Interview mit Gerry Adams, dem Präsident von Sinn Féin,

zum Wahlerfolg seiner Partei

Das Interview führte der freie Journalist Aljoscha Kertesz

January 2004

Im folgenden Interview äußert sich Gerry Adams, der Präsident der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin, zu dem Ausgang der Wahl, zur derzeitigen politischen Situation in Nordirland und zu den Zielen seiner Partei.

Frage 1:
Sinn Féin war in den letzten Wahlen sehr erfolgreich. Es gelang Ihnen, die stärkste Partei des irisch-nationalistischen Lagers zu werden. Wie erklären Sie sich dieses Ergebnis?

Antwort 1:
Bei der Wahl im November hat Sinn Féin die Wähler um die Unterstützung unserer Friedensstrategie gebeten. Und dies taten die Wähler in steigender Zahl. Wir baten sie, unsere Vision eines vereinigten und unabhängigen Irlands zu teilen - eines Irlands der Gleichberechtigten, auf der Basis von Gerechtigkeit und Menschenrechten. Wir baten die Menschen, uns bei unseren Bemühungen um die vollständige Umsetzung des Karfreitagsabkommens zu unterstützen. Wir traten dafür ein, die Zusammenarbeit an die Stelle der Konfrontation zu setzen. Unser Mandat wurde erneuert und gestärkt.

Sinn Féin ging aus der Wahl als die Partei mit der zweithöchsten Stimmanzahl hervor und wir erhöhten die Zahl unserer Sitze. Das Wahlergebnis bestätigte unsere Position als größte irisch-nationalistische Partei im Norden Irlands und als drittgrößte Partei der Insel.

Ich glaube, wir haben dieses Ergebnis erreicht, weil irische Republikaner, irische Nationalisten und einige pro-britische Unionisten unsere Partei als besten Garanten für die Durchsetzung des Abkommens und des Friedensprozesses ansehen. Sie schätzen das, was wir bewirkt haben und bewirken und glauben, genauso wie wir, dass die Zukunft dieser Insel in einem vereinigten und unabhängigen Staat liegt.

Frage 2:
Sinn Féin scheint besonders populär unter jungen Wählern zu sein?

Antwort 2:
Junge Leute in Irland haben die abgestandene und sterile Politik der etablierten Parteien satt.

Junge Menschen sind Idealisten: sie wollen Veränderung und haben größere Erwartungen an das Leben als ihre Eltern oder Großeltern.

Junge Menschen in Irland glauben, dass Sinn Féin die Partei ist, die ihre Ansichten und Meinungen über nationale und internationale Belange am besten vertritt.

Frage 3:
Sinn Féin hat während der letzten Monate intensive Gespräche mit der UUP geführt, um das suspendierte Regionalparlament Stormont wieder einzusetzen. Jetzt ist die DUP die stärkste pro-britische unionistische Partei. Welchen Unterschied macht dies für Sinn Féin?

Antwort 3:
Viel wurde in den Aufstieg der pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP) des Reverend Ian Paisley hineininterpretiert, die das Karfreitagsabkommen und die darin enthaltene Agenda der Umgestaltung Nordirlands ablehnt. Der Stimmengewinn der DUP ist ein direktes Resultat ihrer Fähigkeit, diejenigen Stimmen einzusammeln, die bei der letzten Wahl an kleinere Anti-Agreement Parteien gegangen waren.

Die pro-britischen unionistischen Wähler, die das Abkommen unterstützen, sind demgegenüber nicht zur DUP gewechselt. Über 70 Prozent der Wähler stimmten für Kandidaten, die das Friedensabkommen unterstützen, und wählten damit mehrheitlich Befürworter des Abkommens in das neue Regionalparlament.

Die Konsequenz daraus ist, dass nun die Front zwischen denjenigen verläuft, die den Friedensprozess unterstützen und die Veränderungen vorantreiben wollen, egal ob es sich dabei um pro-britische Unionisten, irische Republikaner oder irische Nationalisten handelt, und denjenigen im Lager der Gegner des Friedensabkommens, die die Uhr zurückdrehen wollen.

Sinn Féins Schwerpunkt ist die Bildung einer Achse der Befürworter des Abkommens. Britische und irische Regierung spielen dabei eine wichtige Rolle. Wesentlich ist der Dialog zwischen Sinn Féin und der pro-britischen Ulster Unionist Party (UUP), die das Abkommen unterstützt. In diesen Gesprächen wurden in den letzten sechs Monaten bedeutende Fortschritte erzielt.

Wir werden unsere Führungsrolle weiterhin in einer positiven Art und Weise ausüben und konstruktiv mit den beiden Regierungen und den anderen Parteien zusammenarbeiten. Wir erkennen das Mandat all dieser Parteien an und respektieren es - das schließt auch das Mandat der DUP ein. Wir sind für Dialog und Engagement. Es ist die DUP, die es ablehnt, mit Sinn Féin zusammenzuarbeiten oder sich in den politischen Institutionen zu engagieren.

Frage 4:
Was wird Ihrer Meinung nach als nächstes passieren, falls die DUP es ablehnt, mit Sinn Féin über eine Regierungsbildung zu verhandeln? Was ist die Aufgabe der britischen und der irischen Regierung?

Antwort 4:
Die Menschen haben vor fünf Jahren eindeutig für das Karfreitagsabkommen gestimmt. Diese Haltung hat sich in der letzten Wahl zum Regionalparlament bestätigt. Werden die beiden Regierungen - wird die britische Regierung uns unsere Rechte und Ansprüche als Bürger absprechen, weil die DUP weiterhin eine vorsintflutliche Einstellung vertritt?

Es ist ein kleines Zeitfenster vorhanden, in dem die britische und die irische Regierung ausloten können, ob die DUP bereit ist, sich positiv und konstruktiv am Prozess zu beteiligen. Die Suspendierung der Institutionen durch die britische Regierung darf allerdings nicht weiter fortgesetzt werden und ist über einen längeren Zeitraum hinweg nicht tragbar.

Was auch immer die DUP macht, die beiden Regierungen tragen Verantwortung, der sie nachkommen müssen. Dies habe ich Herrn Blair und Herrn Ahern deutlich gemacht, als ich sie in Downing Street traf. Sie müssen die vollständige und gewissenhafte Umsetzung des Karfreitagsabkommens voran treiben. Die Themenblöcke Justizreform - einschließlich Gleichheit und Menschenwürde, Entmilitarisierung, Polizeireform, irische Sprache und mehr - müssen geklärt werden. Die Regierungen haben sich im Karfreitagsabkommen, in ihrer gemeinsamen Erklärung im Frühjahr und in den Verhandlungen mit den Parteien dazu verpflichtet. Es ist längst überfällig, dass diese Verpflichtungen erfüllt werden.

Frage 5:
Die DUP will erneut über das Karfreitagsabkommen verhandeln. Wo sehen Sie Verhandlungsspielraum und welche Teile würde Sie selbst gerne modifizieren?

Antwort 5:
Es wird keine erneuten Verhandlungen über das Karfreitagsabkommen geben. Das ist unser Standpunkt, der nicht zur Diskussion steht. Die Grundsätze, Strukturen und Verpflichtungen des Abkommens können und dürfen nicht untergraben werden.

Wir sind fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass dieses Abkommen umgesetzt wird und eine neue Ära von Frieden und Gerechtigkeit auf der Insel durchgesetzt wird.

Die DUP will keine erneuten Verhandlungen über das Abkommen, sondern ein vollkommen neues Abkommen, welches all die positiven Errungenschaften der letzten Jahre untergräbt. Eine Rückkehr zur Vorherrschaft eines konservativen Unionismus ist inakzeptabel.

Frage 6:
Was sind Ihre politischen Ziele bis zur nächsten Wahl?

Antwort 6:
Wahlen sind nur ein Teil der Friedens- und politischen Strategie von Sinn Féin. Wir werden weiterhin unsere politische Stärke ausbauen, die organisatorische Effizienz weiter entwickeln und für die Einheit und Unabhängigkeit Irlands eintreten.

Kurzfristig werden wir uns darauf konzentrieren, die beiden Regierungen zu überzeugen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Ich glaube, dass die Parteien, die den Friedensprozess unterstützen und die zwei Regierungen die Fähigkeit haben, weiteren Fortschritt durch das Abkommen zu sichern.

Im Juni tritt Sinn Féin im Norden und im Süden Irlands bei der Wahl zum Europäischen Parlament an. Am gleichen Tag nehmen wir an den Kommunalwahlen im Süden Irlands teil. Dies ist eine gewaltige Aufgabe, auf die wir uns vorbereiten müssen.

Frage 7:
Neuere Umfragen scheinen anzudeuten, dass eine kleine Mehrheit der katholischen Bevölkerung Vertrauen in die Police Service of Northern Ireland (PSNI) aufbaut. Wann wird Sinn Féin dem Polizei Board beitreten?

Antwort 7:
In der Wahl zum Regionalparlament am 26. November gewann Sinn Féin 24 Sitze - die SDLP erhielt 18 Sitze. Ist das nicht eine viel präzisere Aussage über die Einstellung der irisch-nationalen Bevölkerung zur PSNI? Sollten die Ergebnisse einer Wahl zu Gunsten einer Meinungsumfrage ignoriert werden?

Sinn Féin wird dem Polizei Board beitreten, wenn wir überzeugt sind, dass wir die Polizeireform richtig hinbekommen haben. Sobald wir ein Stadium erreicht haben, das es uns erlaubt, überzeugt für die im Abkommen vorgesehenen Visionen einer neuen Polizei einzutreten und sobald wir glauben, dass diese Visionen in unserer Reichweite liegen.

In unseren Verhandlungen mit der britischen Regierung im Laufe des vergangenen Jahres haben wir enorme Fortschritte zum Thema Polizeireform erzielt. Zunächst muss das umgesetzt werden, was die britische Regierung hierzu versprochen hat. Erst wenn das Thema Transfer der Polizeigewalt von London zu einer im Norden Irlands basierten Exekutive geklärt ist - dann wird Sinn Féin es in Betracht ziehen, eine Parteikonferenz zu diesem Thema einzuberufen.