Andersontown News, 11. Mai 2005
Kommentar zu den Wahlen:
Besser ist es Euch nicht gelungen?
von Robin Livingstone (robin@irelandclick.com)
Die wirklich spannende Frage der Wahlen ist nicht, warum wohl diesmal die
Verluste der SDLP so gering waren. Das Thema ist vielmehr, wie es die Shinner
(Sinn Fein) schaffen, trotz überwältigender Schwierigkeiten in Führung zu gehen.
Seien wir ehrlich - die letzten vier Monate mussten wir die heftigste und
feindseligste Kampagne erleben, die jemals in Irland gegen eine politische Partei
geführt wurde. Es war das Medienequivalent eines globalen thermonuklearen Krieges.
Es begann mit der Schlacht der Northern Bank - eine faktenfreie Zone voller Freiwild,
in der alle rechtlichen und moralischen Prinzipien, die angeblich der ordentlichen
Führung der Gesellschaft zugrundeliegen, in einer Wolke von beißendem schwarzen
Rauch verschwanden. Heute stehen wir in ohrenbetäubender Stille, die Rauchschwaden
haben sich verzogen und wir blicken fassungslos auf die Schärfe des Angriffs
zurück - und auf seine komplette Substanzlosigkeit.
Wo sind die Geldscheine aus County Cork, von denen Bertie (Ahern, irischer
Ministerpräsident) im Brustton der Überzeugung behauptete, sie stammen
aus dem Überfall auf die Northern Bank? Wo ist der weisse Transporter, die
bulgarischen Bankkonten, die hohen Wetteinsätze bei Cheltenham, die Moskauer
Mafia, das West Belfaster Lager, die unterirdischen Verstecke in den Black
Mountains (der Hügelkette im Nordwesten von Belfast), die doppelten Mauern,
die Wechselkurse £100 Northern Bank Noten für £10, die Flugblätter mit
Verhaltensregeln in South-Armagh, das Ferienprojekt auf den Malediven,
die mysteriösen Litauer Geldwechsler?
Die Antwort ist, dass man von uns erwartet, dies alles wieder zu vergessen.
Genauso, wie man erwartet hat, dass wir alles über ‘Stormontgate’ (den angeblichen
IRA Spionagering) und Castlereagh (den angeblichen IRA Einbruch im
Polizeihauptquartier) wieder vergessen. Weil alle diese angeblichen Straftaten
eines gemeinsam haben: es gibt keine Möglichkeit, sie zu beweisen oder zu
widerlegen und sie existierten nur, um daraus politisches Kapital zu schlagen.
Und war es nicht wunderbar zu sehen, wie die DUP und die UUP in den letzten Tagen
vor der Wahl, als sie sich selbst in eine peinliche Lage manövrierten,
einfach die Debatte dadurch abwürgen konnten, dass sie sagten, sie könnten derzeit
aus rechtlichen Gründen keine Stellung nehmen. Klar, dass sie hofften, dass wir
uns nicht so genau daran erinnern, dass rechtliche Gründe für sie keine Rolle
spielen, wenn es um Republikaner geht.
Dann kam der Mord an Robert McCartney, der nach gängiger, einhelliger Meinung
Sinn Féin ihren Mountpottinger Sitz kostete. Ausnahmsweise stimme ich dieser
Einschätzung zu - ich glaube, dass einige Leute nicht Sinn Féin gewählt haben,
weil sie entsetzt darüber waren, dass Mitglieder der republikanischen Bewegung
an dem McCartney Mord beteiligt waren. Ich glaube aber auch, dass genauso viele,
wenn nicht sogar mehr, Sinn Féin wegen der Art und Weise, in der einige langjährige
Mitglieder der republikanischen Bewegung nach dem Mord behandelt wurden,
ihre Stimme verweigerten.
Die McCartney Kampagne verliert langsam an Fahrt, nicht weil es weniger
notwendig ist, die Mörder zu finden, sondern einfach deshalb, weil die Wahl
vorbei ist und die Medien sich gelangweilt abwenden. Das Votum des europäischen
Parlaments, eine zivile Klage der Familie finanziell zu unterstützen, brachte
das Thema kurzzeitig zurück ins Rampenlicht, aber wieviele Journalisten begleiteten
die Familie nach Brüssel? Wäre die Abstimmung sechs Wochen früher auf der Tagesordnung
gewesen, hätten die Journalisten in Irland und England alles stehen und liegen
gelassen und wären nach Brüssel geflogen. Jetzt geben sie sich damit zufrieden,
50 Wörter einer Nachrichtenagentur und einen 5-Sekundenclip eines freiberuflichen
Kameramannes zu übernehmen. Und ich frage mich, ob die McCartney Schwestern
sich wohl auf dem Heimweg wundern, wohin alle ihre Freunde verschwunden sind.
Wahrscheinlich nicht, genausowenig, wie sie sich zu Beginn der Kampagne, angesichts
der Massen an Reportern und Kameraleuten fragten, warum gerade wir?
Was macht ein vor einem Pub erstochenes Opfer interessanter für die Medien als,
sagen wir, ein hübsches, junges Mädchen, das in County Down von
loyalistischen Paramilitärs entführt und ermordet wurde (Lisa Dorrian
verschwand im Februar 2005, wurde vermutlich von loyalistischen Paramilitärs
entführt und ermordet. )
Ich wäre froh, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Wenn die McCartney Familie
wie zahllose andere Familien weiterkämpft, wünsche ich ihnen alles Gute. Die
Seiten der Andytown News sind stets offen für sie, nicht nur die nächsten Wochen
und Monate, sondern so lange, wie es eben dauert. Sie wissen mittlerweile, dass
der Kampf für die Wahrheit hart ist, aber ich kann ihnen aus eigener Erfahrung,
wie viele andere auch, sagen, dass es um ein Vielfaches härter ist, wenn die
Einstellung der Medien zu den Opfern "hau noch drauf" ist.
Aber ich habe genug davon, dass der Name von anständigen Leuten durch den Schmutz
gezogen wird, von Leuten, die von ihrem Gewissen geleitet für ihre Überzeugung
gekämpft und Opfer gebracht haben. Ich habe genug von der Art und Weise, wie
ehrenhafte und gute Menschen zu Kollateralschäden werden, Kollateralschäden in
einem Propagandakrieg, den dunkle und mächtige Kreise führen, deren Fusssoldaten
geldgeile, Wörterzählende Schreiberlinge sind, die einen Skrupel nicht einmal
dann kennen würden, wenn er aufspränge und sie in den Hintern bisse.
Wenn das Resultat der Northern Bank und McCartney Verleumdungen ist, dass bei dieser
Wahl ein Lehrer in Süd Belfast sich nicht in der Lage sieht, einen Shinner
wenigstens an fünfter oder sechster Stelle zu wählen, dann ist das halt so.
Aber wenn der nächste politisch passende "Bankraub" oder "Einbruch" stattfindet -
und glaubt mir, das wird so sein - oder wenn die Medien das nächste Mal über
einen Mord schäumen und den anderen ignorieren, dann werden vielleicht mehr Leute
nachdenklich. Vielleicht denken sie dann über das Gesetz der abnehmenden Erträge
nach oder über den Jungen mit dem blinden Alarm.