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Andersontown News, 19. März 2005


Aus dem Westen:
Vor Ort schlägt die Sympathie in Ärger um


Wie schnell sich Dinge ändern. Vor drei Wochen noch schienen die McCartney Schwestern eine einem römischen Kaiser ähnliche Macht über das Schicksal von Sinn Fein gehabt zu haben und das nationalistische Belfast sah in Hypnose zu, ob der Daumen nach oben oder nach unten zeigte. Das ist vorbei.

Um ehrlich zu sein, bin ich etwas schockiert von der Geschwindigkeit, mit der sich die Meinung gegen die McCartneys verhärtet, obwohl das genauso verhersehbar wie unglücklich ist. Wo einst Sprecherinnen der Familie einen ganzen Raum zum Schweigen brachten, ist heute die Reaktion eher Ungeduld oder Ärger.

Es ist nicht ihre Schuld. Sie sind einfache Leute, keine PR Gurus. Sie wollen keine politische Auseinandersetzung gewinnen, sie wollen nur Gerechtigkeit für ihren Bruder. Sie konnten es nicht wissen: das einzige, was schlimmer ist als Unterbelichtung ist Überbelichtung. Aber der Riss, der die einstmals feste Mauer der Unterstützung für die Kampagne der Familie öffnete, könnte sich als gross genuges Schlupfloch für den Mörder von Robert McCartney herausstellen.

Die beispiellose Konzentration der Medien auf einen einzigen Mord war von Anfang an nicht tragbar. Es gibt hier zu viele Geschichten, zu viel Leid, zu viel Schmerz. Es erstaunt kaum, dass eine Community, die viele Tote kennt, die niemals einer Untersuchung duch die RUC (die Vorgängerin der PSNI) für Wert befunden wurden, geschweige denn einer Verurteilung, ein Gefühl des Ärgers - und vielleicht sogar der Verbitterung - entwickelt, wenn die Menschen zusehen, wie die Medien eine einzige Familie zum Superstar erheben und sie von drei Staaten unterstützt wird.

Die Menschen hier haben ihre eigenen Erinnerungen, ihre eigene Geschichte. Nichts davon hat nur die geringste Ähnlichkeit mit der offiziellen Geschichtsschreibung oder den Medienberichten. Eine riesige, unbeachtete Schar von trauernden Familienangehörigen hält den britischen Staat für schuldig am Tod ihrer Liebsten, durch direkten Mord oder durch Manipulation loyalistischer Mörderbanden. Da draussen ist ein tiefer dunkler Graben von nie gesammelter Information, nie eingeholter Beweise: die patroullierenden Soldaten, die auftauchten und plötzlich verschwanden; die Überwachungsanlage, die nichts sah und nichts aufzeichnete; die Drohungen vor dem Mord; die Strassensperren, die plötzlich nicht mehr da waren; die sich magisch öffnenden Peaceline-Gitter, die den Weg zur anderen Seite freigaben. Und so ungeheuerlich und umfangreich diese Informationen und Beweise sind, so überzeugend die Geschichten, erdrückend in ihrer Vielfalt, und trotzdem erhielten sie nicht einen Bruchteil der Aufmerksamkeit, die ein einziger Mord nach einer Auseinandersetzung in einer Bar erhielt.

Das unerfreulichste Spektakel in der ganzen Geschichte ist der Versuch der SDLP, den Fuss in diese Tür zu bekommen. Wie Schuljungen, die sich für das Schultheater als Motorradfahrer verkleiden, sind sie fürchterlich enthusiatisch, aber kaum überzeugend. Weil sie einfach verdammt wenig Ahnung von Kampagnen oder Agitation haben. Jedes Mal, wenn ich über eine Demonstration berichtet habe, und es war ein Mitglied der SDLP dabei - was selten genug der Fall war - sah der arme Kerl aus, als ob er lieber ganz woanders wäre. Deswegen sehen sie so deplaziert aus, jetzt, wo sie mal dabei sind; als ob sie sich dessen bewusst sind, dass die Leute von Short Strand sich irgendwann einmal fragen werden, wo die SDLP eigentlich die letzten 35 Jahre war, als die Leute anfingen, sich auf den Weg zu machen.

Martin McGuinness wurde für seinen Rat an die Familie, sie solle "sehr vorsichtig" sein und sich nicht in die Welt der Parteipolitik verwickeln lassen, vernichtend kritisiert - seine Worte wurden als Drohnung angesehen. Es ist damit klar, dass es egal ist, was Republikaner sagen, es wird immer in negativer Weise berichtet. Aber die Familie sollte wirklich sehr vorsichtig sein, denn wenn sie es zulässt, dass sie willentlich oder unwillentlich zu Poster Girls für die eine oder andere Partei werden, werden sie auf mehr Ärger und Ablehnung stossen. Sie sind bereits auf dem guten Weg dazu. Der Boston Globe berichtete diese Woche: "Während ihrer Reise in die Vereinigten Staaten könnten die Schwestern von (Robert) McCartney auf der einen oder anderen Veranstaltung auch (Gerry) Adams, einem angeblichen Mitglied der IRA Führung, begegnen. Adams traf die McCartneys letzten Monat und versicherte ihnen, er werde sich dafür einsetzen, dass sich Zeugen melden. Aber Catherine McCartney sagte, sie würde ihm wohl nicht die Hand geben. "Er schien es ehrlich zu meinen, als er uns getroffen hat. Damals dachten wir, das Problem wäre nur die Einschüchterung durch die IRA. Jetzt wissen wir es besser. Es ist klar, dass Sinn Fein stark in die Verschleierungsversuche verwickelt ist."

Es abzulehnen, Gerry Adams die Hand zu geben - mit all den quasi-rassistischen DUP Untertönen, die das impliziert - ist beleidigend genug, nicht nur gegenüber Gerry Adams, sondern gegenüber jeder einzelnen Person, die ihn wählte. Ihn aber beschuldigen, er sei in kontinuierliche Verschleierungsversuche verwickelt, ist grotesk und hetzerisch. Weit davon entfernt, die Kampagne für Gerechtigkeit für ihren Bruder weiterzubringen, erweist sie ihr einen Bärendienst. Diese Art von Wutausbruch mag ein Zeichen von Frustration und Ärger sein, aber nach gerade mal sechs Wochen an Kampagne ist es kein gutes Zeichen für die Zukunft. Wenn die PSNI einen klaren Mordfall nach einem Jahr oder 18 Monaten vor Gericht bringt, ist sie ganz schön gut. Es gibt Familien, deren Angehörige seit vielen Jahren tot sind und die noch nicht einmal eine Untersuchung des Falles gesehen haben, weil dies nicht im Interesse des Staates ist. Juristisch gesprochen, sind sechs Wochen gerade mal ein Augenzwinkern.

Es liegt eine gewisse Ironie in dem Medienrummel, denn es kann gut sein, dass die Veröffentlichungen von Namen und Anschuldigungen durch Journalisten, die behaupten, die Familie in ihrem Kampf um Gerechtigkeit zu unterstützen, die Sache der McCartney Familie mehr gefährdet, als alle Vertuschungsversuche miteinander. Klar wird jeder Verteidiger, der etwas auf sich hält, Beispiele bringen, wie die Vorverurteilungen durch die Medien den Gerichtsprozess schwerwiegend kompromittieren. Und wenn ein Richter - im Verfahren oder in der Revision - zu dem Urteil gelangt, dass ein faires Gerichtsverfahren nicht möglich ist, wer wird dafür dann die Schuld akzeptieren?


Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 20. März 2005
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