Absender: Dr. Ludger Volmer
Staatsminister im Auswärtigen Amt
Datum: 12. April 2001
An den
Präsidenten des Deutschen Bundestages
Herrn Wolfgang Thierse
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Betr.: Kleine Anfrage der Abgeordneten Heidi Lippmann u.a. und der Fraktion der PDS; BT-Drs. Nr. 14/5648
Stationierung von zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilten Soldaten des britischen Scot Guards Regiment in Deutschland
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Kleine Anfrage beantworte ich wie aus der Anlage ersichtlich.
Mit freundlichen Grüßen
Kleine
Anfrage der Abgeordneten Heidi Lippmann, Dr. Winfried Wolf, Roland Claus und
der Fraktion der PDS
BT-Drucksache
14/5648
Stationierung
von zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilter Soldaten des britischen
Scot Guards Regiment in Deutschland
Im
Jahre 1992 töteten zwei Angehörige der britischen Streitkräfte in Belfast
einen jungen Iren, obwohl sie nach einer gründlichen Durchsuchung wussten,
dass er unbewaffnet war. Ein Zivilgericht verurteilte die Soldaten zu einer
jeweils lebenslänglichen Freiheitsstrafe.
Nach einer von der britischen Armee
und einem Teil der englischen Presse inszenierten Kampagne wurden beide nach
drei Jahren aus der Haft entlassen. Am 3. November 1998 entschied der
britische Armeerat, dem der Staatssekretär im britischen
Verteidigungsministerium, John Spellar, und der Kommandeur des Parachute
Regiment, General Michael Jackson, angehören, beide Soldaten wieder in ihr
Regiment, die Scot Guards, aufzunehmen. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu
beurteilen, dass seit 1995 über 1.400 Soldaten wegen Drogenmissbrauchs aus
der britischen Armee entlassen worden sind.
Es
gibt Hinweise darauf, dass die beiden Soldaten mittlerweile in Deutschland
stationiert sein sollen.
Wir
fragen die Bundesregierung:
1.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass zwei wegen eines Tötungsdeliktes
verurteilte Soldaten bei der britischen Rheinarmee stationiert sind?
Ja, nach Kenntnis der Bundesregierung sind die Betreffenden bei der britischen Rheinarmee stationiert.
2.
Falls nicht, ist die Bundesregierung willens, dieser Frage
nachzugehen?
Siehe Antwort zu Frage 1.
3.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Stationierung der beiden
Soldaten in Deutschland – sofern sie sich bewahrheiten sollte – vor dem
Hintergrund, dass wegen derartig schwerer Straftaten verurteilte Straftäter
nicht zum Dienst in den deutschen Streitkräften zugelassen werden und die
Bundesregierung jüngst Überlegungen angestellt hat, bekannte Rechtsradikale
vom Wehrdienst auszuschließen?
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Stationierung britischer Streitkräfte in Deutschland, einschließlich der Rechte des Aufnahmestaates, sind im NATO-Truppenstatut (NTS) und im Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut (ZA/NTS) vereinbart. Danach können die zuständigen deutschen Behörden förmliche Anträge auf Entfernung einzelner Mitglieder der Streitkräfte des Entsendestaates stellen, wenn durch die weitere Anwesenheit der in Frage stehenden Person im Bundesgebiet zum gegenwärtigen Zeitpunkt die öffentliche Sicherheit oder Ordnung tatsächlich gefährdet ist. Hierfür gibt es jedoch im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Die aufgrund der deutschen Wehrgesetze für den Dienst in der Bundeswehr geltenden Maßstäbe sind für ausländische Stationierungsstreitkräfte nicht verbindlich.
4.
Ist die Bundesregierung willens, der Regierung des Vereinigten Königreiches
deutlich zu machen, dass sie weder eine bereits erfolgte noch eine künftige
Stationierung dieser Soldaten hinnehmen wird?
Die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch gegenüber Mitgliedern der Stationierungsstreitkräfte obliegt den zuständigen Landesbehörden. Im übrigen siehe Antwort zu Ziffer 3.
5.
Ist die Bundesregierung gewillt, den vorliegenden Fall zum Anlass zu
nehmen, mit den Verbündeten, die aufgrund der getroffenen Vereinbarungen
(Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, Eurokorps, D/NL-Korps usw.) Soldaten
in Deutschland stationieren dürfen, in Verhandlungen einzutreten mit dem Ziel
die betreffenden Abkommen um einen Passus zu ergänzen, der den Aufenthalt
ihrer Soldaten auf deutschem Staatsgebiet auf Personen beschränkt, die nach
deutschem Recht Wehrdienst leisten könnten, und auch das Streitkräfteaufenthaltsgesetz
entsprechend zu ergänzen.
Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Anlass, die bewährten vertraglichen und gesetzlichen Grundlagen dahingehend zu verändern, dass der Aufenthalt von Mitgliedern der Streitkräfte auf Personen beschränkt wird, die nach deutschem Recht Wehrdienst leisten könnten.
6.
Wie beurteilt die Bundesregierung die durch die vorliegenden Fakten
belegte Tatsache, dass im dargelegten Fall ein Mitglied der europäischen
Wertegemeinschaft das Tötungsdelikt an einem Bürger Nordirlands geringfügiger
einschätzt als ein Drogendelikt?
Der Bundesregierung liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Im übrigen ist der konkrete Fall derzeit (April 2001) Gegenstand eines laufenden Verfahrens vor Gerichten des Vereinigten Königreichs.
Anlässlich der Stationierung zweier britischer Soldaten bei der Rheinarmee, die in Grossbritannien zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden waren, erklärt die friedens- und abrüstungspolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Heidi Lippmann:
Die Bundesregierung sieht keinen Anlass gegen die Stationierung zweier Scot Guards-Soldaten bei der britischen Rheinarmee zu protestieren, die wegen der Erschießung eines 18jährigen Iren in Nordbelfast zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurden. Aufgrund eine Kampagne der britischen Armee waren die beiden Verurteilten nach nur drei Jahren aus der Haft entlassen worden und sind seit November 1998 wieder Angehörige ihres Regimentes. In der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage bestätigte die Bundesregierung nun, von der Stationierung der beiden Soldaten bei der britischen Rheinarmee Kenntnis zu haben, sieht jedoch keinen Anlass hiergegen zu protestieren, da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass "durch die weitere Anwesenheit der in Frage stehenden Personen im Bundesgebiet zum gegenwärtigen Zeitpunkt die öffentliche Sicherheit oder Ordnung tatsächlich" gefährdet ist.
Dieses Verhalten der Bundesregierung ist für uns vollkommen unverständlich, da die Bestimmungen für Soldaten der Bundeswehr für das Verbleiben im Dienst bei Straftaten sehr restriktiv sind. Dies und die Tatsache, dass in Grossbritannien in den vergangenen 5 Jahren 1.400 Soldaten aus dem Dienst wegen Drogendelikten entlassen wurden, verurteilte Mörder aber nach kurzer Haftverbüßung wieder Dienst in der Truppe leisten dürfen, zeigt, dass nicht nur in Grossbritannien mit zweierlei Maß gemessen wird, sondern es auch keine einheitlichen Wertmaßstäbe innerhalb der Streitkräfte der Europäischen Union gibt.
Die PDS fordert die Bundesregierung auf, die Maßstäbe, die sie aus gutem Grund ihren eigenen Soldaten abverlangt, auch bei der Stationierung von "Gast"-Streitkräften auf deutschem Boden zugrunde zu legen. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um rechtsradikale Gewalttaten in unserem Lande ist die unwidersprochene Stationierung dieser beiden Soldaten ein gefährliches Signal der Toleranz gegenüber Rassenhass und Gewalt.