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Sinn Féin News, 8. Oktober 2004 (for Irish Voice)


Die Zukunft im Blick

Gerry Adams

"Das nicht gewählte und niemandem rechenschaftspflichtige "Northern Ireland Office" ... leitet die six counties wie ein privates Lehen. Britische Minister fliegen für ein paar Stunden in der Woche ein, um Entscheidungen zu unterschreiben, die von Offiziellen des NIO vorformuliert wurden."
Vor zwei Wochen verbrachten irische und britische Regierung und die nordirischen Parteien einige Tage in Leeds Castle in Kent. Wir waren dort zur Unterstützung der laufenden Bestrebungen, eine Lösung zur Beendigung der Krise des Friedensprozesses zu finden. Regelmässige Leser der Irish Voice wissen, dass eine Lösungsfindung durch die Verweigerungshaltung der DUP im Sommer blockiert worden war.

Am Ende der Verhandlungen in Leeds Castle erklärten die beiden Regierungen, dass Fortschritte in Richtung eines Abkommens gemacht worden wären. Was die DUP betrifft, habe ich da nichts gesehen und dies damals auch gesagt. Seither gibt es keine Anzeichen, dass die DUP ihre Position geändert hat. Klar, Herr Paisley ist nach Dublin gefahren, und ich begrüsse das. Aber Fakt ist, dass die DUP nach wie vor unrealistische Forderungen stellt, die das Fundament der Regionalregierung, die gemeinsame Machtausübung, und weitere Kernpunkte des Abkommens ändern sollen. Sie besteht weiterhin auf ihrer fragwürdigen Weigerung, Sinn Féin's Mandat und damit die Rechte unserer Wähler, d.h. die Bürgerrechte derjenigen, die andere Parteien unterstützen, zu akzeptieren.

Im Anschluss an die Verhandlungen in Leeds Castle stand die Sinn Féin Führung in intensiven Diskussionen mit den beiden Regierungen, um die bestehende Kluft zu überbrücken. Letzten Montag trafen wir den Taoiseach (Bertie Ahern) in Dublin und am Nachmittag waren Martin McGuinness und ich in London, um die britische Regierung zu treffen.

Unser Fokus bleibt die vollständige Umsetzung des Karfeitagsabkommens - eines Abkommens, das Gleichheit, Respekt und gegenseitige Wertschätzung sowohl für Unionisten/Loyalisten, wie auch für Republikaner/Nationalisten verspricht. Dafür ist noch viel zu tun und das ist der Schwerpunkt der derzeitigen Diskussion zwischen Sinn Féin und den Regierungen. Gleichzeitig halte ich es für nützlich, einen bestimmten Aspekt der vor sechs Jahren getroffenen Vereinbarung zu reflektieren und zu untersuchen, wie sehr sich die britische Politik geändert hat, um ihm Rechnung zu tragen:

Im Abkommen haben sich die irische und die britische Regierung verpflichtet, "sicherzustellen, dass unabhängig von der Wahl, die die Mehrheit der Menschen in Nordirland in freier Entscheidung trifft, die Regierungsgewalt rigoros unparteiisch ausgeübt wird, für alle Menschen in der Vielfalt ihrer Identitäten und Traditionen, basierend auf den Prinzipien des vollen Respekts für alle Bürger und ihrer Gleichheit, ihren zivilen, politischen, sozialen und kulturellen Rechten, frei von Diskriminierung, in Gerechtigkeit und gleicher Behandlung der Identität, des Ethos und der Wünsche beider Communities."

Im Gegensatz dazu übt die britische Regierung ihre Verantwortung für die Gleichheit und für "zivile, politische, soziale und kulturelle Rechte" nicht "rigoros unparteiisch" aus. Sie weigert sich anzuerkennen, dass ihre Politik, die Union (zwischen Grossbritannien und Nordirland) aufrechtzuerhalten, ein Hindernis für Harmonie und gute Beziehung der Menschen auf den beiden Inseln darstellt.

Britische Politik toleriert und verfolgt institutionalisierte Ungleichheit. In der Konsequenz sehen viele Vertreter des politischen Unionismus (in Nordirland) keine Notwendigkeit, mit ihren irisch-nationalistischen Nachbarn oder deren nationalistischen und republikanischen Vertretern zusammenzuarbeiten. Diese Einstellung wird durch die Tatsache unterstützt, dass der Regierungsapparat, die Symbole und die Führungselite der staatlichen Institutionen vorwiegend (pro-britisch) unionistisch ist. Britische Politik ist ausserdem ein Hindernis dafür, Gleichheit und gegenseitige Wertschätzung zu praktizieren und zu erreichen.

Das nicht gewählte und niemandem rechenschaftspflichtige "Northern Ireland Office" (das von der britischen Regierung eingesetzte NIO hat die Staatsgewalt in Nordirland) ist ein spezielles Beispiel für die drängende Notwendigkeit von Änderungen. Das NIO leitet die six counties (Nordirland) wie ein privates Lehen. Britische Minister fliegen für ein paar Stunden in der Woche ein, um Entscheidungen zu unterschreiben, die von Offiziellen des NIO vorformuliert wurden. Und nur zu oft demonstrieren diejenigen, die für oder im NIO arbeiten, ohne jedes schlechte Gewissen eine Hingabe an die unionistische Sache. Zusätzlich werden Hunderte von ebenfalls nicht rechenschaftspflichtigen Lehensämtern vom NIO so besetzt, dass sie als sichere Bastion des Unionismus gelten. Die unionistische Regierung für das unionistische Volk ist gesichert (nach der Abspaltung Nordirlands durch die britische Regierung nannte der unionistische Politiker Carson seine neue nordirische Regierung "eine protestantische Regierung für ein protestantisches Volk" und fand damit einen griffigen Slogan für die 50-jährige unionistische Ein-Parteien Apartheidspolitik, die zuallererst und in allen Bereichen des Lebens anti-irisch und anti-katholisch war und damit der Hälfte der Bürger in Nordirland Bürgerrechte aberkannte).

Sinn Féin hat die Absicht, die Regionalregierung wieder zu etablieren, die politischen Institutionen und die gesamtirischen Körperschaften wieder einzusetzen, um Gleichheit zu erreichen und zu guter Letzt gegenseitige Wertschätzung zu erreichen. Nur mit Ministern, die ein lokales Mandat besitzen, werden wir in der Lage sein, den Einfluss der Blockierer und Hardliner im NIO über jede Facette unseres Lebens zu brechen.

Die Friedensstrategie von Sinn Féin beinhaltet mehr als das hier und jetzt. Sie dreht sich um die Zukunft. Das Abkommen ist eine Blaupause, von der aus wir den Weg zur Lösung der konstitutionellen Frage und der Souveränität finden können. Hier und jetzt suchen wir Gleichbehandlung aller Bürger. Das ist ein fundamentales Recht. Kein Teil unserer Gesellschaft sollte eine spezielle Behandlung oder Privilegien auf Grund seines Glaubens oder seiner politischen Zugehörigkeit erfahren. Wenn wir aber Ungleichheit und Diskriminierung beenden, wenn wir Privilegien und das Gefühl, etwas besseres zu sein, ein Gefühl, das einen Grossteil des politischen Unionismus beherrscht, abschaffen, dann ist das ganze Fundament, auf dem Teilung und Unionismus beruhen, brüchig.

Als irische Republikaner haben wir deshalb ein weiteres Ziel - die britische Regierung zu überzeugen, ihre Politik der Aufrechterhaltung der Union aufzugeben und Gleichheit, gegenseitige Wertschätzung und echte Selbstbestimmung zu unterstützen.

Die britische Regierung muss ihre Verpflichtungen unter dem Karfreitagsabkommen erfüllen und damit den Unionisten mit gutem Beispiel vorangehen. Durch die Erfüllung der eigenen Verpflichtungen kann die britische Regierung die politischen Rahmenbedingungen für den Unionismus ändern und ermöglichen, dass die Gesellschaft durch Gleichheit gewinnt und Gleichheit nicht zu fürchten hat. Das heisst, dass die britische Regierung die notwendigen Massnahmen zur Umsetzung von Gleichheit, Menschenrechten, Gerechtigkeit, der Polizeireform und anderen Feldern des Abkommens, zu denen sie verpflichtet ist, JETZT ergreifen muss.

Auch die irische Regierung hat eine Verpflichtung als gleichrangiger Partner im Abkommen, alle Aspekte des Abkommens zu verteidigen und darauf zu bestehen, dass die britische Regierung ihren Verpflichtungen nachkommt.

Übersetzung: Uschi Grandel, 10. Oktober 2004, Text in Klammern dient der Erläuterung
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