Irish Republican News and Information, 18 October 2002,
http://irlnet.com/rmlist/
Analyse:
Irische Republikaner sind zu Kompromissen,
aber nicht zur Kapitulation bereit
von JIM GIBNEY
Die Zeit ist reif für die britische Regierung, sich ihrer
Verantwortung zu stellen. Die Zeit ist reif für die britische Regierung,
sich bei den Iren , oder bei denen, die auf dieser Insel Irland leben - je nach
Sichtweise - für das Elend zu entschuldigen, das sie unserer Nation zugefügt
haben, seit ihre Vorfahren im 11. Jahrhundert das erste Mal den Fuss auf irischen
Boden setzten.
Die Zeit ist reif für die britische Regierung, ein Datum und einen Zeitpunkt
festzusetzen, an dem sie Irland endlich im Guten verlassen. Vielleicht nicht gerade
um Mitternacht, ich würde doch zu gerne in ihre Augen sehen, wenn sie das Land verlassen.
Die Zeit ist reif für die britische Regierung, ihre Schuld zu begleichen und die Teilung
Irlands rückgängig zu machen.
Die Zeit ist reif für die britische Regierung, die Wahrheit über ihren schmutzigen
Krieg in Irland zu erzählen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Die Zeit ist reif für die britische Regierung, die Geheimdienstinformationen
offenzulegen, die Loyalisten in den letzten 30 Jahren zur Verfügung hatten, um
Hunderte von Katholiken und irischen Nationalisten zu ermorden.
Die Zeit ist reif für die britische Regierung, die demokratischen Normen zu akzeptieren,
die sonstwo in der demokratischen Welt zum Standard gehören.
Die Zeit ist reif für den britischen Nordirlandminister John Reid, von seinem hohen Ross
herunterzusteigen und sich in einem Lexikon die wirkliche Bedeutung von "Demokratie"
und "Moral" anzusehen, bevor er die demokratischen Prinzipien der Republikaner
in Zweifel zieht.
Die britische Regierung kann nicht zwei Pferde gleichzeitig reiten: das Pferd der
"an Bedingungen geknüpften Demokratie" und das Pferd der "militärischen Besatzung",
auch wenn beide aus einem Stall sind und in dieselbe Richtung laufen.
Welche Chance gibt es wohl, lieber Leser, dass Tony Blairs politische und militärische
Berater solch eine Änderung ihrer Politik befürworten?
Die Zeit ist reif für die politische Führung der Unionisten, sich ihrer Verantwortung
zu stellen. Die Zeit ist reif für die politische Führung der Unionisten,
sich beim Rest von uns dafür zu entschuldigen, dass sie seit dem 17. Jahrhundert
Verwalter der britischen Besatzung und Unterdrückung waren.
Die Zeit ist reif für die politische Führung der Unionisten, sich für die
jahrhundertelange Aufrechterhaltung und Förderung von religiösem Rassismus zu fördern.
Die Zeit ist reif für die politische Führung der Unionisten, sich für die Teilung
Irlands durch ihre Vorgänger zu entschuldigen.
Die Zeit ist reif für diese Generation der unionistischen Führung,
die Jahre unionistischer Ein-Parteienherrschaft in den sechs Grafschaften
zuzugeben und sich zu entschuldigen. Zuzugeben und sich dafür zu entschuldigen,
einen Apartheidsstaat
aufgebaut zu haben, in dem systematisch und skrupellos Katholiken und Nationalisten
diskriminiert und in ihrem eigenen Land als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden.
Die Zeit ist reif für die politische Führung der Unionisten, Verantwortung zu übernehmen
und sich zu entschuldigen für diejenigen Unionisten in den 'A', 'B' und 'C'-
Sondereinheiten, in der RUC, der PSNI, der UDR, der RIR, den
königlichen Streitkräften, den Oranier Orden, den unionistischen Paramilitärs,
im Gerichtsapparat, im Gefängnisdienst, im öffentlichen Dienst, bei
Harland und Wolff, bei Mackies, Shorts Brothers und vielen, vielen anderen
Institutionen, die Katholiken und Nationalisten misshandelt und ermordet haben.
Die Führung der Unionisten kann nicht zwei Pferde gleichzeitig reiten: das Pferd der
"Scheinheiligkeit" und das Pferd der "doppelten Standards".
Welche Chance gibt es wohl, lieber Leser, dass David Trimbles und Ian Paisleys
politische und militärische Berater eine solche Änderung ihrer Politik
befürworten ?
Wie jeder andere kennen wir die Realität, das Potential und die Grenzen des
Friedensprozesses. Haben wir Aussichten, die oben skizzierten Änderungen zu erreichen?
Ich habe grosse Zweifel.
Die Zeit ist reif für jeden in Downing Street (britische Regierung), Glengall Street
(Unionisten, UUP),
im Weissen Haus und in Leinster House (irische Regierung), sich klar über den
Friedensprozess zu werden, sich klar darüber zu werden,
wie ein Konfliktlösungsprozess vorangeht, der Hunderte von Jahren benötigte,
um Gestalt anzunehmen.
Vielleicht sollten sie mit einer Bilanz dessen anfangen, was derzeit gesichert ist.
Zweimaliger IRA-Waffenstillstand, zwei Initiativen der IRA bezüglich ihrer Waffen,
eine Entschuldigung der IRA aus freien Stücken.
Von Sinn Fein haben sie die Teilnahme an nordirischem Parlament und der Regierung,
sowie die Zusage, die Wiedervereinigung Irlands mit "ausschliesslich demokratischen
und friedlichen Mitteln" zu verfolgen.
Trotz aller Provokationen der Briten und der Unionisten bietet die nicht
besiegte IRA weiterhin eine Unterstützung des Friedensprozesses.
Die IRA bietet eine disziplinierte, einige Armee, die den Friedensprozess
und die Führung von Sinn Fein unterstützt.
Die IRA bietet Waffen, die schweigen, die sich in sicheren Lagern unter disziplinierter
Kontrolle befinden.
Die Sinn Fein Führung bietet die Integration einer starken Gemeinschaft, die fast
30 Jahre lang den bewaffneten Kampf der IRA durch dick und dünn unterstützt hat und
nun friedliche Mittel befürwortet,
auf einer gesamtirischen Basis in das politische System.
Aus Sicht Sinn Feins ist unter den richtigen Bedingungen realistisch,
das Ende der 200-jährigen republikanischen bewaffneten Verschwörung zu erreichen.
Nicht realistisch ist die Forderung nach Auflösung der IRA.
Republikaner sind zu Kompromissen, aber nicht zur Kapitulation bereit
Übersetzung: Uschi Grandel, 20. Oktober 2002, Anmerkungen in Klammern dienen
der Erläuterung