Sinn Féin News, 6. April 2005
Gerry Adams - an die IRA
Die folgende Rede hielt Sinn Féin Präsident Gerry Adams am 6. April in Belfast:
"Ich wende mich direkt an die Männer und Frauen von Oglaigh na hEireann, die
freiwilligen Soldaten der Irisch Republikanischen Armee.
In Zeiten grosser Gefahr wart ihr bereit, Bearna Baoil, Gefahr und Ungewissheit,
auf Euch zu nehmen. Als andere abwartend an der Seite standen, gabt Ihr und Euere
Familien alles, zur Verteidigung eines Volkes, das sich erhoben hat, und um
irische Freiheit und Einheit zu erreichen.
Ihr habt grosse Schwierigkeiten gemeistert und einen gewaltigen
militärischen Gegner niedergerungen, die britischen Streitkräfte und
ihre Helfershelfer in den unionistischen Todesschwadronen.
Vor elf Jahren ordnete die Führung der Armee einen vollständigen
Waffenstillstand an. Diese mutige Entscheidung kam als Antwort auf die Vorschläge
der Sinn Féin Führung, einen Friedensprozess aufzubauen, demokratische Politik
zu entwickeln und einen dauerhaften Frieden zu erreichen.
Seither hat der Waffenstillstand trotz vieler Provokationen und Rückschläge
gehalten.
Und als Teile des britischen und irischen Establishments und des rückwärtsgewandten
Unionismus versuchten, den Fortschritt zu verzögeren, war es die IRA Führung, die
eine Anzahl an signifikanten Initiativen authorisierte, um den Friedensprozess
voranzutreiben.
Mehrfach wurden Versprechen gebrochen. Damit meine ich auch Versprechen der beiden
Regierungen.
Die Irisch Republikanische Armee hat jedes ihrer Versprechen gehalten.
Das jüngste Versprechen ist vom letzten Dezember, als die IRA
bereit war, ein abschliessendes Abkommen über alle offenen Themen zu unterstützen.
Damals sagte die Armeeführung, dass die Umsetzung dieses Abkommens jedem - die
IRA eingeschlossen - erlauben würde, die jeweiligen politischen Ziele mit
friedlichen und demokratischen Mitteln zu erreichen.
Dieses Abkommen zerschellte am Fels unionistischer Unnachgiebigkeit.
Die Kurzsichtigkeit der beiden Regierungen verstärkte die Schwierigkeiten.
Seither gab es eine Kampagne voller böswilliger Unterstellungen gegen
Republikaner. Die irische Regierung trug dafür die hauptsächliche Verantwortung.
Es gibt eine Reihe an Gründen dafür. Der wachsende Einfluss von Sinn Fein ist
der wichtigste Grund. Die Unionisten haben ihre eigenen Gründe. Sie wollen das
Potential für Veränderungen möglichst gering halten. Das betrifft nicht nur
die Forderung nach Gleichheit, sondern auch die Themen Souveränität und
ein Ende der Union (mit Grossbritannien).
Die IRA wurde von diesen Leuten immer wieder als Ausrede benutzt, warum sie nicht
in ernsthafter Weise an dem Prozess mitarbeiten, Frieden mit Gerechtigkeit
in Irland zu erreichen.
Über mehr als 30 Jahre zeigte die IRA der britischen Regierung, dass sie Irland
nicht nach ihren Regeln regieren konnte.Ihr habt das Recht der Menschen in
diesem Land auf Freiheit und Unabhängigkeit fest verankert. Viele Eurer Kameraden
brachten das höchste Opfer. Euere Bestimmtheit, Selbstlosigkeit und Euer Mut
brachten den Freiheitskampf zu einem entscheidenden Höhepunkt. Dieser Kampf
kann nun mit anderen Mitteln weitergeführt werden. Ich sage dies mit der
Authorität meines Amtes als Präsident von Sinn Fein.
In der Vergangenheit habe ich das Recht der IRA auf bewaffneten Kampf verteidigt.
Ich tat dies deshalb, weil keine Alternative für die existierte, die nicht
das Knie beugen und der Unterdrückung schweigend zusehen wollten oder die
für eine nationale Republik eintraten.
Nun gibt es eine Alternative.
Was ist diese Alternative? Meine Haltung dazu ist klar.
Der richtige Weg ist, irlandweit politische Unterstützung für unsere
republikanischen und demokratischen Ziele zu erreichen und auch
internationale Unterstützung zu gewinnen.
Ich möchte diese Gelegenheit dazu benutzen, an die Führung von
Oglaigh na hEireann zu appellieren, diese Alternative anzuerkennen und zu
akzeptieren.
Seid Ihr bereit, mutige Schritte einzuleiten, die Euch erlauben, Euere Ziele
künftig ausschliesslich durch politische und demokratische Aktivitäten zu erreichen?
Ich bin mir bewusst, dass solche wirklich historischen Entscheidungen
nur als Folge einer intensiven internen Diskussion getroffen werden können.
Ich bitte euch darum, diesen Prozess so schnell wie möglich zu beginnen.
Ich weiss, dass der jüngste positive Beitrag der IRA zum Friedensprozess
im Context eines umfassenden Abkommens erfolgte. Aber ich habe die feste
Überzeugung, dass Republikaner durch ihr Beispiel vorangehen und leiten müssen.
Es gibt kein besseres Beispiel hierfür als den Waffenstillstand der IRA im
Sommer 1994.
Sinn Fein hat ihre Fähigkeit demonstriert, Teil einer Volksbewegung für Frieden,
Gleichheit und Gerechtigkeit zu sein und eine führende Rolle in dieser Bewegung
einzunehmen. Wir sind zutiefst entschlossen, die Spaltung unseres Landes zu
überwinden und die Bedingungen für Einheit und Unabhängigkeit zu schaffen.
Sinn Fein hat das Potenzial und die Kapazität, das Mittel dafür zu werden, die
republikanischen Ziele zu erreichen.
Das Irland von heute unterscheidet sich grundlegend vom dem vor 15 Jahren.
Es gibt mittlerweile eine gesamtirische Agenda mit grossen Möglichkeiten.
Nationalisten und Republikaner haben ein Selbstvertrauen erlangt, das keinem
mehr erlaubt, sie als Bürger zweiter Klasse zu behandeln. Gleichheit ist unsere
Losung. Der Katalysator für grosse Teile dieser Veränderungen ist die
wachsende Unterstützung für den Republikanismus.
Natürlich geben diejenigen, die Änderungen bekämpfen, nicht einfach auf.
Es wird jeden Tag einen neuen Kampf geben zwischen denen, die ein Maximum an
Veränderung wollen und denen, die auf dem Status Quo beharren.
Aber wenn Republikaner gewinnen wollen, wenn der Friedensprozess erfolgreich
abgeschlossen werden soll und irische Souverenität und Wiedervereinigung
gesichert werden sollen, dann müssen wir die Agenda hierfür definieren -
kein anderer wird das sonst tun.
Ich möchte ausserdem einen persönlichen Appell an euch alle richten -
an die Frauen und Männer der IRA, die gegen eine riesige Übermacht antraten und
nicht besiegt werden konnten.
Es ist an der Zeit für Euch, erneut Bearna Baoil, Gefahr und Ungewissheit, auf Euch
zu nehmen; nicht als Freiwillige der IRA, die dabei ihr Leben und
ihre körperliche Unversehrtheit einsetzen, sondern als Aktivisten einer nationalen
Bewegung für Unabhängigkeit und Einheit.
Eine solche Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen und ist schwierig. Aber Euch
hat in der Vergangenheit noch nie der Mut gefehlt. Euer Mut wird nun für die Zukunft
benötigt.
Es ist kein einfacher Weg. Es gibt eine Menge Probleme, die die Menschen in Irland
bewältigen müssen. Euere Fähigkeit als republikanische Kämpfer, Euch diesen
Herausforderungen zu stellen, führt dazu, dass die beiden Regierungen und auch
andere sich nicht mehr einfach vor ihren Verpflichtungen drücken können und sich
ihrer Verantwortung stellen müssen, die Probleme zu lösen.
Unser Kampf hat einen entscheidenden Punkt erreicht.
Ich bitte Euch, mit mir gemeinsam die Initiative zu ergreifen, unsere Anstrengungen
zu intensivieren, den Friedensprozess wieder aufzubauen und unseren Kampf
entschlussfreudig voranzubringen."
Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 7. April 2005