Sinn Fein News, January 14, 2005
Analyse:
Geheimdienstinformationen, Meinungen und Illusionen
Von Laura Friel
"Ist es wirklich richtig, den ganzen politischen Prozess auf Grund einer
Meinungsäusserung eines Polizeioffiziers zu stoppen? Wissen wir nicht,
dass Polizei und Geheimdienste wieder und wieder Fehler machen?"
Vincent Browne, Irish Times
Illusionist Derren Brown hat letzte Woche im Fernsehen gezeigt, wie
einfach die Wahrnehmung von Menschen beeinflusst werden kann, wenn
wir ihnen Dinge erzählen, die sie aus einer bestehenden Voreingenommenheit
heraus bereit sind zu glauben.
Hier (in Nordirland) ist es zur Zeit ganz ähnlich.
Es gibt keine Indizien, keine Verhaftungen, keine signifikanten Funde.
Aber für diejenigen, für die (irische) Republikaner sowieso Kriminelle sind,
bedarf es auch keiner weiteren Beweise. Im Gegenteil, gerade die Tatsache,
dass es keine gibt, scheint ausreichend zu sein, keinen Zweifel aufkommen
zu lassen. Und der Chefzauberer? (Der Polizeichef der nordirischen Polizei PSNI)
Hugh Orde.
"Auf der Basis unserer bisherigen Ermittlungen, der gesammelten Indizien,
Informationen und Gegenstände haben wir uns ein Bild gemacht. Meiner Meinung
nach ist die IRA verantwortlich für dieses Verbrechen und alle
Hauptrichtungen der Ermittlung gehen in diese Richtung," sagte Orde der
Presse (am 7. Januar 2005 in Belfast).
Indizien, Informationen, Gegenstände; klingt beeindruckend für jemanden,
der es glauben möchte. Am Ende haben wir lediglich die Meinung des
PSNI Chefs. Und es ist nicht das erste Mal, dass Hugh Orde den politischen
Prozess durch eine Meinung beeinflusst, seine Meinung.
Es gibt natürlich auch eine andere Sicht der Dinge.
PSNI mit runtergelassenen Hosen erwischt
Egal aus welchem Blickwinkel wir es betrachten. Die (nordirische Polizei) PSNI
hat komplett versagt. Die Medien berichten, ein Knöllchenschreiber meldete
"verdächtiges Verhalten" in der Nähe der Northern Bank, ein
"weisser Van" sein involviert. Es war der Höhepunkt der Weihnachtseinkäufe,
Banken und Geschäfte voller Geld. In dieser Situation gibt es einen Hinweis
auf einen möglichen Banküberfall und die PSNI reagiert praktisch überhaupt
nicht. Sie schickt zwei uniformierte Polizisten zu Fuss, um "mal zu schauen".
Denen ist auf Anhieb nichts Verdächtiges aufgefallen und es wurden keine
weiteren Massnahmen eingeleitet.
Es ist kurz vor Weihnachten und Hugh Orde sieht seinen erfolgsabhängigen Bonus
von £25,000 gerade in weiter Ferne verschwinden, zusammen mit der Reputation
seiner Polizei. Es gibt keine heisse Spur, keine Aussicht auf Verhaftungen,
wenig Hoffnung, die gestohlenen Millionen wiederzufinden und noch viel
weniger Hoffnung, jemanden für den Bankraub hinter Gitter zu bringen. Tja,
was kann ein PSNI Chef da tun?
RUC Taktik
Ganz einfach. Die alte Taktik der (ehemaligen nordirischen Polizei) RUC
anwenden. Starte eine Serie von Hausdurchsuchungen in (irisch)
nationalistischen Vierteln in den Häusern bekannter (irischer) Republikaner.
Nehme handverlesene Journalisten mit, die es mit den Fakten nicht so genau
nehmen, und die nicht zu viele schwierige Fragen über den Stand der
"Ermittlungen" und die Qualität der Anschuldigungen stellen. Gehe dann mit der
Aussage hausieren, dass die Tatsache, dass es keinerlei Indizien für die
Verwicklung von Republikanern in den Bankraub gibt, eben Indiz für diese
Verwicklung ist.
Hänge den Fall hoch auf. Mit einem Kontrahenten konfontiert, der so
rücksichtslos, professionell, erfahren, intelligent und rigoros wie die IRA
ist, wie kann da die PSNI Kritik treffen? Würde nicht jedes faire Mitglied
des (Polizeiüberwachungsausschusses) Policing Board dies dem Polizeichef und
seiner weniger als effizienten Polizei zu Gute halten?
Der Kommentar des Belfast Telegraph muss Musik in Ordes Ohren gewesen sein.
"Mit ihrer üblichen Unverschämtheit verlangen Republikaner von Herrn Orde
Beweise. Aber wenige werden mittlerweile der IRA Glauben schenken, die sagt,
sie habe mit dem Raub nichts zu tun", sagt der Telegraph. Er fährt fort:
"Welche andere Organisation hätte wohl die organisatorischen Fähigkeiten
und die kaltblütige Rücksichtslosigkeit, solch einen dreisten und gewalttätigen
Raub zu begehen?"
Die alte RUC (aus der die PSNI durch Namensänderung hervorging) war nie heiss
auf Ermittlungen. Meistens wurden ihr die Ermittlungen von der (Geheimpolizei)
Special Branch nicht einmal erlaubt, die die Kriminalpolizei CID
mit Druck und Einschüchterungen dazu zwang, das absolute Primat
"Aufstandsbekämpfung und anti-Republikanische Agenda" zu akzeptieren.
Die RUC verhaftete die üblichen Verdächtigen, folterte und prügelte
die Verhafteten zu sogenannten Schuldeingeständnissen, fälschte Beweise. Und
wenn es der politischen Agenda diente, dann sah die RUC nichts, hörte nichts
und sagte nichts.
Natürlich geht man davon aus, dass die PSNI ein Teil der neuen politischen
Entwicklung ist, eine neue Polizei für einen Neubeginn. Aber immer noch sind
die Empfehlungen der Patten-Kommission nicht vollständig umgesetzt, noch
immer ist die Special Branch existent und hat nach wie vor viele alte RUC
Offiziere in ihren Reihen. Mit der kleinsten Ermutigung scheint die PSNI
allzu leicht in die alten Verhaltensmuster zurückzufallen.
Die Billigung im Süden
Getreu ihrem üblichen Verhaltensmuster hat die Dubliner Regierung Ordes
grundlose Beschuldigungen nicht angegriffen. Direkt nach der Pressekonferenz
des (nordirischen) Polizeichefs gab (der irische Premierminister)
Taoiseach Bertie Ahern seine Enttäuschung über die IRA bekannt.
Es gab keine Fragen an die PSNI nach den Indizien für ihre Beschuldigung.
Alles was Ahern zu sagen hatte, war, dass die Angelegenheit ein schwerer
Rückschlag für den Friedensprozess sei und dass er befürchte, die IRA habe
den Bankraub organisiert, während er mit Sinn Féin verhandelt habe.
Seine Stellungnahme war in etwa dieselbe wie die nach der Suspendierung des
(Regionalparlaments) Stormont Assembly im Oktober 2002. Damals enthüllte die
PSNI einen angeblichen IRA-Spionagering. Zwei Jahre später sind die meisten
"Indizien" von den Gerichten verworfen. Aber der Taoiseach hat daraus nichts
gelernt - blinde Akzeptanz der britischen Vorgaben ist immer noch an der
Tagesordnung.
Nachfrageunfreudige Medien
Unterdessen zauberten die Medien ihre Berichte, auf wundersame Weise wussten sie,
was der PSNI Chef zu enthüllen habe, bevor er es gesagt hat. "Orde wird die
IRA beschuldigen", schrie uns die Vorderseite des britischen Daily Mirror
an, Stunden vor Ordes Pressekonferenz.
Während die Medien sich so startklar machten, wurde das, was zuvor eine
reine, durch keine Fakten belegte Meinung war, zur sicheren Gewissheit.
"Provos enthüllt" ("Provos" ist eine abschätzige Bezeichung für die IRA, die
ihren Gründungsnamen "Provisional IRA" als Basis hat), titelte der Belfast
Newsletter. Und plötzlich ging es nicht mehr um einen speziellen Vorfall, es
wurde politisch. Das war nicht mehr eine polizeiliche Ermittlung, sondern
eine politische Hexenjagd.
"Der Friedensprozess in der Schwebe während Orde mit dem Finger auf die IRA
zeigt", sagt der Newsletter. "Die Provisional IRA wurde letzte Nacht beschuldigt,
die Chancen auf eine frühe Einigung im Friedensprozess gestohlen zu haben,"
schreibt Gemma Murray.
Sie schreibt weiter: " Premierminister Tony Blair ist unter immensem Druck,
Sinn Féin aus jeder zukünftigen Regierung auszuschliessen." "Die Verbindung
der IRA zum Bankraub macht dem Friedensprozess den Garaus", war der Kommentar
des Belfast Telegraph.
"Deal im Nordern nach dem IRA Bankraub gescheitert," verkündet Suzanne Breen von
der Sunday Tribune. "Die derzeitigen Gespräche sind nach der Pressekonferenz
von Hugh Orde effektiv gescheitert." Stephen Collins geht noch weiter: "die
Verstrickung der IRA (in den Raub) wirft mehr als Zweifel auf die
Ernsthaftigkeit der Verpflichtung Sinn Féins zu demokratischer Politik.
Sie hinterfragt die Strategie der irischen und britischen Regierung der letzten
Jahre in fundamentaler Weise.
Die Medien wissen genau, woher sie Bestätigung und Verschärfung ihrer Position
bekommen. "Der stellvertretende DUP-Vorsitzende Peter Robinson sagt, Sinn Féin
solle für ein Jahr aus der Regierung ausgeschlossen werden, falls die
International Monitoring Commission (IMC) zu denselben Schlussfolgerungen [wie
Orde] kommt", berichtet Breen. "In künftigen Verhandlungen wird die DUP
auf jeden Fall stärkere Überprüfungen verlangen als bisher," sagt Robinson.
"Der Druck auf meine Partei wird nicht sein, die Hürde zu senken, sondern sie zu
erhöhen."
Für die Teile des (pro-britischen) Unionismus, die Gegner des
Good Friday Agreement (auch Belfaster Agreement genannt) sind,
ist Ordes Meinung inzwischen nicht nur der Talisman, der
jede Hoffnung auf eine gemeinsame Regierung verhindert, die als Ergebnis
der derzeitigen Verhandlungen bereits in Sicht war. Darüber hinaus kann er
zukünftige Verhandlungen unterminieren. Inzwischen hat Ian Paisley verkündet,
er werde Downing Street besuchen, um den britischen Premierminister zu drängen,
den unionistischen Traum "einer Regionalregierung ohne Sinn Féin" zu
verwirklichen.
Murphy
(Anmerkung: Paul Murphy ist der britische Staatssekretär für Nordirland, der
das Northern Ireland Office "NIO" leitet, das Nordirland derzeit durch von
London eingesetzte Minister regiert).
Der NIO Staatssekretär Paul Murphy sagte, es gäbe keine schnelle Entscheidung,
die unionistische Forderung zu erfüllen und Sinn Féin sofort aus einer möglichen
Regionalregierung auszuschliessen.
"I glaube, alle Parteien haben Mandate und wir haben diese Mandate zu
respektieren. Aber wir alle müssen auch das Mandat des Good Friday Agreement
respektieren," sagte Murphy.
In einer Stellungnahme vor dem britischen Unterhaus unterstützte er Ordes
Einschätzung, sagte aber, die britische Regierung glaube, dass eine gemeinsame
Regionalregierung immer noch die beste Langzeitgarantie für Frieden und
Stabilität darstelle. Sie würden dieses Ziel nicht aufgeben.
Murphy sagte, Entscheidungen und Reaktionen von Sinn Féin und der IRA seien
nun notwendig. Ohne diese Reaktionen sehe er keine Möglichkeit, die politischen
Verhandlungen wiederaufzunehmen. Die
Regierungen seien dabei zu überlegen, wie am besten Druck auf die (irische)
Republikanische Bewegung erzeugt werden könne, ihren Übergang zu
ausschliesslich friedlichen und demokratischen Mitteln zu vollenden.
Sinn Féin antwortet
Auf einer Pressekonferenz in Westminster sagt der Sinn Féin Vorsitzende
Mitchel McLaughlin, die Teilnahme seiner Partei an Verhandlungen und an einer
gemeinsamen Regierung beruhe einzig und allein auf ihrem substanziellen
Mandat durch die Wähler und auf nichts anderem.
"Wir sind die grösste irisch-nationalistische Partei in den Six Counties
(Nordirland) und die drittstärkste Partei auf der irischen Insel," sagte
McLaughlin.
"Demgegenüber hat Paul Murphy kein Mandat der irischen Bevölkerung und
wir werden seine Versuche, die Sinn Féin Wählerschaft zu sanktionieren oder
zu dämonisieren, nicht hinnehmen," sagte er.
Überstürzte Schlussfolgerungen
Inzwischen gibt Vincent Browne von der Irish Times zu, dass er nicht mehr so
sicher ist, dass die IRA hinter dem Bankraub steckt, obwohl er ursprünglich
fest davon ausgegangen war ("welche andere Organisation hat die Kapazität, die
militärische Präzession, das logistische Know-How und die Stärke").
"Inzwischen wurde bekannt, dass in den letzten Tagen in (dem pro-britischen,
loyalistischen Bezirk) Craigavon versucht wurde, £41,000 an Northern Bank
Geldscheinen zu waschen. Angeblich hat dieses Geld nichts mit dem Bankraub zu
tun. Wo kommt es her?", fragt Browne. Nach Medienangaben wurden bei Festnahmen
in Craigavon hohe Summen an Geldern der Northern Bank sichergestellt, aber die
PSNI beeilte sich, sehr schnell zu verkünden, diese Verhaftungen hätten nichts
mit dem Belfaster Bankraub zu tun. Kann es etwas damit zu tun haben, dass die
Verhafteten keine (irischen) Republikaner waren?
Für Browne ist dies ausreichend, die Frage zu stellen:
"Ist es wirklich richtig, den ganzen politischen Prozess auf Grund einer
Meinungsäusserung eines Polizeioffiziers zu stoppen? Wissen wir nicht,
dass Polizei und Geheimdienste wieder und wieder Fehler machen?"
Auf der Meinungsseite der Irish Times formuliert dies ein Leser aus dem
County Laois noch pointierter: "Ich war sehr überrascht, mit welch
unangemessener und nicht hinterfragender Eile die meisten Menschen, Sie
eingeschlossen, die Aussage von Hugh Orde, dass die IRA für den Banküberfall
verantwortlich war, akzeptiert haben."
"Seine Aussage basiert auf 'Geheimdienstberichten'. Kann es sein, dass diese
Berichte Werk des britischen Geheimdienstes sind, der auch verantwortlich
für den Bericht über die Massenvernichtungswaffen des Irak war, der als
Begründung für einen Krieg im Irak diente, in dem bislang 100 000 Irakis
getötet wurden?"
Übersetzung: Uschi Grandel, 15.1.2005, Text in Klammern dient der Erläuterung,
http://archiv.info-nordirland.de/