Das IRA Denkmal als Mahnmal für das Leid, das so viele erdulden mussten

Irish Times/von Jim Dee


Montag, 29. September 2003

BELFAST, Nordirland - pro-britische Unionisten werden vermutlich nie an einer Gedenkfeier der Irisch Republikanischen Armee teilnehmen. Wären sie letzten Freitag dabei gewesen, hätten vielleicht einige verstanden, in welchem Ausmass alle Seiten während des Konflikts Leid erdulden mussten.

Die Feier galt der Einführung eines neuen Wandgemäldes, das den Mitgliedern von IRA und Sinn Fein aus der Nord-Belfaster IRA-Bastion Ardoyne gewidmet ist, die während des Konflikts ermordet wurden.

Als die Namen der Toten laut verlesen wurden, hatte der ehemalige IRA Mann Martin Meehan Tränen in den Augen und kämpfte mit seinen Emotionen. Später, als sich die Versammlung längst aufgelöst hatte, stand er noch da und starrte auf die jungen Gesichter der Toten auf der Wandmalerei.

"Ich habe jeden einzelnen dieser Männern und Frauen, die getötet wurden, gekannt", erzählte er dem Herald später. "Das Wandgemälde hat die Erinnerung zurückgebracht an die Opfer, die sie gebracht haben. Bei vielen Gelegenheiten hätte es mich genauso treffen können. Ich war einer der Glücklichen, die überlebt haben."

Unionistische Hardliner verteufeln Leute wie Martin Meehan als "uneinsichtigen Terroristen", der Schuld am Blutvergiessen trägt.

Meehan ist sicher uneinsichtig. Aber er sieht sich und seine ehemaligen Kameraden als Freiheitskämpfer, nicht als Terroristen. Und er sagt, der Krieg wurde durch die jahrzehntelange anti-katholische Diskriminierung durch protestantische Unionisten herbeigeführt. Diese nutzten Wahlbetrug und Beschränkung des Wahlrechts für Katholiken, um die ersten 50 Jahre seit Nordirlands Gründung ohne Opposition zu regieren.

"Wir wurden in diesen Konflikt hineingeboren. Wir haben die Situation nicht geschaffen. Das tat die britische Regierung, als sie unser Land teilte", betont Meehan.

"Keiner wollte das machen", sagte er über den Krieg, den die IRA führte. "Keiner wollte das machen. Niemand war stolz darauf. Aber es musste getan werden. Menschen wurden verletzt,und niemand ist stolz darauf, andere zu verletzen. Aber Menschen auf beiden Seiten wurden verletzt - britische Soldaten, (Polizei) und Feiwillige der IRA. Und in der Mehrzahl, Zivilisten."

Es gibt Spekulationen, dass die IRA zu einem grösseren Akt der Waffenvernichtung bereit sei, um den politischen Stillstand zu durchbrechen. Seit die Briten die Regionalregierung im Oktober letzten Jahres wegen eines angeblichen IRA Spionagerings suspendierten, bewegt sich politisch nichts.

Eine Aktion der IRA könnte den Weg für Wahlen der Regionalregierung ebnen, möglicherweise noch für November. Aber die komplette Transformation dieser polarisierten Gesellschaft benötigt mehr als politischen Fortschritt.

Viele Menschen wollen die Wahrheit wissen über die Taten der IRA und der pro-britischen loyalistischen Paramilitärs. Und sie wollen die Wahrheit über die Zusammenarbeit der britischen Armee mit Loyalisten wissen, die angebliche IRA Leute gezielt ermordeten (diese Anklage wurde von dem Londoner Polizeichef John Stevens in seinem hochkarätigen Bericht im letzten April erhoben).

Zunehmend wird diskutiert, ob ein formaler Prozess zur Wahrheitsfindung und Versöhnung aufgesetzt werden sollte, eventuell entlang der Leitlinien, die das Post-Apartheid-Südafrika in den 90er Jahren aufgesetzt hatte.

Aber einen echten Heilungsprozess der Gesellschaft wird es nicht geben, solange unionistische Hardliner nicht akzeptieren, dass es keine Unterschiede im Leid gibt, egal ob es Freunde und Verwandte getöteter IRA-Mitglieder betrifft oder Freunde und Verwandte getöteter Protestanten, Polizisten und Soldaten.

In dieser tief gespaltenen Gesellschaft scheint diese Einsicht Lichtjahre entfernt.

Aber auf der anderen Seite hätten nur wenige vor zehn Jahren inmitten des Blutvergiessens vorausgesagt, dass das folgende Jahrzehnt einen Waffenstillstand der IRA in drei Vierteln der Zeit und einen bahnbrechenden Friedensprozess seit mehr als der Hälfte dieses Jahrzehnts erleben würde.

Übersetzung: Uschi Grandel, 19.10.2003