The Independent, 16. Juni 2007
Willkommen in 'Palästina'
von Robert Fisk
Nichts als ärger machen die Muslime im Nahen Osten. Wir verlangen, dass die Palästinenser sich an demokratische
Spielregeln halten und dann wählen sie die falsche Partei - Hamas. Zusätzlich gewinnt die Hamas einen
Mini-Bürgerkrieg und beherrscht den Gaza Streifen. Aber wir, der Westen, beharren immer noch darauf, mit dem
diskreditierten Präsidenten Mahmoud Abbas zu verhandeln. Heutzutage hat "Palästina" - lasst uns die Anführungsstriche
beibehalten - zwei Premierminister. Willkommen im Nahen Osten.
Mit wem können wir verhandeln? Mit wem reden wir? Nun, natürlich hätten wir vor Monaten bereits mit der Hamas reden
müssen. Aber wir mochten die demokratisch gewählte Regierung des palästinensischen Volkes nicht. Wir hatten von denen
erwartet, dass sie Fatah mit ihrer korrupten Führungsspitze wählen. Aber sie wählten Hamas, die sich weigert, Israel
anzuerkennen oder das völlig diskreditierte Oslo Abkommen zu befolgen.
Nicht einer - auf unserer Seite - fragte, welches Israel insbesondere die Hamas denn anerkennen müsse. Israel in den
Grenzen von 1948? Israel in den Grenzen nach 1967? Das Israel, das eine grosse Anzahl Siedlungen auf arabischem Land
für Juden und ausschliesslich für Juden gebaut hat und weiterhin baut, und sich damit immer mehr der verbleibenden
22% von "Palästina" einverleibt, um das noch verhandelt wird?
Und so wird heute von uns verlangt, dass wir mit unserem treuen Polizisten Herrn Abbas reden, dem "gemässigten"
(wie ihn BBC, CNN und Fox News bezeichnen) Führer der Palästinenser, einem Mann, der ein 600-seitiges Buch
über Oslo schrieb, ohne auch nur einmal das Wort "Besatzung" zu erwähnen, der immer über die israelische
"Umgruppierung" anstelle über den "Abzug" redet, einem Führer, dem wir vertrauen können, weil er eine Krawatte
trägt, im Weissen Haus verkehrt und all die richtigen Sachen sagt. Die Palästinenser wählten nicht Hamas,
weil sie eine islamische Republik wollen - so wird Hamas blutiger Sieg dargestellt werden - sondern weil sie
genug haben von der Korruption der Fatah von Herrn Abbas und der verrotteten "Palästinensischen Autorität".
Ich erinnere mich, wie ich vor Jahren in das Haus eines PA Offiziellen geführt wurde, dessen Wände gerade von
Einschüssen israelischer Granaten übersäht waren. Alles richtig. Aber was mich empörte,
waren die vergoldeten Wasserhähne im Badezimmer. Diese Wasserhähne - oder ähnliches - kosteten die Fatah ihren
Wahlsieg. Die Palästinenser wollten ein Ende der Korruption - diesem Krebsgeschwür der arabischen Welt -
und deshalb wählten sie Hamas. Weil sie ihr freies Wahlrecht ausgeübt haben, entschieden wir, der alles wissende,
rundherum gute Westen uns, sie dafür zu sanktionieren, sie auszuhungern, sie einzuschüchtern. Vielleicht sollten
wir "Palästina" die EU Mitgliedschaft anbieten, wenn es aus Dankbarkeit dafür die richtigen Leute wählen würde.
überall im Nahen Osten ist es dasselbe. Wir unterstützen Hamid Karzai in Afghanistan, auch wenn er Warlords und
Drogenbarone in seine Regierung aufnimmt (und im übrigen sind wir fürchterlich betroffen über alle die unschuldigen
afghanischen Zivilisten, die wir in unserem "Kampf gegen den Terrorismus" in den abgelegenen Gegenden der Helmand
Provinz töten.)
Wir lieben Hosni Mubarak aus ägypten, dessen Folterknechte mit den Politikern des
Muslimischen Bruderbundes, die vor kurzem ausserhalb Kairos verhaftet wurden, immer noch nicht fertig sind.
Aber seine Präsidentschaft empfing die herzliche Unterstützung von Frau - ja, Frau - George W Bush. Seine Nachfolge
wird mit ziemlicher Sicherheit an seinen Sohn Gamal gehen.
Wir bewundern Muammar Gaddafi, den Diktator mit den fixen Ideen aus Libyen, dessen Werwölfe die Opposition
im Ausland umgebracht haben, dessen Plan, den König Abdullah von Saudi Arabien ermorden zu lassen,
dem letzten Besuch Tony Blairs in Tripoli vorausging. Oberst Gaddafi, daran sei erinnert,
wurde von Jack Straw als "Staatsmann" bezeichnet, als er seine nicht vorhandenen Pläne zur
nuklearen Aufrüstung aufgab. Seine "Demokratie" ist völlig akzeptabel für uns, weil er im "Kampf gegen den
Terrorismus" auf unserer Seite ist.
Ach ja, und ausserdem lieben wir König Abdullahs unkonstitutionelle Monarchie in Jordanien, wir lieben all die
Prinzen und Emire der Golfregion, vor allem die, die von unseren Waffenhändlern so geschmiert wurden, dass sogar
Scotland Yard seine Ermittlungen auf Anweisung unseres Premierministers einstellt. Ich kann verstehen, warum er
die Berichterstattung des Independent über das, was er altmodisch den "Nahen Osten" nennt, nicht besonders mag.
Würden doch nur die Araber - und die Iraner - unsere Könige, Schahs und Prinzen unterstützen, deren Söhne und Töchter
in Oxford und Harvard erzogen sind, wie viel leichter wäre die Kontrolle des "Nahen Osten".
Darum geht es, um Kontrolle. Dafür geben und entziehen wir ihren Führern unser Wohlwollen. Nachdem nun Gaza zur
Hamas gehört, was werden jetzt unsere eigenen gewählten Führer tun? Werden unsere Oberpriester in der EU, der UN,
Washington und Moskau nun mit diesen erbärmlichen, undankbaren Leuten reden müssen (keine Angst, das wird nicht
passieren, weil sie nicht fähig sind, denen die Hand zu geben). Werden sie stattdessen die Westbank Version von Palästina
anerkennen (Abbas, die sichere Variante) und die gewählte, militärisch erfolgreiche Hamas in Gaza ignorieren?
Natürlich ist es einfach, beide Gruppen zu verdammen. Aber das tun wir mit dem gesamten Nahen Osten. Wenn nur
Bashar al-Assad nicht Präsident von Syrien wäre (der Himmel weiss, was die Alternative wäre) oder wenn nur der
verrückte Präsident Mahmoud Ahmedinejad nicht die Kontrolle über den Iran ausüben würde (auch wenn er derzeit
nicht ein Ende eines Nuklearsprengkörpers von dem anderen unterscheiden kann).
Wäre nur der Libanon eine hausgemachte Demokratie wie unsere eigenen kleinen Hinterhofländer, wie zum Beispiel
Belgien oder Luxemburg. Aber nein, diese nervtötenden Nahen Ostler wählen die falschen Leute, unterstützen die
falschen Leute, lieben die falschen Leute und benehmen sich nicht wie wir zivilisierte Westler.
Was werden wir denn nun tun? Vielleicht die Wiederbesetzung von Gaza unterstützen? Sicher werden wir nicht Israel
kritisieren. Und wir werden weiterhin unsere Zuneigung den Königen, Prinzen und unschönen Präsidenten des Nahen
Osten geben, bis das ganze Gebiet vor unseren Augen explodiert. Dann werden wir sagen - was wir heute schon von den
Irakern sagen - dass sie unsere Opfer und unsere Liebe nicht verdienen.
Wie gehen wir mit einem Staatsstreich durch eine gewählte Regierung um?
Copyright © The Independent 2007
übersetzung: Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, 19. Juni 2007