Irish Republican News and Information, 22-23 January, 2002,
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Filmbesprechung: Bloody Sunday - Blutsonntag
von JIM GIBNEY
Regie: Paul Greengrass
Premiere: UTV/TV3
Sonntag, 20 Januar, 21.30 Uhr
Als ich Paul Greengrass' Film 'Bloody Sunday' letzten Sonntag im Fernsehen gesehen habe,
wurde ich langsam 30 Jahre zurückversetzt in eine Periode der Auseinandersetzung, die die
Zeit und die Jahre fast aus meinem Gedächtnis verdrängt hätten.
Die Regie hat die damalige Zeit mit Liebe zum Detail zurückgeholt. Sie war in jeder Beziehung
da: die Kleidung der Schauspieler, ihre Frisuren, die Autos; die Armut, erkennbar an der
dürftigen Einrichtung der Wohnungen; die ungeheuere Energie der Zeit, erkennbar in der
Aktivität der Jugend, die die Strasse beherrschte; die Aufgeregtheit der Menschen und ihre
Mitteilungsfreude; die unentbehrlichen Ingredienzen, die nie fehlen, wenn die Revolution die
Herzen der Unterdrückten erfasst hat.
Der Fokus liegt auf den Ereignissen, die dazu geführt haben, dass die Britische Armee in
Derry 14 Teilnehmer einer Bürgerechtsdemonstration ermordete und 13 weitere verletzte,
als diese an einem schönen Sonntag Nachmittag Ende Januar 1972 friedlich ihre eigenen
Strassen entlangliefen und ihr eigenes Stadtzentrum betreten wollten.
Im Film werden viele Schichten der politischen und menschlichen Spannung aufgezeigt,
auf der Seite der Demonstranten wie auch auf der Seite der Britischen Armee, als sich alle
auf das für die Menschen in Derry, in Irland und Grossbritannien so katastrophale Ende
zubewegen.
Auf der Seite der Demonstranten existiert ein sehr subtiler Kontrast zwischen Ivan Cooper,
einem Protestanten aus Strabane, einer der sehr populären, aber vorsichtigen Bürgerrechtler,
eines Mitglieds der SDLP, der von Jimmy Nesbit gespielt wird, und einem jugendlichen Schauspieler,
der Gerard Donaghy spielt, der 17 Jahre alt war, als die Paras ihn ermordeten.
Gerard ist den ganzen Film hindurch von Jugendlichen seines Alters und seiner Art umgeben.
Mit ihren langen Haaren, die im Wind flattern, sind sie in den Strassen der Bogside present,
mit einer ungezügelten Energie springt ihr Enthusiasmus auf alle über, denen sie begegnen.
Sie sind bereit, die Welt aus den Angeln zu heben und zu formen. Aber in den 24 Stunden vor
dem tödlichen Massaker transformiert die Welt sich ausserhalb ihrer kleinen Wohnungen in
Derry und ihrer grossen Ideen in einer gefährlicheren Art und Weise, als sie sich je
vorstellen konnten, in einer unbarmherzigen Weise, die alle Beleidigungen, die sie je
britischen Soldaten ins Gesicht geschrien hatten, in den Schatten stellt.
Auf der anderen Seite wird die Jugend selten Opfer von Furcht. Es ist die Jugend mit ihrer
unbeschwerten 'was schert es mich' Einstellung zum Leben, die Dinge forwärtstreibt.
Vielleicht fällen sie nicht die grossen politischen Entscheidungen, aber in Konfliktsituationen
wie in Derry vor 30 Jahren und in den ganzen 6 counties (Nordirland) seit 1969 waren es oft
junge Menschen, deren Einsatz ausschlaggebend war.
Diejenigen unter uns, die alt genug sind, sich zu erinnern oder die Teil des Konflikts
in den frühen 70ern waren, zwingt der Film zur Frage 'Wie haben wir das alles überstanden?'
Die Macht der britischen Armee ist offensichtlich. Die Situation erinnert mich an die Zeit
der permanenten Ausgangssperre auf der Falls Road im Juli 1970, an die Internierungen im
August 1971 und die 'Operation Motorman' im Juli des folgenden Jahres, nur um einige wenige
Beispiele des Einsatzes der britischen Militärmacht gegen eine praktisch schutzlose
Zivilbevölkerung zu nennen.
Während der 24 Stunden vor dem Massaker wurde das Stadtzentrum von Derry von tausenden
Soldaten hermetisch abgeriegelt. Man bekommt das Gefühl zu ersticken, während der Film
zwischen dem lokalen Hauptquartier der britischen Armee und den Aktionen der Brits
hin- und herrast: die Befehle, Strassen abzuriegeln, werden in der einen Minute erteilt
und zeitgleich Bürgerrecht ausser Kraft gesetzt. Kriegsrecht herrscht und ein Ring aus
Stahl nimmt der Bevölkerung die Luft zum Atmen.
Jimmy Nesbit's Ivan Cooper versucht, aus dieser Zwangsjacke auszubrechen und für die
bedrohte Bevölkerung einige Zusicherungen zu erhalten. Wenn immer er auf die britische Armee
trifft, stellt er sich als Abgeordneter für Derry vor. Aber er wird nicht mit Respekt
behandelt, keinen Millimeter des stählernen Kreises wird für ihn preisgegeben. Er bewegt sich
mit atemberaubender Geschwindigkeit, atemlos, winkend, mit Instruktionen für die
Organisatoren der Bürgerrechtsdemonstration, die ganze Zeit über mit Anweisungen an seine
Getreuen 'holt die Ordner'. Sein Ziel war, die Jugend von der Barrikade der britischen Armee
in Williams Street fernzuhalten.
Der Film zeigt, wie lokale Kommandeure der britischen Armee und der (nordirischen Polizei)
RUC übergangen werden, als die Spezialtruppen, die Land Forces unter General Ford und die
Eliteeinheit 1 Para einrücken. Es herrscht allgemeines Erstaunen, warum Ford und die Paras
anwesend sind. Es wird klar, sie befinden sich in einem Spezialeinsatz, der nie spezifiziert
wurde. Der Dialog zwischen Ford, dem Kommandeur der Paras, Wilford, und dem lokalen Brigadier
MacLellan, hat einen Unterton, der auf einen klaren Plan hindeutet.
Heute kennnen wir ihn.
Icch gehe zu den Bloody Sunday Demonstrationen seit 1989, dem Jahr nach meiner Entlassung aus
den H-Blocks. Vor ein paar Jahren bekam ich zum ersten Mal ein Gefühl für die Ereignisse des
damaligen Tages. Ich nahm zusammen mit anderen an der von Don Mullan geführten Tour zu den
Orten teil, an denen Menschen erschossen oder verwundet wurden. Mich packte das Entsetzen, als
er erzählte, mit welcher Selbstverständlichkeit Menschen erschossen wurden. Es war furchtbar,
in Glenfadda Park an der stelle zu stehen, an der zwei britische Soldaten über zwei Männern
standen, die mit Gesicht nach unten am Boden lagen und sie erschossen.
Der Film hat mich sogar noch mehr erschüttert, als dieses Ereignis. Für mich waren die
erschütterndsten Szenen die drei folgenden: die Szene, als die Schüsse fielen, die
Angehörigen, die sich im Krankenhaus Altnagelvin einfinden, und in Schmerz und Verzweiflung
um ihre Angehörigen weinen, und das Bild von Paddy Doherty, der sich auf dem Bürgersteig
am Boden kriecht, nachdem er angeschossen wurde. Ich kenne seinen Sohn Tony. Er hat
so lange unaufhaltsam für die Wahrheit über den Tod seines Vaters und der anderen Opfer
gekämpft und ich stelle mir vor, wie er und seine Familie sich fühlen, wenn sie diese
schreckliche Szene sehen.
Für viele Menschen war Bloody Sunday so etwas wie die Wegscheide ihres Lebens. Sie waren
niemehr danach dieselben Menschen. Wir werden nie wissen, wie sich Dinge entwickelt hätten,
wäre dieser Tag anders verlaufen. Was wir wissen, ist, dass der bewaffnete Konflikt in
unglaubliche Höhen eskaliert ist und weitere 23 Jahre andauerte, mit katastrophalen Folgen
für tausende Menschen.
Einige meiner engsten Freunde waren betroffen. Se sahen den Film bei mir zu Hause an.
Einer von ihnen verlor seine 18-monate alte Schwester, die von der IRA aus Versehen getötet
wurde, als diese 1971 die britische Armee attackierte. Er war damals noch nicht geboren.
Ein anderer verlor beide Beine bei einem loyalistischen Bombenanschlag in der Silvesternacht
1975. Er war damals 16 Jahre alt. Ein dritter verbrachte mehr als 20 Jahre im Gefängnis.
Ich könnte einige Punkte kritisieren, die fehlen, aber ich tue es nicht. Dieser Film wird den
Menschen in Derry helfen, die Wahrheit über die fürchterlichen Ereignisse ans Tageslicht zu
bringen, und das ist die Grundlage, auf der der Film beurteilt werden sollte.
Nächste Woche wird ein zweiter Film zu Bloody Sunday Premiere haben, der Film 'Sunday' und ich
bin auf ihn gespannt.