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Nordirlands Polizeichef in Nöten

Bericht rügt Missachtung von Hinweisen auf Omagh-Anschlag

Von Peter Nonnenmacher (London)

Monatelang beteuerte Nordirlands Polizeipräsident, es habe keine ernsthaften Warnungen vor dem Bombenattentat von Omagh gegeben, bei dem im Sommer 1998 in der kleinen nordirischen Stadt 29 Menschen getötet und über 300 verletzt worden waren. Nun muss sich Sir Ronnie Flanagan sagen lassen, dass die Polizei Warnungen ignoriert, die folgende Morduntersuchung gründlich verpfuscht und danach ihr Versagen geheim zu halten versucht habe.

Schon sieht sich der Polizeipräsident, der nächstes Jahr zurücktreten wollte, zum früheren Abgang gedrängt. Die Angehörigen der Omagh-Opfer können "kaum glauben", was sie da hören müssen. "Ich bin verdammt wütend heute", verschafft sich Stanley McCombe Luft, dessen Frau bei dem Bombenattentat ums Leben kam. "Es ist doch lächerlich, dass Leute leiden mussten, weil die Polizei Fehler machte". Viktor Barker, der seinen zwölfjährigen Sohn James verlor, will "den Sicherheitskräften nicht den Tod meines Sohnes zur Last legen; aber es widert mich an, dass sie nichts unternommen haben".

Auf die Anklagebank gesetzt sieht sich Flanagan von einer Anwältin und Universitätsdozentin, die seit einem Jahr als Ombudsfrau für Polizei-Angelegenheiten in Nordirland amtiert. Nuala O'Loan, die früher als Verbraucher-Vertreterin Großkonzerne das Fürchten lehrte, zeigt auch im Umgang mit der Polizei keinen falschen Respekt. In einem Bericht zu Omagh, der diese Woche veröffentlicht werden soll, im wesentlichen aber schon vorab bekannt wurde, beschuldigt sie Flanagans Truppe schwerer Verfehlungen und inkompetenter Verfahrensweisen.

Dass die Polizei das Attentat vom 15. August 1998 hätte verhindern können, sagt O'Loans Bericht zwar so nicht, aber er versichert, dass der Royal Ulster Constabulary (RUC) mindestens zwei konkrete Hinweise auf den Anschlag vorgelegen hätten, die nicht weiter verfolgt worden sien. Einer der Hinweise, ein 15-Minuten-Anruf bei einem Detektiv in Omagh, mit Informationen über Tag und Ort des Anschlags, soll elf Tage vor dem 15. August eingegangen sein; der andere stammte von einem Doppelagenten, der sogar den Bombenbastler beim Namen nannte.

Auf keinen dieser Hinweise aber reagierte die RUC. Chaos auf der Führungsetage, unerfahrenes Personal, mangelhafte Kommunikation mit der Polizei der irischen Republik und "hunderte von Fehlern" hätten, meint O'Loans Report, die Aufklärung behindert. Und dreieinhalb Jahre nach dem Anschlag ist in Nordirland kein Mensch für die Tat vor Gericht gestellt worden.

Wütend wehrte sich am Freitag die nordirische Polizei-Gewerkschaft gegen die Anschuldigungen: Der Bericht der Ombudsfrau sei selbst voller Fehler und enthalte keinerlei "echte Beweise". O'Loan missbrauche ihr Amt, das Vertrauen in sie beginne "bedenklich zu bröckeln". Der Polizeipräsident dagegen schweigt, "um den Report genau zu studieren". Immerhin hatte Sir Ronnie in jüngster Zeit mehrfach empört versichert, Spekulationen über Vorab-Hinweise auf die Bombe seien "Quatsch", und "eine unverschämte Unwahrheit". Nun hält ihm der Bericht vor, er habe seit 18 Monaten von diesen Hinweisen gewusst und entsprechende Dokumente unter Verschluss gehalten.

Mit ihrem Bericht jedenfalls hat die (katholische) Ombudsfrau Polizisten und protestantische Politiker der Provinz in Rage versetzt: O'Loan, klagen sie, wolle nur die Ordnungskräfte anschwärzen, um sich des Beifalls ihrer Klientel zu versichern. Sie dagegen sieht sich erst am Anfang eines Feldzugs für Aufklärung ungeklärter Polizei-Aktionen. Jetzt will sie die Fälle der ermordeten Rechtsanwälte Pat Finucane und Rosemary Nelson ausleuchten, in die Polizisten verwickelt sein sollen, und die von der RUC nie aufgeklärt wurden.

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Dokument erstellt am 09.12.2001 um 21:27:45 Uhr
Erscheinungsdatum 10.12.2001