Neue Zürcher Zeitung, Ressort Ausland, 20. März 2002, Nr.66
Mysteriöser Einbruch in Belfast - Geheimdienste unter Verdacht
Die nordirische Polizei hat am Dienstag zugegeben, dass bei einem
mysteriösen Einbruch im Belfaster Büro des polizeilichen Sicherheitsdienstes
vertrauliche Akten verschwunden sind. Der britische Nordirlandminister Reid
sprach von einer Verletzung der nationalen Sicherheit und kündigte eine
unabhängige Untersuchung an; die Ombudsfrau in Angelegenheiten der
nordirischen Polizei, O Loan, wird sich ebenfalls mit dem Fall beschäftigen.
Der Bürgermeister von Belfast, der Unionist Jim Rodgers, äusserte offen den
Verdacht, dass es sich bei den Tätern um einen andern Zweig der
Nachrichtendienste handelte, vermutlich um die britische Armee. "Die ganze
Sache stinkt zum Himmel", fügte er hinzu. Der Nationalistenpolitiker Alban
Maginnes, ein ehemaliger Belfaster Bürgermeister, zog einen Vergleich mit
dem Watergate-Einbruch.
Drei Männer, die teilweise mit englischem Akzent sprachen, verschafften Sich
am Sonntagabend Zugang zu den Büros der umstrittenen "Special Branch" der
nordirischen Polizei im Belfaster Aussenbezirk Castlereagh. Sie verfügten
offenbar über detaillierte Kenntnisse der stark gesicherten Räumlichkeiten.
Ein anwesender Polizeibeamter wurde überwältigt und gefesselt. Die
nordirische BBC unterstellte, bei den gestohlenen Dokumenten habe es sich um
Angaben über Polizeispitzel innerhalb paramilitärischer Organisationen
gehandelt, mithin um die brisantesten Angaben im Polizeiarchiv.
Allen diesen Spekulationen zum Trotz bleiben die Motive der Einbrecher
rätselhaft. Der polizeiliche Sicherheitsdienst ist seit langem Zielscheibe
heftiger Kritik von Seiten der nordirischen Nationalisten, die den wenig
rechenschaftspflichtigen Dienstzweig am liebsten abschaffen würden.
Polizeikommandant Flanagan wird, wie schon seit längerem bekannt, Ende März
von seinem Amt zurücktreten.