGuinness MP, Bairbre deBrun MEP und Michelle Gildernew MP, zu Gesprächen mit dem regierenden britischen Nordirlandminister Peter Hain nach Stormont Castle.

Nach der Enttarnung des mittlerweile ausgeschlossenen Sinn Féin Mitglieds Denis Donaldson als britischer Agent der geheimen Polizeieinheit "Special Branch" hatte Gerry Adams um ein dringendes Treffen gebeten. Der Sinn Féin Präsident erhob schwere Vorwürfe gegen das zerstörerische Wirken derjenigen in den verschiedensten britischen Polizei- und Geheimdienstkreisen, die aktiv daran arbeiten, den Friedensprozess zu unterminieren und zu zerstören.

Gerry Adams: "die politischen Intrigen durch Polizei und Geheimdienste ein für alle mal beenden"

Gerry Adams sagte nach dem Treffen:

"Das heutige Treffen kam auf unser Drängen zustande. Eine Telefonkonferenz heute vormittag zwischen Martin McGuinness und dem (irischen) Aussenminister Dermot Ahern und Kontakte während des Wochenendes zu beiden Regierungen gingen ihm voraus. Ich werde in naher Zukunft auch mit dem (irischen) Taoiseach und dem britischen Premierminister sprechen.

Es geht darum, dass die britische Regierung die Verantwortung für die Vorfälle übernimmt. Sie muss diese Art politischer Intrige durch die Polizei, die wir seit Jahren erleben und die ja auch heute noch Realität ist, beenden. Das zentrale Thema ist die Verantwortung der britischen Regierung für das Verhalten ihrer staatlichen Organe.

Man muss sich vor Augen führen, was hier passiert ist. Eine auf Basis einer einmaligen Machtbalace zwischen den Konfliktparteien arbeitende Regierung wurde von britischen Behörden gestürzt. Das ist ein ungeheuerer Vorgang. Tony Blair als britischer Premierminister steht vor der gewaltigen Aufgabe, das dafür verantwortliche Netzwerk zu zerstören. Die britische Regierung muss sich zu friedlichen und demokratischen Aktivitäten verpflichten und die politischen Intrigen der Polizei ein für alle mal beenden."

Der Chefunterhändler Sinn Féins, Martin McGuinness, sagte, es ist zwingend notwendig, dass es den Verantwortlichen für den Sturz der Regionalregierung unmöglich gemacht wird zu gewinnen:

"Die beiden (britische und irische) Regierungen wollen nächstes Jahr einen neuen Anlauf unternehmen, die Regionalregierung wieder zu etablieren. Wir sind bereit, daran mitzuwirken, wir sind nicht bereit, die Verantwortlichen für den Sturz der Regionalregierung und für den schweren Schaden, den der politische und demokratische Wandel erlitten hat, ihre Intrigen weiterführen zu lassen.

Sinn Féin und Republikaner haben alle Fragen zu ihren zukünftigen Intensionen beantwortet. Es ist nun an der Zeit, dass die britische Regierung dies auch tut. Sie müssen klarstellen, dass ihr Krieg gegen (irische) Republikaner zu Ende ist un dass die Tage politischer Intrige durch die Polizei vorbei sind."

Reaktionen des britischen Nordirlandministers Hain und des nordirischen Polizeichefs Orde

Zwei Reaktionen gibt es bisher, vom derzeitigen britischen Nordirlandminister Peter Hain und vom nordirischen Polizeichef Hugh Orde.

Beide versuchen erst gar nicht, die Enttarnung des britischen Agenten zu leugnen. Beide aber tragen nicht zur Aufklärung bei, sondern verschanzen sich hinter Halbwahrheiten, um zu suggerieren, es habe einen echten Spionagering mit Gefahr im Verzug gegeben.

Nordirlandminister Hain sagte:

"Erinnern wir uns daran, was passiert ist. Etwa 1000 Dokumente wurden aus dem "Northern Ireland Office" , dem ich inzwischen vorsitze, gestohlen. Sie sind in West Belfast aufgetaucht. Sie verschwanden. Sie wurden gestohlen."

Polizeichef Hugh Orde versucht ebenfalls, die Polizeirazzia zu rechtfertigen:

"Die Fakten sind sehr simpel. Am 4. Oktober durchsuchten wir ein Gebäude in West Belfast und entdeckten hunderte Seiten an Dokumenten. Diese Dokumente existieren, sie sind real und enthalten sensitive Informationen ."

Gerry Kelly: "Orde führt Öffentlichkeit absichtlich in die Irre"

"In West Belfast" - ein kurzer Blick in damalige Zeitungsberichte hätte Herrn Hain oder Herrn Orde belehrt, dass diese ominöse West Belfaster Lokation das Haus des britischen Agenten Donaldson war:

"(Es handelte sich um) hochgeheime Regierungspapiere. ... die Dokumente waren (allesamt) in einer (!) Tasche, die im Haus von Herrn Donaldson beschlagnahmt wurde." (David Kittrick, 12. Oktober 2002, Independent)

In einem Versuch, den angeblichen Spionagering über Herrn Donaldson hinaus auszudehnen, fanden die Ermittler damals Fingerabdrücke des Schwiegersohns von Hr. Donaldson, Ciaran Kearney auf ganzen drei Dokumenten mit allgemeinzugänglicher Information in mitten der 1000 hochsensitiven Dokumente . Das wars.

Zu Recht beschuldigt Gerry Kelly, Sinn Fein Sprecher für Polizei und Justiz, den nordirischen Polizeichef Orde, die Öffentlichkeit absichtlich in die Irre zu führen.

Gerry Kelly sagt:

"Was Hugh Orde der Öffentlichkeit verschweigt, ist die Tatsache, dass die Dokumente im Haus des Agenten der Special Branch Denis Donaldson entdeckt wurden. Denis Donaldson stand im Zentrum des britischen Spionagerings und der Aktionen von Polizei und Geheimdiensten, die gewählte Regierung zu stürzen. Er handelte nicht im Dienste von Republikanern oder unserer Friedensagenda. Er arbeitete nach der Agenda, die ihm der britische Staat vorgab, der ihn angestellt hatte.

Es ist klar, dass die britischen Stellen, die diese gesamte Operation durchführten, wussten, dass die Razzia in den Sinn Féin Büroräumen in Stormont nur politisches Theater war. Keine Dokumente und kein belastendes Material wurde während dieser Razzia gefunden. Zwei Cds wurden willkürlich beschlagnahmt und innerhalb weniger Tage der Partei zurückgegeben (es handelte sich um CDs des Windows Betriebssystems).

Hugh Orde kann die Razzia im Parlamentsgebäude Stormont nicht rechtfertigen, weil sie nicht zu rechtfertigen ist. Sie war politisch motiviert und dazu gedacht, größtmöglichen politischen Schaden anzurichten. Sie hat damals ihr Ziel erreicht.

Hugh Orde muss den politischen Intrigen seiner Polizei Einhalt gebieten. Der Versuch, die Razzia von Parlamentsräumen und den Zusammenbruch einer demokratisch gewählten Regierung zu rechtfertigen, wird uns der Bildung einer verantwortlichen und akzeptablen Polizei nicht näherbringen.

Hugh Orde versucht, die Öffentlichkeit mit seinen Kommentaren zu diesem Thema bewusst in die Irre zu führen.


Übersetzung der Zitate: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 20. Dezember 2005 (Erläuterungen in Klammern)
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