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Nordirland – Hungerstreiks von 1981 - Geschichte und Bedeutung:

“Unsere Antwort wird das Lachen unserer Kinder sein“

Bobby Sands, vom dem dieser Satz (in freier Übersetzung) stammt, starb am 5.Mai 1981 im Alter von 28 Jahren als erster von insgesamt 10 irisch republikanischen Gefangenen nach 65 Tagen Hungerstreik.

Er starb, obwohl er kurz zuvor in einer Nachwahl des nordirischen Wahkreises Fermanagh/ South Tyrone mit 30492 Stimmen zum Abgeordneten des britischen Unterhauses gewählt worden war.

100 000 Menschen folgten seinem Sarg in Belfast, das indische Parlament widmete ihm eine Schweigeminute, in Paris und anderen Städten wurden Strassen nach Bobby Sands benannt, 30000 zogen in Solidarität mit den Hungerstreikern vor die britischen Botschaft in Dublin. Auf der ganzen Welt, auch in Deutschland, gab es Solidaritätsdemonstrationen.

Kolonialmacht gegen Bürgerrechtsbewegung

1921 erzwang Großbritannien gegen den in einer demokratischen Wahl dokumentierten Willen von über 70% der gesamten Bevölkerung Irlands die Teilung der Insel. Im Jahre 1972, also 50 Jahre später, herrschte die Unionist Party (UP) immer noch ununterbrochen über den nordöstlichen Zipfel Irlands, dem sie ein Apartheidsystem aufgezwungen hatte, dessen Hauptziel anti-irische und anti-katholische Diskriminierung in allen Lebensbereichen war, egal ob es um Fragen des Wahlrechts, der Arbeitssuche oder der Zuteilung von Wohnraum ging. Im Jahr 1967 entstand im Zuge der weltweiten Emanzipationsbewegung auch in Nordirland eine Bürgerrechtsbewegung, The Northern Ireland Civil Rights Movement (NICRA). Ihre Hauptthemen waren gleiche Rechte, faire Wahlen und menschenwürdige Wohnungen. Die Antwort des Staates und radikaler Unionisten (später Loyalisten genannt) ließ nicht lange auf sich warten. Am 5. Oktober 1968 konnten Fernsehzuschauer weltweit einen ersten Eindruck von dem repressiven System bekommen. Friedlich demonstrierende Bürgerrechtler wurden von RUC-Polizisten eingekesselt und attackiert, die selbst vor bewußtlosen Verletzten nicht Halt machten. Die Versuche des NICRA, Nordirland mit friedlichen Mitteln zu reformieren, erstickten in den Belfaster Pogromen im August 1969. Innerhalb weniger Tage brannten Loyalisten unter den Augen der RUC Hunderte von Häusern Belfaster Katholiken nieder, und der größte Flüchtlingsstrom in Westeuropa seit dem 2. Weltkrieg setzte sich Richtung Republik Irland in Bewegung. In diesen Tagen wurde die im Osteraufstand 1916 enstandene IRA, die ihre Waffen Anfang der 60er Jahre entsorgt hatte, mit dem Namen Provisional IRA neu ins Leben gerufen.

Als die Republik Irland drohte, ihre kleine Armee zum Schutz der irischen Viertel in Nordirland einzusetzen, wurde im August 1969 die britische Armee zum "Schutz" der katholischen Bevölkerung entsandt. Mit dem Massaker, das britische Fallschirmjäger 1972 unter Zivilisten an Bloody Sunday in Derry anrichteten, verlor die britische Armee endgültig das letzte Vertrauen der zu schützenden Bevölkerung. Terror gegen die Zivilbevölkerung, Internierungen ohne Gerichtsverfahren, Folterzentren und Schnellgerichte waren Methoden der bewussten Militarisierung des Konfliktes durch die Briten, die jahrzehntelang den politischen Kampf um Gleichberechtigung verhinderten. Nach vorsichtigen Schätzungen haben allein irisch republikanische Gefangene während der 30 Jahre des militärischen Konflikts über 100.000 Jahre Internierung und Haft abgesessen.

Weltweite Solidarität gegen die Kriminalisierungspolitik von Margaret Thatcher

1981 konnte erstmalig wieder eine Massenbewegung mobilisiert werden - diesmal für den Kampf der republikanischen Gefangenen im Gefängnis Long-Kesh gegen die drohende Abschaffung des politischen Status, gegen ihre Kriminalisierung und gegen die unglaubliche Brutalität, die die britische Regierung auch hier gegen den Protest einsetzte. Am Ende dieser Auseinandersetzung um den politischen Status waren zehn republikanische Gefangene tot und die Kriminalisierungspolitik von Margaret Thatcher weltweit diskrediert.

Basisdemokratie und Friedensprozess

Nur einige Jahre später hatten die irischen Republikaner den Kampf um ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben und Lernen im Gefängnis gewonnen und hatten ein modernes, demokratisches Erziehungsmodell hervorgebracht, das respektvoll „University of Freedom“ genannt wurde.

Die Politisierung der Bevölkerung während der Hungerstreiks spielte eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung, den Friedensprozess und die Entwicklung von Sinn Féin zur stärksten Partei im irischen Lager.

Die Gefangenen hatten grossen Anteil an den Diskussionen um den Friedensprozess in den 90ern und in ihren Communities heute.


Uschi Grandel, http://archiv.info-nordirland.de/, news@info-nordirland.de