Grundsatzerklärung des Sinn Fein Präsidenten Gerry Adams zu Entwicklungen im Friedensprozess


21. Oktober 2003

Ich begrüsse die Festlegung des Wahltermins für die Wahlen der Regionalregierung auf den 26. November. Das war eine Frage des Prinzips und eine der Kernforderungen von Sinn Fein.

Und es ist der Kontext, in dem die heutigen Entwicklungen stattfinden. Die hier Versammelten repräsentieren Sinn Fein. Wir sind hier, um unsere Strategie und die Positionen, die ich heute darlege, zu bestätigen.

Ich appelliere an die Wähler, ihre Stimme zu nutzen und sie weise zu nutzen, indem sie den kontinuierlichen Wandel hin zu einer friedlichen und gerechten Zukunft für alle unterstützen.

Die letzten 10 Jahre des Friedensprozesses, und vor allem die letzten 5 Jahre, waren eine politische und emotionale Berg- und Talbahn für Republikaner und Unionisten, für Nationalisten und Loyalisten.

Wir haben gemeinsam viel durchgemacht. Als Republikaner standen wir vor enormen Herausforderungen. Wir haben uns diesen Herausforderungen gestellt.

Jedes Jahr, und manchmal mehrmals im Jahr, kamen wir in unserem Kampf an Stellen, die man als Wegscheide beschreiben kann. Vor einigen Jahren habe ich diesen Prozess als Reise bezeichnet.

Für uns ist das Ziel eine irische Republik. Diese Reise zu beenden, heisst, eine politische Strategie zu besitzen, die uns an dieses Ziel bringt. Es heisst, sich mit unseren Gegnern auseinanderzusetzen und ihnen unsere Vorstellungen zu erklären. Es heisst, politisch in die Offensive zu gehen, Initiativen zu starten und sich am Kampf der Ideen beteiligen.

Sinn Féin ist als Partei für ein vereinigtes Irland. Aber irischer Republikaner zu sein, bedeutet mehr, als ein Lippenbekenntnis zur Proklamation von 1916 oder zum Ideal der Republik.

Es bedeutet, Stillstand zu verweigern.

Es bedeutet, Risiken einzugehen.

Es bedeutet, auf andere zuzugehen.

Es bedeutet, vorwärtszugehen.

Republikaner sind keine Drückeberger. Wir haben uns geweigert aufzugeben. Wir haben uns geweigert, das Fortbestehen von Spaltung, Diskriminierung und Ungerechtigkeit hinzunehmen. Wir haben Kampagnen geführt, aufgeklärt, Lobbyarbeit betrieben und all diejenigen herausgefordert, die lieber zu den alten verfehlten Rezepten der Vergangenheit zurückkehren wollten.

Wir haben versucht - und tun dies nach wie vor - Einstellungen und Verhaltensweisen zu ändern. Wir versuchen, neue und bessere Beziehungen zwischen den Menschen auf dieser Insel und zwischen uns und den Menschen in Britannien aufzubauen.

In den vergangenen Monaten und insbesondere in den letzten Wochen, hatte das Sinn Féin Verhandlungsteam intensive Diskussionen mit der Ulster Unionist Party und den beiden Regierungen.

Der Fokus der Medien liegt weitgehend auf der IRA. Die Realität ist, dass alle Parteien, auch die beiden Regierungen, einen signifikanten Beitrag bringen müssen, um die Institutionen wieder aufzusetzen und das Karfreitagsabkommen effizient und effektiv umzusetzen.

Das ist nicht die alleinige Aufgabe der Republikaner. Es war nie ihre alleinige Aufgabe.

Diesen Prozess erfolgreich zu machen, ist eine kollektive Verantwortung. Republikaner müssen darauf vertrauen können, dass die beiden Regierungen ihre Versprechen halten. Republikaner brauchen Vertrauen, dass die unionistische Führung sich am Prozess beteiligt und mit uns gemeinsam die Aufgabe angeht, eine bessere Zukunft für die Menschen in unserem Land aufzubauen.

Genauso brauchen Unionisten Vertrauen zu Republikanern.

Lasst mich in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zur derzeitigen Situation machen. Die Initiativen, die Republikaner im April und Mai diesen Jahres gestartet haben, um die Probleme zu lösen, wurden zurückgewiesen. Es gab viel Ärger darüber, völlig zurecht. Aber jetzt müssen wir weiterkommen.

Die "Joint Declaration", die die beiden Regierungen in dieser Zeit veröffentlichten, besitzt gute und positive Elemente; insbesondere zu den Aspekten des Abkommens, die noch umgesetzt werden müssen.

Es ist allgemein anerkannt, dass die zielstrebige Arbeit des Verhandlungsteams von Sinn Féin unter der Leitung von Martin McGuinness die beiden Regierungen zu diesen Positionen gebracht hat. Ich möchte unserem Team für diese hervorragende Arbeit danken.

Die Verpflichtungserklärung der "Joint Declaration", die ungelösten Themen letztendlich umzusetzen, ist zu begrüssen. Diese Themen und andere Hauptpunkte des Abkommens dienen der Schaffung einer stabilen Gesellschaft. Sie beinhalten:

Dauerhafte politische Institutionen
Gleichheit in allen ihre Facetten.
Akzeptierbare, verantwortliche Polizei.
Transfer der Verantwortung für Justiz und Polizei.
Demilitarisierung der Gesellschaft.
Die Festigung und der effektive Schutz der Menschenrechte.
Die Auflösung der Anomalie in der Situation der "people On The Run".

Andere Aspekte der "Joint Declaration" sind inakzeptabel. Die Einrichtung der sogenannten "International Monitoring Commission" (mit der Möglichkeit, gewählte Parteien aus dem Regionalparlament auszuschliessen) stellt einen Bruch des Abkommens dar und widerspricht den dort eingebauten Sicherheitsmechanismen.

Die Kommission nimmt der gewählten Regionalregierung die demokratische Verantwortung und über gibt die Macht zu Sanktionen und Ausschlüssen von politischen Parteien in Irland an einen britischen Minister, der hier nicht durch Wahlen legitimiert ist.

Republikaner setzen sich für die Implementierung des Karfreitagseinkommen ein. Sie tun das nicht nur, weil es unsere Verpflichtung ist, nicht nur, weil es das Richtige ist, sondern auch, weil es zu unserer Strategie passt, die das Ziel hat, eine Alternative zum Konflikt zu schaffen. Es ist eine friedliche Methode, Veränderungen zu ermöglichen und Frieden zu erhalten und zu festigen. Ich möchte nochmals meine vollständige Bereitschaft betonen, eine Führungsrolle darin zu übernehmen, den Konflikt auf unserer Insel zu beenden und auch den Republikanismus der physischen Gewalt zu beenden.

Unsere Strategie hierzu ist die Schaffung eines ausschliesslich friedlichen, alternativen Weges, um demokratische und republikanische Ziele zu erreichen. Ich sage dies im Bewusstsein der Risiken und Gefahren und mit dem sicheren Wissen, dass es keinen einfachen Weg zur Lösung dieser Schwierigkeiten gibt.

Darüber habe ich keine Illusionen und ich weiss, dass meine Bereitschaft von der Sinn Féin Führung geteilt wird.

Wir stehen voll und ganz dazu, den Friedensprozess fortzuführen.

Die Länge des Waffenstillstandes der IRA, der vor zehn Jahren erstmalig erklärt wurde, die Disziplin der IRA angesichts der Aktivitäten des britischen Militärs und der Loyalisten, ihre Initiativen, den laufenden Prozess zu unterstützen, zeigen, dass die IRA ebenfalls aufrichtig daran interessiert ist, den Friedensprozess zu unterstützen.

Ich spreche ihr dafür meine Anerkennung aus.

Das Karfreitagsabkommen mit seiner Vision einer fairen und gerechten Gesellschaft, die ausschliesslich friedlich und demokratisch operiert, wurde auf demokratische Weise durch die überwältigende Mehrheit der Menschen in beiden Staaten dieser Insel unterstützt. Sinn Féin bleibt der vollständigen Umsetzung des Abkommens verpflichtet.

Die Führung der IRA wünscht eine komplette, irreversible Umsetzung des Karfreitagsabkommens in all seinen Aspekten. Sie trägt dafür Sorge, dass ihre Strategien und Aktionen konsistent zu diesem Ziel sind.

Die Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Abkommen durch die beiden Regierungen und die Parteien bildet den Kontext, in dem irische Republikaner und Unionisten ihre Ziele gleichberechtigt und friedlich verfolgen. Damit bildet sie den Kontext für eine vollständige und endgültige Beendigung des Konflikts.

Aktionen oder auch ihr Nichtvorhandensein sprechen lauter als Worte. Aus meiner Sicht kann jeder zuversichtlich vorangehen, auch die beiden Regierungen und die Unionisten.

Als Präsident von Sinn Féin habe ich die friedvolle Richtung vorgegeben. Ich bin zuversichtlich, dass jeder folgen wird. Sinn Féin's Position ist die Verpflichtung zur Lösung von Differenzen auf ausschliesslich demokratischem und friedlichem Wege. Wir sind gegen Gewalt oder die Androhung von Gewalt, um politische Ziele durchzusetzen.

Sinn Féin arbeitet darauf hin, dass alle Waffen aus der irischen Gesellschaft verschwinden.

Die Verpflichtung, das Primat der Politik zu unterstreichen und umzusetzen, besteht auch für die beiden Regierungen, insbesondere für die britische Regierung.

Ich wende mich heute direkt an die Organisationen, die derzeit keinen Waffenstillstand halten. Ich wende mich an alle Organisationen, weil ich nicht speziell diejenigen addressiere, die sich als Republikaner präsentieren. Ich rufe sie auf, mit uns zusammen, Republikanern und Unionisten, Nationalisten und Loyalisten, den Schritt nach vorn zu wagen und gemeinsam eine neue Zukunft zu bauen, die auf Gerechtigkeit und Frieden basiert.

Jeder, der die Situation in den 1960ern, den 1970ern, den 1980ern und im Grossteil der 1990er betrachtete, konnte zu dem Schluss kommen, dass sei ein Konflikt ohne Ende, ein Konflikt, in dem Misstrauen und Hass so sehr von der Gesellschaft erzeugt werden, dass Dinge sich nie ändern.

Aber Dinge haben sich geändert. Dies erfolgreich zustande zu bringen, ist kein Zufall, es ist eine Entscheidung. Republikaner haben mitgeholfen, dieser Entscheidung Form und Stimme zu geben. Wir können sagen, dass Sinn Féin es als Aufgabe begreift, zu einer neuen, demokratischen und harmonischen Zukunft mit unseren unionistischen Nachbarn zu kommen.

Ob wir wollen oder nicht, es betrifft uns alle.

Sinn Féin führte intensive Diskussionen mit der UUP in den letzten Wochen.

Dieser direkte und offene Dialog zwischen Unionisten und Republikanern ist in sich eine äusserst wichtige Entwicklung und ein Schlüssel für den politischen Erfolg.

Wir verstehen die Bedeutung des Zugehens auf Unionisten, des Versuchs, ihre Befürchtungen, Ängste und Hoffnungen zu verstehen. Ihnen zu erklären, was wir fühlen.

Eine der grossen Herausforderungen, die wir gemeinsam angehen müssen, ist die Plage des "Sectarianism" (religiös motivierter Rassismus). Das bleibt eine grosse Aufgabe für Unionisten und Loyalisten, Republikaner und Nationalisten.

Gute Arbeit wird hier von Sinn Féin Repräsentanten bereits geleistet, vor allem auf lokaler Ebene. Beispiele sind der Bürgermeister von Armagh, Pat O'Rawe, Bürgermeisterin Anne Brolly, Stadtrat Francie Molloy, Bürgermeister Sean McGuigan und der ehemalige Belfaster Bürgermeister Alex Maskey.

Auf diese Arbeit müssen wir aufbauen. Das ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich.

Viele Unionisten, vor allem Unionisten aus der Arbeiterschicht, sind sich klar darüber, dass sie ausgebeutet werden. Unionistische Arbeiterviertel sehen sich mit enormen sozialen und ökonomischen Problemen konfrontiert. Familien, alte Leute und junge, sind betroffen von Armut, Verelendung und einem Gefühl von Verzweiflung. Das ist völlig inakzeptabel.

Wenn Sinn Féin Gleichheit fordert, meinen wir Gleichheit für alle.

Wir sind auch auf diejenigen zugegangen, die dem Ganzen negativ gegenüberstehen. Wir weisen Ausgrenzung und Isolation zurück. Das ist verfehlte Politik.

Wir müssen zu Engagement ermutigen und jeden überzeugen, sich an der Konfliktlösung zu beteiligen, um ein Teil der Zukunft zu werden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gemeinsam die Fähigkeit und das Wissen haben, um dieses Jahrhundert zur friedlichsten, produktivsten und prosperierenden Zeit in der Geschichte Irlands zu machen.

Die Frage ist, haben wir die Weisheit und den Willen? Ich glaube, dass wir beides haben. Ich glaube, dass wir gemeinsam eine Zukunft aufbauen können, die auf Gleichberechtigung beruht. Eine friedliche Zukunft, die alle Kinder dieser Nation gleichermassen fördert und bereichert.

Die Menschen auf dieser Insel haben das Recht, frei zu sein. Frei von Diskriminierung und Ungleichheit zu leben, ohne Gewalt und Konflikt.

Sinn Féin wird die Reise von hier aus weiterführen, um am Aufbau einer Republik teilzuhaben, die der Leiden und Opfer all derer, die nicht mehr unter uns weilen, wert ist.

Ich wende mich an alle Republikaner in Irland und weltweit mit der Bitte, Sinn Féin's Friedensstrategie auch weiterhin zu unterstützen. Initiativen von Republikanern sind für uns alle hart und schwierig zu ertragen.

Ich weiss, dass Aktivisten viele Vorbehalte haben. Aber wir müssen das grössere Bild betrachten. Wir müssen an das denken, was für uns alle gut ist.

Bobby Sands hat es aus meiner Sicht am besten beschrieben. Trotz grosser Schwierigkeiten, Erniedrigungen und physischer Verletzungen verlor er nie seine Vision eines neuen Irland, eines Irland, in dem unsere Revanche das Lachen unserer Kinder sein wird.

Es ist immer leichter, eine Reise zu beginnen. Die Schwierigkeit ist, sie zu beenden.

Sinn Féin wird in diesem Prozess bis zum Schluss bleiben.


Übersetzung: Uschi Grandel, 26. Oktober 2003