20. April 2004
Antwort des Sinn Féin Präsidenten Gerry Adams auf die Veröffentlichung des
Berichts der IMC:
Dublin muss das Abkommen verteidigen
Ich werde heute Stellung zu dem am Nachmittag veröffentlichten Bericht der sogenannten
Independent Monitoring Commission (IMC) beziehen. Ich werde ausserdem darauf eingehen, wie
Sinn Féin die derzeitige Rolle der irischen Regierung als Garant des Friedensprozesses
sieht.
Die IMC wurde letztes Jahr von der britischen und der irischen Regierung
auf Verlangen von David Trimble eingesetzt. Sie steht klar im Gegensatz zum
Karfreitagsabkommen und wir haben das bereits damals gesagt.
Wir hatten keine Illusionen. Die Rolle der IMC war, den Ausschluss unserer Partei zu
erleichtern, die Gewalt des unionistischen Lagers herunterzuspielen und das Verhalten
der britischen Regierung komplett zu ignorieren - der Partei, die am gravierendsten
das Karfreitagsabkommen verletzt.
Die Kommission ist nicht unabhängig. Das sieht man an ihrem Auftrag, ihrer
Zusammensetzung und der Tatsache, dass sie ihre Entscheidungen auf Grundlage von
Berichten der PSNI, der britischen Armee und den Hardlinern in den Geheimdiensten
trifft, die immer noch Haltung und Aktivitäten der britischen Regierung im
Friedensprozess bestimmen. Dass sie den Anschein erweckt, sie mache den beiden
Regierungen Vorschläge, ist eine undemokratische politische Farce.
Der Bericht der Kommission wurde von Hardlinern im britischen Apparat geschrieben,
die Sanktionen gegen Sinn Féin vorschlagen - obwohl wir in keiner Weise
das Karfreitagsabkommen verletzt haben. Dies wird auch nicht behauptet.
Der Bericht reduziert die andauernde unionistische paramilitärische Gewalt
praktisch zu einer Fussnote. Er lässt beide Regierungen komplett aussen vor.
Und woher bekam die Kommission ihre Informationen? Von denselben Leuten, die in so
unerhörter Weise mit viel Medienrummel unsere Büros im Parlamentsgebäude
Stormont durchsuchten. Von denselben Leuten, die 1998 versuchten,
durch Ausschluss von Sinn Féin aus den Verhandlungen
das Karfreitagsabkommen zu verhindern.
Seit die britische Regierung im Irak Krieg führt, spüren diese Elemente ganz
offensichtlich wieder Aufwind. Diese Elemente - das sind die staatlichen Stellen, die im Barron Bericht,
dem zensierten Cory Bericht und in jeder der bisherigen Untersuchungen, die sich mit
Collusion (d.h. der Zusammenarbeit staatlicher britischer Stellen mit pro-britischen
Todesschwadronen) befasst, angeklagt werden.
Die Doppelzüngigkeit und die Doppelmoral im Bericht sind unerhört.
Ein Beispiel, das diese Doppelmoral deutlich zeigt: die britische Regierung hat erst
kürzlich ihre Weigerung, eine unabhängige Untersuchung des Mordes an Pat Finucane
einzuleiten, damit begründet, es könne keine Untersuchung stattfinden, da eine
Person derzeit des Mordes angeklagt sei (und eine öffentliche Untersuchung ein Eingriff
in ein laufendes Verfahren sei).
Derzeit sind vier Personen in der Tohill-Affaire angeklagt. Nichts desto trotz wird diese
Affaire im Bericht auf ausdrücklichen Wunsch der beiden Regierungen untersucht,
stellt einen substantiellen Teil des Berichts dar und ist Grund für die vorzeitige
Publikation des Berichts.
Und man muss zudem anmerken, dass die Geschwindigkeit, mit der der Bericht erstellt
wurde - 3 Monate seit dem ersten Treffen der Kommission und trotz einer laufenden
rechtlichen Überprüfung - im starken Kontrast zu der schäbigen Behandlung steht, die
die britische und irische Regierung der Familie von Pat Finucane zuteil werden lässt,
die seit fünfzehn Jahren auf Gerechtigkeit wartet. Sie wartet immer noch.
Obwohl die Kommission in ihrem Bericht akzeptiert, dass Sinn Féin sich nicht in der
Position befindet, die Politik und operativen Strategien der IRA zu bestimmen,
empfiehlt sie nichts desto trotz finanzielle Sanktionen gegen Sinn Féin.
Diese Position ist kompletter Nonsens. Es ist eine künstliche, politisch gewollte
Schlussfolgerung, die nicht auf Fakten beruht.
Die Empfehlungen der Kommission sind klar diskriminierend und unterminieren
die demokratischen, durch Wahlen gewonnenen Rechte und Mandate unserer Partei und
unserer Wählerschaft.
Sinn Féin wird diesen parteiischen Bericht nicht akzeptieren.
Wir werden diesen Angriff auf unsere Partei nicht akzeptieren.
Wir werden diesen Angriff auf unser durch Wahlen erreichtes Mandat nicht akzeptieren.
Wir werden den Bericht mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen
und ihn an jeder Tür, an der wir in der nächsten Wahlkampagne stehen, diskutieren.
Wir werden die Verantwortung für die derzeitige Krise exakt dort abladen, wo sie
hingehört - bei den beiden Regierungen. Die Kommission ist immerhin ein Produkt dieser
beiden Regierungen. Sie tut das, wozu sie ins Leben gerufen wurde. Ihr Bericht ist eine
Schande.
Aber das Gedankengut, das zur Etablierung dieser Kommission geführt hat, ist symptomatisch
für die fehlerhafte Einschätzung, die die beiden Regierung seit einiger Zeit haben.
Sinn Féin hat eine Strategie entwickelt, um zu einem Ende der bewaffneten Gruppen zu kommen.
Wir haben für diese Strategie geworben und argumentiert. Es war diese Strategie,
die den Friedensprozess überhaupt möglich gemacht hat und die als Produkt dieses
Prozesses zum Karfreitagsabkommen führte.
Die Logik hinter unserer Strategie beruht im Wesentlichen darauf, Rechte und
Rechtsansprüche der Bürger zu achten, einen dauerhaften Prozess der (demokratischen)
Umgestaltung einzuleiten und zu zeigen, dass Politik Veränderungen herbeiführen kann.
In privaten Gesprächen sagen uns beide Regierungen, dass sie die Logik dieser Position
sehen und unterstützen. Wobei anzumerken ist, dass nicht alle Minister der irischen
Regierung diese Strategie unterschreiben würden.
Auch Sinn Féin ist gegen kriminelle Machenschaften jedweder Art. Und wir wehren uns vehement
dagegen, (irische) Republikaner mit solchen Machenschaften in Verbindung zu bringen.
Auf jeden Fall ist klar, dass es einen gravierenden Wechsel in der Position der Regierungen
und insbesondere der irischen Regierung gegeben hat. Die derzeitige Position der
Regierungen ist falsch. Sie ist kurzsichtig, parteipolitisch motiviert und steht im
völligen Gegensatz zu einer Politik des Schaffens von Frieden. Die Regierungen müssen
zum Karfreitagsabkommen zurückkehren.
Es ist eine historische Tatsache, dass für eine lange Zeit irische Regierungen allzu
willig blindlings der Agenda der jeweiligen britischen Regierung folgten.
Die Entwicklung des letzten Jahrzehnts, der Prozess der nicht ausgrenzenden,
gemeinsamen Konfliktlösung hat das Potential für eine neue Beziehung der Regierungen
geschaffen. Unter dem Karfreiatgsabkommen sind beide Regierungen aufgerufen,
sich als gleiche Partner um die Umsetzung der Punkte des Abkommens zu kümmern.
Das Abkommen ist eines der wichtigsten Verträge der neueren irischen Geschichte.
Ohne jeden Zweifel ist der Friedensprozess die wichtigste Entwicklung unserer Zeit.
Aber es war immer klar, dass die grosse Schwierigkeit die Umsetzung des
Karfreitagsabkommens sein wird. Nicht zuletzt deswegen, weil mächtige reaktionäre Kräfte
sich gegen die Änderungen stemmen, die der Friede benötigt und die das Karfreitagsabkommen
unterstützt.
Eine Option der britischen Regierung ist immer, so wenig wie möglich zu tun.
Und man muss zugeben, dass die Herausforderungen für die Regierungen gewaltig sind.
Es benötigt einen klaren Fokus und es ist ein andauernder Kampf gegen Widerstände aller Art,
den Weg zu gehen, den der Prozess fordert. Und natürlich haben Regierungen ihre eigene
Agenda. Und diejenigen, die die Regierung stellen, haben auch ihre Agenda.
Aus meiner Sicht stehen derzeit diese kleinkarierten Interessen vor der Notwenigkeit,
das Abkommen zu verteidigen und umzusetzen.
Die Regierungen haben nicht damit gerechnet, dass das Karfreiatgsabkommen zu einem
Instrument des wirklichen Wandels werden könnte. Das Potential dazu hatte es
allerdings von Anfang an.
Die Regierungen wollten eine Allianz zwischen der (pro-britischen) UUP und der
(gemässigt irisch-nationalistischen) SDLP mit einem recht schlappen Reformprogramm,
das diese Parteien akzeptieren würden.
Sie haben nicht mit dem Wachstum von Sinn Féin gerechnet.
Wie wir alle wissen, entschied die Wählerschaft anders. Aber die Regierungen haben
diese demokratische Willensäusserung nicht akzeptiert. Im Gegenteil, sie benutzen die
IMC, um bewusst demokratische Wünsche und Ansprüche zu untergraben.
Im Juli 2001 gab die irische Regierung vorschnell ihre Position bezüglich der
Polizeireform auf und brach den Konsens der irisch-nationalistischen Seite.
Im Oktober 2002 verletzte die britische Regierung das Karfreitagsabkommen und
suspendierte eigenmächtig Regionalregierung und Regionalparlament. Die irische Regierung
sah schweigend zu.
Im Mai 2003 schwieg die irische Regierung zur Aussetzung der Wahlen. Letzten Oktober
hielten die Regierungen sich nicht an ein gemeinsames Abkommen, das wir und andere eingehalten haben.
Seit den Wahlen zum Regionalparlament im letzten November hat die irische Regierung
unverantwortlich gehandelt. Getrieben von den anstehenden Wahlen hat sie sich in eine
bösartige Propagandaoffensive gegen die demokratischen Rechte der Sinn Féin
Wähler gestürzt.
Die Ergebnisse der Wahlen zum Regionalparlament im November waren ohne Zweifel der Auslöser.
Das Ziel ist die Beeinflussung der Kommunalwahlen und der Wahlen zum Europaparlament
im Juni.
Die irische Regierung hat ausserdem ein Referendum zur irischen Staatsbürgerschaft
initiiert, das das Karfreitagsabkommen bricht, ohne die anderen Parteien, die das
Abkommen unterschrieben haben, zu konsultieren.
Die Hast, mit der sie sich in diesem Falle bewegen, steht in starkem Widerspruch
zum Versagen, gesetzliche Grundlagen für die Rechte Behinderter zu schaffen oder
endlich die Rechte der Bürger im Norden Irlands auf Vertretung in südlichen
Institutionen zu gewährleisten.
Es wundert kaum, dass Ian Paisley zunehmend irische Minister zitiert.
Für mich ist die Haltung der Regierung zum Thema Staatsbürgerschaft rassistisch.
Es bedarf einer offenen Debatte und einer fairen, offenen Einwanderungspolitik.
Ich begrüsse das Interesse der SDLP an dem Thema. Sie sollten mit uns gemeinsam
gegen die von der Regierung geplante Änderung der Verfassung angehen.
Aus all den oben genannten Gründen gibt es berechtigte Sorge über den derzeitigen
Zustand des Friedensprozesses. Ausdruck des Zustands ist die plötzliche Absage der
Verhandlungen, die für die nächsten zwei Wochen geplant waren.
Ich werde dringende und getrennte Diskussionen mit dem irischen Taoiseach und dem
britischen Premierminister über dieses Thema suchen. Ich habe meine Bedenken bereits
ihren höchsten Regierungsbeamten mitgeteilt.
Ich habe immer gezögert, öffentlich die irische Regierung zu kritisieren,
aber ich habe die Verpflichtung, die Rechte unserer Wähler und die Integrität des
Prozesses zu wahren, der so wichtig für die Zukunft aller Menschen auf dieser Insel ist.
Ich bin mehr enttäuscht als verärgert. Sinn Féin ist sehr wohl in der Lage, sich
zu verteidigen, aber der Friedensprozess ist wichtiger als das und wie sehr wir auch
Differenzen in verschiedensten Bereichen haben, möchte ich keine Differenzen mit der
Regierung zum Friedensprozess. Es geht um mehr als Parteipolitik.
Ich möchte mit dem Taoiseach auf der Basis des Karfreitagsabkommens zusammenarbeiten.
Das heisst aber, dass die irische Regierung diesem Anspruch gerecht werden muss.
Sie muss aufhören, es der britischen Regierung zu überlassen, die Agenda für den
Friedensprozess zu bestimmen. Sie muss aufhören, das Karfreitagsabkommen und die
sich daraus ergebenden Rechte und Ansprüche der irischen Nationalisten und Republikaner
einfach beiseitezulegen, nur weil Unionisten - egal ob David Trimble oder Ian Paisley -
dies fordern.
Wir irischen Republikaner wollen diesen Prozess voranbringen. Wir haben viel
in ihn investiert und enorme Risiken auf uns genommen. Wir bleiben der Umsetzung
des Karfreitagsabkommens verpflichtet. Aber wir können nicht als einzige Risiken
eingehen. Der einzige Weg, der aus den derzeitigen Schwierigkeiten herausführt, ist
die Zurückbesinnung der Regierungen auf den Friedensprozess. Aktionen müssen im Rahmen
des Karfreitagsabkommens erfolgen und müssen die Rechte aller am Prozess beteiligten
respektieren.
Was Sinn Féin betrifft ist dies eine Frage des politischen Prinzips.
Übersetzung: Uschi Grandel, 1.5.2004, Erläuterungen in Klammern