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Andersontown News, 25. Februar 2005


Ein Angriff ohnegleichen

von Des Wilson


Über den Autor: Fr Des Wilson lebt seit 1966 in West Belfast und ist für seinen hohen gesellschaftspolitischen Einsatz weit über Belfast hinaus bekannt. Sein Ziel war und ist, Menschen zu befähigen, Verantwortung zu übernehmen. Er hat dabei immer wieder das religiöse und politische Establishment wegen ihrer Scheinheiligkeit und Doppelmoral angegriffen. Seit Jahrzehnten handelt seine wöchentliche Kolumne in der Belfaster Andersonstown News von der bedrohten Spezies Bürgerrechte.
Für anständige Leute ist in der derzeitigen politischen Situation das Wichtigste, ihr Selbstvertrauen und ihre Standhaftigkeit zu bewahren.

Die wirkliche Krise dreht sich nicht um die Frage, was mit Sinn Féin passiert - Sinn Féin wird diese Krise überleben und wird mit einem klareren Blick ihrer eigenen Politik und Bedeutung daraus hervorgehen. Das ist die eine Sache.

Nein, die richtige Krise ist die kontinuierliche und geplante Zerstörung demokratischer Rechte, für deren Durchsetzung und Schutz sich die Menschen die letzten 100 und mehr Jahre eingesetzt haben.

Gay Mitchell sagte als Sprecher für Fine Gael (die zweitgrösste südirische Partei, derzeit Oppositionspartei), seine Partei und andere hätten Sinn Féin in den demokratischen politischen Prozess gebracht. Das haben sie nicht. Es waren die Stimmen von uns, von den Wählern, die das gemacht haben. Und es sind unsere Stimmen, die Stimmen der Menschen, die sie dort halten werden.

Mit seiner Äusserung haben Mitchell und seine Partei das demokratische Prinzip zurückgewiesen, dass Mandate für Politiker vom Volk kommen. Folgt man Mitchell, können andere Parteien das Mandat von hunderttausenden von Wählern neutralisieren, wenn sie dies beschliessen. Das ist unzulässig und eine Aufhebung demokratischer Prinzipien.

Wir haben in dieser Zeitung schon mehrfach darauf hingewiesen, dass ein erschreckender Angriff auf Freiheiten und Bürgerrechte in Gange ist. Wie immer, wird dieser Angriff auf dem Rücken derer durchgeführt, die man zuvor dämonisiert hat. Das gab es schon öfter. Regierungen finden ihre schwarzen Schafe und unter dem Deckmantel der Zügelung der Aktivitäten dieser schwarzen Schafe werden Bürgerrechte von allen einkassiert.

Als ich vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten war, habe ich oft mit Jim Hoffmann geredet, der sich sehr engagiert für Demokratie in Irland eingesetzt hat. Er sagte zu mir:

"Wenn Du mit der Irisch Amerikanischen Community redest, rede mit ihnen über Irland, klar, aber bitte auch darüber, wie ihre eigene Bill of Rights und ihre eigene Verfassung Tag für Tag demontiert werden." Jim Hoffmann hatte Recht. Das Ausdünnen der Verfassung und der Grundrechte hat seither nicht nachgelassen und wird sich in den kommenden Jahren der Bush Administration noch verstärken. Die Menschen in Amerika können froh sein, wenn es nicht einen Versuch gibt, die Gesetze so zu ändern, dass Bush eine weitere Amtszeit ermöglicht wird. Die Opposition ist so schwach, dass dies passieren könnte.

Auf dem Rücken der IRA, die damals keine ernsthafte Bedrohung darstellte, führte das alte Stormont Regime (die Herrschaft der Unionisten, von der Gründung Nordirlands bis 1971) eine Vielzahl von ungerechten Gesetzen ein, auf die jede Diktatur stolz wäre. Und behielt sie. Auf dem Rücken von sozialen, nicht militärischen Aktivitäten der Republikaner schufen die Regierungen in London und Dublin noch mehr Gesetze desselben Typs. Und behielten sie ebenfalls.

Auf dem Rücken der militärischen Kampagne der Republikaner, führten die beiden Regierungen noch weitere Verschärfungen ein, unter anderem die Zensur aller Meinungen, die konträr zur Meinung der Regierung sind. Es gab und gibt kein Anzeichen dafür, dass diese Gesetze ausser Kraft gesetzt werden, wenn eine politische Krise vorbei ist. Diese Gesetze, die die Bevölkerung von Connemara bis East Anglia kontrollieren, sind dafür gedacht, in Kraft zu bleiben. Wenn ihr das zulasst.

Der Kampf um die politische Macht in Irland erreicht eine Intensität, die den Machtkämpfen der 20er Jahre in Irland und der 30er Jahre in Europa vergleichbar ist. Das ist die wirkliche Krise. Allein im Zentrum eines Tornados an hysterischer Propaganda steht Sinn Féin. Die Angriffe zielen nicht nur auf Sinn Féin, sondern gleichzeitig auf all diese unbequemen Freiheiten, die gleich mitkassiert werden, wenn der derzeitige Frontalangriff Erfolg hat. Was bleibt beispielsweise von unserem Recht auf ein ordentliches Verfahren übrig? Oder vom Recht auf Besitz, so wie er in der irischen Verfassung von 1937 garantiert ist? Oder von der Pflicht der Polizei, Leben und Freiheit aller Bürger zu verteidigen?

Die Ausführungen von Herrn Mitchell waren nicht die einzigen bedenklichen Äusserungen der letzten Tage. Seamus Mallon (einer der führenden Köpfe der SDLP) wurde von den Medien zitiert, die Menschen in (den stark republikanischen Gebieten) West Belfast, Tyrone und South Armagh wollten keine Polizei, weil Polizei ein Ende der Kriminalität bedeute. Er scheint später eine "Richtigstellung" verfasst zu haben, aber zu dem Zeitpunkt war die Propaganda verbreitet und der gewünschte Effekt wohl erreicht. Eine ganze Region als gesetzlos darzustellen, findet seine Parallelen in den 1920ern und '30ern. Wir haben uns geschworen, dass so etwas nie wieder passieren darf. Nun passiert es wieder.

Volksvertreter werden in Fernsehsendungen und Radioprogrammen von einer Meute an Gegnern niedergebrüllt, alle Ressourcen der Regierung und der Medien vereint in einem Angriff, der sich heute gegen Sinn Féin richtet und morgen gegen die SDLP im Norden und die irische Labour Party im Süden geht. "Sie kamen, um die Juden zu holen, aber ich war ja kein Jude und habe geschwiegen ..."

Aber aus dem Bösen wächst Gutes. Die derzeitige aufgeheizte Kampagne, die zuerst den irischen Republikanismus zerstören will und danach den irischen Nationalismus, um danach als Regierung das zu haben, was Konservative eine "starke Regierung" nennen, gibt Republikanern die Gelegenheit, die alte und ehrenhafte republikanische Tradition der Integrität im Kreis ihrer Freunde und Anhänger aufs Neue zu diskutieren und falls nötig zu stärken. Wir alle erinnern uns mit Dankbarkeit daran, dass Republikaner schon immer auf hohe Standards bestanden. Manchmal fühlten wir uns in ihrer Gegenwart ungemütlich, so als ob wir uns die grösste Mühe geben, aber uns insgeheim schuldig fühlten. Diese Leute sind integer und Träger der besten republikanischen Traditionen.

Ihre Zeit ist gekommen, jetzt mehr denn je.

Übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 26. Februar 2005, Text in Klammern dient der Erläuterung
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