home
sinnfeinnews.com, June 24, 2005


Ist das der Versuch, den Oranierstaat wieder neu zu erschaffen?


Ein "protestantischer Staat für ein protestantisches Volk" solle Nordirland sein, verkündete Craig, der erste unionistische Regierungschef des neu geschaffenen Nordirlands nach der Abspaltung des nordöstlichen Zipfels von Irland durch die Briten im Jahre 1921. Und so war dieser Kunststaat für Jahrzehnte von einer einzigen Partei, der "Unionst Party" beherrscht. Mit anti-katholischen Gesetzen und Pogromen lies man die Minderheit spüren, dass dies nicht ihr Staat war. Die Oranier mit ihrem militanten Anti-Katholizismus fanden sich überall in den Führungsetagen des Landes und hielten mit ihrem dumpfen anti-katholischen und anti-irischen Rassismus die protestantische Bevölkerung bei der Stange. "Oranierstaat" wurde ein Synonym für miefige Moral gepaart mit rassistischen Pogromen gegen irische Viertel.
Versucht die DUP, den Oranierstaat wieder neu zu erschaffen? Nordirischen Nationalisten sind die Zeichen, die derzeit von den Unionisten und ihrer politischen Führung kommen, bitter vertraut. Noch besorgniserregender ist die scheinbare Bereitschaft der Briten und ihrer Administration (in Nordirland), dies zu tolerieren.

Für (irische) Republikaner ist es keine grosse Überraschung, dass die reaktionärsten Elemente des Unionismus sich hinter den Fahnen von Paisleys DUP sammeln. Es ist irgendwie ihre natürliche Heimat. Aber es ist etwas überraschend, dass die DUP die jährliche Mobilisierung dieser reaktionären Kräfte, die Marschsaison der Oranier, dazu benutzt, ihre Vorherrschaft in der unionistischen Familie zu sichern.

Die Marschsaison begann mit dem taktischen Versuch der Oranier Orden, die (staatliche, von der britischen Regierung eingesetzte)Paradenkommission zu unterminieren. Eine Anzahl von Paraden wurde für illegal erklärt, nachdem die Oranier die Anträge absichtlich falsch ausgefüllt hatten.

Nachdem eine illegale Parade trotzdem stattfand, wurden daraufhin Mitglieder der Oranier Orden in Ostbelfast (einer Hochburg fanatischer Protestaten und Oranier), darunter der Grossmeister Robert Saulters, von der (nordirischen Polizei) PSNI vernommen. Der stellvertretende DUP Führer Peter Robinson drohte mit Unruhen, falls die Oranier Orden in Ostbelfast herausgefordert würden.

Ian Paisley warnte den britischen Sicherheitsminister im NIO (dem britischen Nordirlandministerium) Shaun Woodward, dass es "Wahnsinn" sei, Paraden zu verbieten, weil ein Formular nicht zur Zufriedenheit der Paradenkommission ausgefüllt worden war. Insgesamt 33 Paradenanträge waren zurückgewiesen worden, weil die Antragsteller sich geweigert hatten, ihre Namen als Organisatoren anzugeben. Unter der neuen Gesetzgebung können Organisatoren für Gesetzeswidrigkeiten bei Paraden rechtlich belangt werden

Die Paradenkommission wurde beschuldigt, Spannung zu erzeugen, und über 500 Menschen versammelten sich in der Oranierhalle in Ballymacarrett, um den Rücktritt des Distriktkommandeurs der PSNI zu verlangen.

Die Paradenkommission erklärte, sie sei bereit, "flexibel" zu reagieren und obwohl die Oranier Orden bewusst Regeln verletzt hatte, um eine Konfrontation zu erzwingen, sagte die Kommission sie würde weitere Schritte unternehmen, um "die Spannung zwischen den Bevölkerungsgruppen" abzubauen.

Das ist eine kuriose und bezeichnende Erklärung. Der Streit, den die Oranier Orden vom Zaun gebrochen haben, geht um die Legalität der Paradenanträge der Oranier. Involviert sind die Paradenkommission, die Oranier und vielleicht noch die Polizei. Welchen Einfluss hat dieser Streit dann auf "Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen"? Nimmt die Paradenkommission an, dass die Unionisten ihre Wut an den (irisch) nationalistischen Vierteln auslassen, wenn es nicht nach ihrem Willen geht?

Worum es den Oranier Orden auch geht, es geht ihnen auf keinen Fall um "Flexibilität", da können wir uns sicher sein. Deshalb wundert es niemanden, dass gleichzeitig mit dem Rückzieher der Paradenkommission hochrangige Oranier und DUP Politiker in gewohnter Form die Auflösung der Kommission forderten.

Der Sprecher einer frisch gegründeten Kampagne, Reverend Mervyn Gibson, forderte die britische Regierung auf, die Paradenkommission aufzulösen. Er sagte, der "Rückzug" sei zu spät gekommen und beschuldigte die Kommission der "Arroganz, mangelnden Eignung und Inkompetenz".

"Die [britische] Regierung kann nicht länger die Dummheit dieses Vereins ignorieren, dessen Entscheidungen die Atmosphäre vergiften und echten Fortschritt unmöglich machen," sagte Gibson.

"Die Taktik der Bestrafung, um Leute zu Verhandlungen zu zwingen, ist moralisch korrupt, und kontraproduktiv. Wir flehen den Staatsminister Peter Hain an, auf die unionistische Familie zu hören und dieses Hinderniss auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden zu beseitigen.

Die Moral, sich zu weigern, mit nationalistischen Anwohnern zu sprechen und gleichzeitig darauf zu bestehen, eine anti-katholische Organisation an ihren Haustüren vorbeimarschieren zu lassen, macht den Oranier Orden keine Kopfzerbrechen. Wenn sie das täte, müssten sie wohl ihre eigene Auflösung in Betracht ziehen. Nicht, dass Nationalisten ein Ende der Oranier Orden fordern. Nein, wir fordern nur den Dialog und die Diskussion von alternativen Paraderouten.

Unterdessen geben die Oranier Orden bekannt, dass die Entscheidung, diesen Samstag eine kontroverse Vorparade ein paar hundert Meter von der nationalistischen Springfield Road wegzuverlegen, ebenfalls nicht nach ihrem Geschmack ist.

Der Belfaster Grossmeister Dawson Bailie beschreibt die Verlegung als "inakzeptabel". Die Gefahr von unionistischen Strassenkrawallen wächst, als sich Oranier in Westbelfast treffen, um Proteste gegen die Entscheidung der Paradenkommission zu diskutieren. Die Parade soll von der Workman Avenue in die neu gebaute Strasse durch das alte Mackie Fabrikgelände verlegt werden.

Letztes Jahr hatte die Kommission den Oranier Orden ebenfalls ursprünglich verboten, durch die Workman Avenue zu marschieren. Ein Tor in der sogenannten "Peace Line", das sonst immer geschlossen ist, trennt mitten in der Workman Avenue die beiden Viertel (das republikanische und das loyalistische Westbelfast). Aber die Entscheidung wurde einige Stunden vor Marschbeginn wegen drohender unionistischer Gewalt zurückgenommen.

Tausende Oranierparaden finden im Norden (Irlands) jedes Jahr statt und nur eine Handvoll umstrittender Paraden, die durch irisch-nationalistische Gebiete (mit überwiegend katholischer Bevölkerung) führen, werden angefochten. Aber Einigung mit ihren nationalistischen Nachbarn findet sich nicht im Oranier-Lexikon Der Oranier Orden hat für drei seiner Lodgen aus der (loyalistischen) Shankill Road weitere zwei Paraden entlang der nationalistischen Springfield Road am 12. Juli (dem Höhepunkt der Marschsaison) beantragt.

Oranier waren ausserdem über eine weitere Entscheidung der Paradenkommission "tief verärgert", nämlich über das Verbot einer Vorparade an Ardoyne vorbei. Letzte Woche hatte die unionistische "Tour des Nordens" zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt, in deren Verlauf etliche Personen verletzt wurden.

Nordbelfast bleibt ein Pulverfass, nachdem diese erste grössere Parade der Marschsaison der Oranier letzten Freitag zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte. Dutzende von PSNI Landrovern hielten nationalistische Anwohner auf der Ardoyner Seite, während loyalistische Anwohner sich auf der gegenüberliegenden Seite versammelten. Auf dem Weg zu ihrer eigentlichen Parade fahren die Oranier in einem Bus durch das nationalistische Ardoyne, bestehen aber darauf, den Rückweg als Parade durch das Viertel zu marschieren.

Wurfgeschosse flogen als Mitglieder der Oranier Lodgen vorbeimarschierten, aber die schlimmste Gewalt brach aus, als die PSNI eine zweite Parade von Unterstützern der Oranier, unter ihnen unionistische Paramilitärs, durch das nationalistische Viertel erlaubte.

Viele Anwohner von Ardoyne beschwerten sich, dass die PSNI gewalttätig und beleidigend war. Einer Frau, die im Vorgarten ihres Hauses stand, wurde von einem PSNI Offizier beschieden, sie solle "sich schleichen" und "ihre verdammte Tür schliessen". Andere Anwohner beschwerten sich, dass die Polizei sie mit ihren schweren Schildern geschlagen habe. Die PSNI setzte Wafferwerfer gegen die Anwohner ein.

Republikaner haben hart gearbeitet, um die Situation zu beruhigen und junge Leute davon abzuhalten, sich am Aufruhr zu beteiligen. In Vierteln wie Ardoyne mussten die Anwohner Jahre an staatlicher Gewalt und religiös-rassistisch motivierten Anschlägen und Diskriminierung erdulden. Durch solche Viertel eine anti-katholische Parade durchzuzwingen, ohne jeglichen Versuch, mit den Anwohnern einen Dialog zu führen, ist ein Rezept für Desaster.

Der Leitartikel der Andersonstown News drückt es klar aus: "die Strassen für betrunkenes, bigottes Gesindel zu räumen, die durch die ganze Stadt anreisen, um dem Viertel, durch das sie marschieren, ins Gesicht zu spucken, und wenn dann die (nordirische Polizei) PSNI den Loyalisten den Rücken zuwendet und ihre Knüppel in die Richtung der Anwohner zeigen, dann gibt es Probleme.

Aber das war noch nicht das Ende der Provokationen.


Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 25. Juni 2005 (Erläuterungen in Klammern)
home