Irish Republican News and Information, 29. Januar 2003, http://irlnet.com/rmlist/

Analyse: Sinn Feins Fokus liegt auf der Umsetzung des Karfreitagsabkommens

Von Mitchel McLaughlin MLA

Zeitungen, sowohl hier als in Grossbritannien, waren letzte Woche voll von Meldungen über bahnbrechende Zugeständnisse der IRA. Die Meldungen verursachten aufgeregte Diskussionen. Aber sie sind sinnlos. Sie geben nicht den Stand der Diskussion wieder - was zeigt, dass mit der Plazierung dieser Meldungen ganz offensichtlich andere Ziele verfolgt werden.

Der gesamt Fokus von Sinn Fein liegt auf der vollständigen und gewissenhaften Umsetzung des Karfreitagsabkommens. Es gibt so viele Punkte des Abkommens, die noch umgesetzt werden müssen. Tony Blair hat in seiner Rede in Belfast (im Oktober 2002, nach der Suspendierung der Regionalregierung) zugegeben, dass die britische Regierung ihren Verpflichtungen aus dem Abkommen noch nicht nachgekommen sei. Dies gilt für Demilitarisierung, Polizeireform, Menschenrechte, Reform der Strafgesetzgebung und andere Aufgaben. All diese Aufgaben müssen gelöst werden. Es geht daher nicht um eine zentrale Frage, so wie es in den Medien dargestellt wird.

Tony Blairs Rede wurde in weiten Kreisen als kompromisslose Aufforderung an die IRA interpretiert, sich aufzulösen. Wenn man die Rede genauer betrachtet, hat er diese Forderung nicht gestellt.

Er sprach über abschliessende Aktionen und darüber, dass es Zeit sei, mit dem Schneckentempo Schluss zu machen , in dem die Verhandlungen in den letzten Jahren vorankrochen. Sinn Fein stimmt dieser Auffassung zu. Aber dies gilt für ihn in demselben Maß, indem es für andere gültig ist. Das hat das Eingeständnis Tony Blairs, die britische Regierung sei ihrer Verantwortung aus dem Abkommen nicht gerecht geworden, gezeigt. Sinn Fein möchte ebenfalls abschliessende Aktionen sehen, und zwar in den Bereichen Demilitarisierung, Polizeireform, Strafrechtsreform, Menschenrechte und den anderen Bereichen, für die die britische Regierung verantwortlich ist. Sinn Fein ist bereit, in Verhandlungen darüber einzutreten, wie alle diese Aufgaben abgeschlossen werden können.

Der ausschliessliche Fokus auf die IRA ist ungesund für den Prozess. Er erlaubt denjenigen, die die Umsetzung des Abkommens nicht wollen, die Verantwortung für die zentrale Aufgabe von sich wegzuschieben, nämlich einen Mechanismus zu finden, alle Waffen aus der irischen Politik zu entfernen. Es geht um alle Waffen. Tatsache ist, dass die RUC oder PSNI (umbenannte aber nicht reformierte paramilitärische Polizei im Norden Irlands) nach wie vor die grösste waffentragende Gruppe ist, unionistische paramilitärischen Waffen werden täglich in grossen Umfang eingesetzt. Ausserdem stellt sich die ganze Frage der Demilitarisierung, in der es um britische Waffen geht.

Mit all dem müssen wir uns auseinandersetzen. Nur im Kontext funktionierender politischer Arbeit, aktiver parlamentarischer Institutionen und gesamtirischen Körperschaften ergibt sich für uns Politiker die Möglichkeit, eine Lösung für diese Fragen zu finden. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Ziel des politischen Prozesses in eine Vorbedingung für den Beginn des Prozesses umgemünzt wird. Nur durch den praktischen Beweis, dass Politik funktioniert, werden wir alle bewaffneten Gruppierungen überzeugen, dass sie auf Waffen verzichten.

Die jüngste Krise wurde in weiten Kreisen monatelang vorhergesagt. Sie wurde als Ergebnis der unionistischen Bestrebungen gewertet, rechtzeitig vor den Wahlen eine Koalition mit Sinn Fein zu verlassen. Letztendlich war die Ursache der Krise jedoch die Razzia der PSNI in den Bürogebäuden, die Sinn Fein im Regionalparlament Stormont belegt. Die Razzia passte gut zur Agenda der Ulster Unionisten (UUP), eine Situation zu schaffen, in der die Institutionen kollabierten und den (irischen) Republikanern die Schuld dafür in die Schuhe geschoben werden konnte. Elemente in der PSNI waren nur zu gerne bereit, dazu beizutragen, diese Situation herbeizuführen.

Die UUP hat ihre Rückzugsstrategie am 21. September 2002 erläutert. Sie wäre stufenweise bis zum 18. Januar 2003 umgesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Rückzug komplett sein.

Unabhängig von den Ereignissen in Stormont und allen möglichen Beschuldigungen gegen Republikaner hätte die UUP sowieso die Regionalregierung am letzten Samstag zu Fall gebracht. Sie nutzten den Wirbel um die Razzia - eine herbeigeführte Situation - für eine Beschleunigung ihres bereits verkündeten Vorgehens.

Das beunruhigt mich. Es macht keinen politischen Sinn, die politischen Institutionen, die aus dem Karfreitagsabkommen entstanden sind, anzugreifen. Es macht keinen politischen Sinn, das einzige Forum, in dem wir alle eine gemeinsame Beziehung aufbauen können, zu Fall zu bringen.

Wer war verantwortlich für die razzien in den Parlamentsräumen von Stormont? War es die britische Regierung oder, wie manche glauben, eine Verschwörung innerhalb der PSNI? Wir waren immer schon der Auffassung, dass die Special Branch die RUC kontrolliert und (der britische Geheimdienst) MI5 die Special Branch. Wer nun kontrolliert den MI5? Wird die Kontrolle direkt von Teilen der britischen Regierung ausgeübt? Die Zeit wird dies an den Tag bringen. Im Moment ist der politische Schaden angerichtet.

Es gibt gewisse Bedenken, dass die britische Regierung versuchen könnte, die Wahlen (die für Mai anstehen) zu umgehen. Das wäre meiner Meinung nach ein grosser Fehler. Es wäre ein Fehler, den demokratischen Prozess im vorgegebenen Zeitrahmen zu verhindern, nur weil die briitsche Regierung und einige Parteien Angst vor dem Ergebnis haben. Sinn Fein will diese Wahlen. Die britische Regierung muss das Verlangen der Menschen hier nach Veränderung verstehen.

Würde die britische Regierung eine Wahl über den vorgeschriebenen Zeitpunkt hinaus verschieben, nur weil sie fürchten, die Tories würden gewinnen? Das wäre nicht möglich. Dasselbe muss hier gelten: wenn Wahlen anstehen, dann sollten wir Wahlen abhalten.

Sinn Fein ist im Aufbruch. Wir sind nun die stärkste Partei, die die nationalistisch gesinnten Menschen in den sechs Grafschaften repräsentiert. Ich gehe davon aus, dass dieser Trend anhält. Diese Aufbruchstimmung ist nicht auf den Norden (Irlands) beschränkt, sie ist in ganz Irland sichtbar. Sie wirft Fragen für die anderen Parteien auf. Und das in einem solchen Umfang, dass wir regelmässig Reden über einen möglichen Zusammenschluss der SDLP und Fianna Fail hören, die irische Labour Party ermöglicht neuerdings Bewohnern aus dem Norden Irlands die Mitgliedschaft und sogar Fine Gael versucht, sich als republikanische Partei dazustellen. All diese Veränderungen sind eine reaktion auf die zunehmende Attraktivität von Sinn Fein als die Partei der Wahl für mehr und mehr Menschen.

Wir verfolgen unsere Politik schon lange. Wir sind eine gesamtirische Partei. Wir sind die einzige Partei Irlands, die im ganzen Land vertreten ist. Wir sind ganz klar eine republikanische Labour Party. Darauf sind wir stolz. Unser Ziel ist die Wiedervereinigung Irlands. Die anderen Parteien sehen mittlerweile die Attraktivität dieses Standpunkts. Je mehr Menschen Sinn Fein wählen, desto öfter werden andere versuchen, sich den republikanischen Mantel umzuhängen. Und das ist gut so, wenn dies das Vorzeichen eines neuen, vereinigten Irlands ist.

Die Wiedervereinigung Irlands ist nun das Ziel. Es wird eine Wiedervereinigung geben und obwohl Parteien das wann und das wie aus verschiedensten Blickwinkeln betrachten, gibt es eine allgemeine Akzeptanz dieser Tatsache. Auch von Unionisten. Die Parteien reagieren darauf - manche positiv, einige halbherzig, Unionisten werden sich auf eine sehr nagative Art und Weise damit auseinandersetzen, aber alle werden sich damit auseinandersetzen. Es ist dasselbe Schema, das auch zu Beginn des Friedensprozesses zu Tage trat. Niemand konnte sich der Dynamik der Realpolitik entziehen, die aus dem Friedensprozess entstand. Und genausowenig wird man sich der Dynamik der Realpolitik entziehen können, die daraus entsteht, dass die Wiedervereinigung bereits Gestalt annimmt.

Das ist eine verwegene Vorhersage, die einige zweifelsohne skeptisch aufnehmen werden. Aber - wie gesagt - die gleichen Skeptiker bezweifelten, dass die Hume-Adams Gespräche etwas bewegen, die ein Jahrzehnt später zum Karfreitagsabkommen führten. Die Zeit wird zeigen, wie weit die Analogie geht.

Übersetzung: Uschi Grandel, 31. Januar 2003, Anmerkungen in Klammern dienen der Erläuterung