Unser Kommentar zur derzeit herbeigeredeten Krise des Friedensprozesses:

von Uschi Grandel

Als sich in den vergangenen Wochen die anti-republikanische konservative Presse in Irland und England mit Berichten über angebliche IRA-Aktivitäten überschlug, lag der Verdacht doch sehr nahe, dies habe mit den Wahlen in der Republik Irland am 17. Mai diesen Jahres zu tun. Trendmeldungen prognostizieren einen grossen Stimmenzuwachs für die republikanische Partei Sinn-Fein, die derzeit 1 Sitz im irischen Parlament hält und im Norden seit der Westministerwahl 2001 stärkste Partei des irisch-nationalen Lagers ist. Sinn Fein Politiker gehen von 4-12 Sitzen aus, die sie am 17. Mai gewinnen können.

In einem Gemisch aus Seifenblasen, Halbwahrheiten, Spekulationen und Unterstellungen wurden Waffenkäufe der IRA in Russland gemeldet, eine angebliche Todesliste mit Namen englischer Tories sollte die Aggressivität der IRA unterstreichen, drei Republikaner in Columbischer Haft sorgen bereits seit August letzten Jahres immer wieder für eine Geschichte über düstere Verstrickungen der IRA im lateinamerikanischen Drogendschungel, und nicht zuletzt wurde urplötzlich der Einbruch in die Polizeizentrale Castlereagh und der angebliche Diebstahl wichtiger Geheimdienstunterlagen der IRA zugeschrieben. Vergessen war dabei, dass der Polizeichef höchstpersönlich den Einbruch als "Insiderjob" bezeichnet hatte.

Bestätigte Fakten existieren hinter keiner einzigen dieser Geschichten, nicht einmal kleine Details konnten verifiziert werden.

Die Republikanische Bewegung, sowohl die IRA selbst wie auch Sinn Fein haben diese Anschuldigungen komplett zurückgewiesen. Gerry Adams sprach von einer Kampagne von "faceless Securocrats" in den Geheimdiensten, die den politischen Prozess der Konfliklösung boykottieren wollten.

Am 28.4.2002 hat nun David McKittrick, langjähriger Korrespondent des Independent, Ko-Author des Buches "Lost Lifes" über die Toten der "Troubles", der keiner republikanischen Sympatien verdächtig ist, in einem Artikel "Polizei in Nordirland sabotiert Friedensabkommen" darauf hingewiesen, dass hochrangige Polizeikreise mit ihren Aktivitäten gezielt den Friedensprozess unterminieren. Er schreibt:

"Both the Government and senior police figures in Northern Ireland are convinced that top policemen are working against the peace process, according to authoritative sources in Belfast.

They believe that a number of officers have been planting exaggerated and distorted newspaper stories with the aim of disrupting the process."

Und so stehen wir vor der bizarren Situation, dass von Kreisen innerhalb der Polizei die IRA, die mit ihrer zweiten Waffenvernichtungsaktionen ein weiteres deutliches Bekenntnis zum Friedensprozess abgegeben hat, demonisiert wird, während die Polizei auf der anderen Seite die tägliche Gewalt der loyalistischen UDA in Nordbelfast komplett ignoriert und bisher nicht einmal einen einzigen loyalistischen Rädelsführer verhaftet hat.

Wir erinnern uns an den September 1999: noch bevor Chris Patten, Vorsitzender einer internationalen Kommission zur Reformierung der Polizei die Ergebnisse seiner Kommission veröffentlichte, hatten bereits Reformgegner innerhalb des "Northern Ireland Office" begonnen, mit gezielten Indiskretionen die Polizeireform zu unterminieren. Damals wurden Details der Reformvorschläge ausgerechnet der rechtsradikalen DUP, einer der lautstärksten Gegener des Friedensprozesses, in die Hände gespielt. Es ist kein Zufall, dass die Umsetzung der Polizeireform gerade in der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei und der Zerschlagung von Strukturen, die während der Troubles jenseits von Recht und Gesetz operierten, völlig versagte.

Es gibt fast kein prominentes Opfer loyalistischer Killerkommandos, bei dem nicht die Umstände der Ermordung auf die Zusammenarbeit der loyalistischen Killer mit staatlichen britischen Stellen hinweisen. Das tritt in der Untersuchung der Bombenanschläge auf Dublin und Monaghan 1974, die derzeit durch einen Beauftragten der irischen Regierung durchgeführt wird, zutage, ebenso bei der Ermordung der Rechtsanwälte Pat Finucane 1989 und Rosemarie Nelson 1999 (1 Jahr nach Unterzeichnung des Friedensabkommens!), und auch beim Tod des bisher einzigen Zeugen der Ermordung des jungen katholischen Postboten Danny McColgan im Januar diesen Jahres durch die UDA. Der Zeuge wurde nicht mehr lebend gesehen, nachdem er die Polizei aufgesucht hatte, um seine Zeugenaussage zu machen. Von der Polizei war keine Zeugenaussage aufgenommen worden.

Wenn es der britischen Regierung nicht gelingt, die Elemente in Polizei, Militär und staatlichen Behörden, die den Friedensprozess sabotieren, unter Kontrolle zu bekommen, dann ist der Friedensprozess in Nordirland in einer ernsten Krise.