Analyse: Fatale Besessenheit

Von Gerry Kelly MLA (für den Observer)

31. Januar, 2003

Während des vergangenen Jahres stand die IRA im Zentrum der Aufmerksamkeit. Verdächtigungen hinsichtlich IRA-Aktivitäten ließ man tröpfchenweise an die Medien durchsickern. Gewöhnlich kamen diese "Informationen", wie vorherzusehen war, von den sog. Sicherheitskräften.

Zur Aufforderung an die IRA zur einseitigen Waffenabgabe kommt jetzt die Forderung, sie möge sich auflösen und verschwinden. Wenn es nach den unionistischen Parteien geht, ist die IRA das einzige Hindernis für weiteren Fortschritt und der Grund, warum die Unionisten in der nordirischen Regierung nicht mitarbeiten werden.

Dies ist weder ungewöhnlich noch verwunderlich, denn es ist typisch für die Art und Weise, wie der innere Kern des britischen Sicherheitsapparats von Anfang an den gesamten Friedensprozess behandelt hat.

Was jedoch jetzt anders ist, ist der Hintergrund. Hínter all den Verdächtigungen hinsichtlich IRA-Aktivitäten, den inszenierten Durchsuchungen in Stormont und anderswo, den gezielten Äußerungen von Seiten der Special Branch und verschiedener britischer Geheimdienststellen stand eine bösartige antikatholische Kampagne. Sie wurde in erster Linie von der Ulster Defence Association geführt, wenn auch die ganze Zeit über alle anderen unionistischen Paramilitärs ebenfalls darin verwickelt waren.

Menschen wurden ermordet. Es gab Hunderte von Bombenattacken und Feuerüberfällen, zahllose katholische Häuser wurden zerstört. Trotzdem blieb die Aufmerksamkeit des militärischen Establishments ausschließlich auf die IRA gerichtet - auf eine IRA, die ihren Waffenstillstand seit fünf Jahren einhält; eine IRA, die für den Friedensprozess keinerlei Gefahr darstellt und dies auch öffentlich gesagt hat.

Seit einer Generation haben britische Geheimdienststellen Agenten in Schlüsselpositionen innerhalb der Kommandostrukturen der UDA. Es ist belegt, dass Brian Nelson, William Stobie, Ken Barret und Tommy Lyttle alle am Mord an Pat Finucane beteiligt waren. Brian Nelson arbeitete für den MI5, die anderen drei für die Special Branch.

Aber dies geht noch viel tiefer. Wir stoßen auf den Kern britischer Politik in Irland. Es waren die Briten, die die Force Research Unit aufstellten. Die FRU, eine in einer Grauzone operierende Einheit der britischen Armee, war zuständig für die Agenten in der UDA. Brian Nelson war einer ihrer Leute.

Unter Anweisung der FRU war er nicht nur in die Ermordung von Pat Finucane verwickelt, er versorgte auch die UDA, die Ulster Volunteer Force und die Ulster Resistance (eine Organisation, die von Ian Paisley mitgegründet wurde) mit südafrikanischen Waffen. FRU und Brian Nelson waren die Hauptakteure in der Kampagne, in der die UDA stellvertretend für die britischen Dienste mordete, da deren Möglichkeiten dazu nach dem öffentlichen Aufschrei über die Shoot-to-Kill-Politik in Nordarmagh Anfang der 80er Jahre begrenzt waren.

Die britischen Behörden waren sich über diese Aktivitäten voll im Klaren und schätzten die Arbeit der FRU, währenddessen die UDA ein Werkzeug des britischen Militärapparats in Irland war. Sie bleibt es weiterhin, und ist immer noch auf höchster Ebene von der Special Branch der PSNI (so heißt die nordirische Polizei jetzt, d. Verf.) und vom Geheimdienst der Armee infiltriert.

Es ist genau diese UDA, die Katholiken tötet, mit Drogen handelt, für Gewalt und Verbrechen verantwortlich ist. Daraus können wir nur zwei Schlüsse ziehen: Entweder die Leute, die die Agenten führen, übersehen deren Aktivitäten absichtlich und schützen so die Mörder, oder sie selbst haben sie dazu angeleitet. Ich glaube kaum, dass irgendjemand behauptet, sie wüssten nicht, was vorgeht.

Erst als die UDA zu implodieren drohte, wurde man aktiv. Dieses Reaktionsmuster konnte man schon früher beobachten, als die Fehde zwischen UDA und UVF ausbrach. Viele Nationalisten haben den Eindruck, dass die UDA freie Hand hat, wenn es darum geht Katholiken anzugreifen, aber wenn sie aufeinander losgehen, legt die Polizei andere Standards an. Es gab keine Spezialeinheiten gegen die nächtlichen Angriffe auf katholische Häuser. Es gab keine Spezialeinheiten, um an sektiererischen Morden in Nordbelfast und Südantrim Beteiligte zu verhaften. Es gab auch keine Spezialeinheiten um die Werkstätten, in denen Rohrbomben gefertigt werden, zu finden.

Die Logik des Ganzen ist ganz klar. Die FRU existiert weiterhin unter einem anderen Namen: der Joint Services Group. Ihre Agenten arbeiten immer noch mit den uionistischen Paramilitärs. Der militärische Geheimdienst der Briten kontrolliert, was passiert. Fakt ist, dass die securocrats (der Sicherheitsapparat, d. Verf.), von denen dies alles ausgeht, sich immer noch im Krieg befinden. Sie sind weiterhin von der Idee besessen, die IRA zu besiegen. Das ist ihre Einstellung zum Friedensprozess.

Deshalb werden wir mit Statements, mit anonymen Quellen, mit gezielten Artikeln bearbeitet. Deshalb richtet sich die ganze Aufmerksamkeit auf die IRA, während zur gleichen Zeit die Loyalisten Menschen töten. Deshalb hat ein leitender loyalistscher Politiker der PUP kürzlich gesagt, dass das Thema der loyalistischen Waffenabgabe seitens der britischen Regierung bei ihm niemals auch nur angesprochen wurde.

Während all dies geschah, konnten wir beobachten, wie die IRA mehrmals Schritte unternahm, um Vertrauen in den Friedensprozess zu schaffen. Zweimal machten sie Waffen unbrauchbar, was von der unabhängigen internationalen Kommission für die Entwaffnung bestätigt wurde. In zahlreichen Erklärungen bekundete sie ihre Unterstützung für den Friedensprozess.

Doch noch immer weigert sich die britische Regierung, einen Zeitplan für die Demilitarisierung, wie sie ihn im Karfreitagsabkommen versprochen hat, zu veröffentlichen, Tatsächlich hat in einigen Gegenden das britische Militär seine Präsenz verstärkt.

Schließlich liegt die größte Heuchelei in den jeweiligen Reaktionen auf die schweigenden Waffen der IRA und die loyalistischen Waffen, die tagtäglich benutzt werden. Die britischen Geheimdienststellen schweigen über die Loyalisten, die Waffen gebrauchen, und beschimpfen die IRA, die dies nicht tut.

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Übersetzung: (sib) Irlandinitiative Heidelberg, 9. Februar 2003
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