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Nordirland, County Tyrone, Cappagh/Galbally, 13. -16. Juli 2006:

Ein ganzer Bezirk ehrt Martin Hurson

Reisebericht von Uschi Grandel, August 2006

Der folgende Bericht enthält mehrere Bilder
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Ein beeindruckender Fackelzug von etwa 800 Menschen zieht im kleinen Dörfchen Galbally im Osten des nordirischen County Tyrone am Freitag, den 14. Juli 2006, vom Haus der Familie Hurson zum Friedhof. Bauern hauptsächlich, Männer, Frauen, Kinder, jung und alt bunt gemischt. Fast alle der 200-300 Familien, die in den Häusern rund um Cappagh und Galbally leben, haben sich auf den Weg gemacht.

Abbildung 1: East Tyrone Herald "Vigil marks Hurson anniversary" (Samstag, 15.7.2006)

Was motiviert diese vielen Menschen, Martin Hurson, eines jungen IRA-Freiwilligen aus Galbally, zu gedenken, der vor 25 Jahren am 13. Juli 1981 im Alter von 26 Jahren im Hungerstreik für die Anerkennung als politischer Gefangener in den berüchtigten H-Blocks des nordirischen Hochsicherheitsgefängnisses Long Kesh starb?

Keine Tür war verschlossen

Fährt man durch die wunderschönen Alleen alter Bäume, die über die kleinen Landstrassen ragen, von Dungannon in Richtung Galbally und Cappagh, so sieht man nur sehr vereinzelt ein Farmhaus, das mit einem Union Jack Loyalität zu Großbritannien symbolisiert. Für die irischen Bauern der Gegend hat die irisch-republikanische Gesinnung eine lange Tradition. Der Kampf um ein vereinigtes Irland und gegen die britische Besatzung ist hier untrennbar verknüpft mit dem Kampf für ein Ende der Diskriminierung der irischen Bevölkerung als Bürger zweiter Klasse.

Anti-katholischer und anti-irischer Sectarianism, was man am ehesten mit religiös verbrämten Rassismus übersetzt, ist ein Fundament des 1920 von Großbritannien gegen den Willen einer großen Mehrheit der irischen Bevölkerung erzwungenen Kunststaates Nordirland. "A Protestant State" nennt der erste Premierminister Sir James Craig den Staat und weist damit den etwa 35% Katholiken von Anfang an ihren Platz zu. Fünfzig Jahre lang bis zu Beginn der Troubles ist seine Partei, die Unionist Party, die Alleinherrscherin über einen Apartheid-Staat, der die katholische Bevölkerung in allen Lebensbereichen diskriminiert, ihnen Wahlrecht, Arbeit und anständige Wohnungen vorenthält.

Ältere Leute erzählen von der Aufbruchstimmung, die die Bürgerrechtsbewegung Ende der 60er Jahre auslöste. Der Staat organisierte die gewaltsame Unterdrückung der Proteste durch die berüchtigte Polizeisondereinheit RUC B Specials, die seit den 20er Jahren immer wieder an Pogromen in irischen Vierteln beteiligt war. Die RUC B Specials wurden 1969 aufgelöst, als ihre Gewaltorgien international Entsetzen auslösten. Als Ersatz wurde 1970 das Ulster Defence Regiment (UDR) eingeführt, in das viele Mitglieder der alten RUC B Specials einfach überwechselten.

Abbildung 2: Galbally bei Cappagh im County Tyrone (Nordirland)
In den ländlichen Gebieten wurden mit Beginn der Troubles die protestantischen Nachbarn in eine Art militärisches Blockwartsystem rekrutiert. Ein Anwohner aus Galbally erzählt, dass gezielt junge Protestanten der Nachbarschaft ins Ulster Defence Regiment (UDR) rekrutiert wurden. Sie sollten ihr ziviles Leben weiterführen und zusätzlich ihre Heimatgegend militärisch gegen den Feind im Innern verteidigen.

Laurence McKeown, der 1981 selbst 70 Tage im Hungerstreik war, hat in der ländlichen Gegend des County Antrim, in der er aufgewachsen war, eine vergleichbare Erfahrung gemacht. Er erzählt:

Im Alter von 15 oder 16 Jahren wurden meine Freunde und ich von diesen Rekruten (der UDR) angehalten, die im ländlichen Antrim eigentlich Nachbarn waren. Am Anfang war es ihnen peinlich, uns nach unseren Namen zu fragen und wo wir hingingen. Sie kannten unsere Namen, sie sind neben uns aufgewachsen. Sie wussten genau, wer wir waren. Ein Muster wurde langsam sichtbar, als unsere früheren Bekannten uns aus dem Auto befohlen und uns gegen die Wand stellten. Es ging nicht um Religion. Es ging darum, dass eine Seite bewaffnet war und die andere nicht.
Für viele junge Männer und Frauen waren solche und ähnliche Erlebnisse der Anstoß, der IRA beizutreten. Die Sympathie der Bevölkerung war ihnen sicher. Ein Bauer aus der Region, selbst ehemaliger Aktivist erzählt, wie selbstverständlich die Unterstützung in dieser Gegend war:

Keine Tür war verschlossen. Man konnte in jedem Haus Unterstützung finden und man war immer willkommen.

Terror gegen die Bevölkerung

Blanker Terror war das Mittel, mit dem die britische Regierung samt ihrer legalen und illegalen Hilfstruppen den Krieg gegen die IRA und gegen die Bevölkerung gleichermaßen führte.

Die Massaker von Cappagh und Loughgall haben bei Menschen dieser Gegend tiefe Wunden hinterlassen.

Am 3. März 1991 tauchte ein Mordkommando der pro-britischen "loyalistischen" paramilitärischen Terrorgruppe UVF vor O'Boyle's Pub in Cappagh auf. Sie erschossen den 23-jährigen John Quinn, den 20-jährigen Malcom Nugent und den 17-jährigen Dwyane O'Donnell, als die jungen Männer im Auto vor dem Pub vorfuhren. Durch Oberlichter schossen sie in das Pub und ermordeten den 52-jährigen Thomas Armstrong. Weitere Menschen, die sich in der Bar befanden, wurden verwundet. Die Mörder konnten unerkannt entkommen. Die Anwohner sind überzeugt, dass das Attentat für die Loyalisten ohne Hilfe des britischen Militärs nicht möglich gewesen wäre. Viele Indizien deuten auf eine direkte Zusammenarbeit hin.

So war am Tag des Attentats die Gegend voller Straßensperren des britischen Militärs und der Polizei, die wie von unsichtbarer Hand während und kurzzeitig nach dem Attentat verschwanden, nur um später am Abend wiederzukommen und die Gegend abzuriegeln, nachdem die Loyalisten geflohen waren.

Ein einzelner Helikopter der britischen Armee landete während der Flucht der UVF Gang in der Nähe und hob kurz darauf wieder ab. Siobhan, die Schwester von Malcom, sagt:

Vielleicht sind wir jetzt stark genug, die Wahrheit einzufordern. Ich erinnere mich, wie die UDR unser Haus im folgenden Jahr durchsuchte und ein Soldat höhnisch lachend beschrieb, wie Malcolm versuchte, über eine Mauer zu entkommen, bevor er erschossen wurde.

Abbildung 3:
Erinnerungsstätte an das Massaker in Cappagh gegenüber von O'Boyle's Pub

Inschrift:

"In liebendem Gedenken an John Quinn, Malcolm Nugent, Thomas Armstrong, Dwayne O'Donnell. Mögen sie in Frieden ruhen! In Erinnerung an vier Iren, die von britischen Agenten am 3. März 1991 ermordet wurden."


Am 8. Mai 1987 ermordete die britische SAS acht IRA Aktivisten und einen Zivilisten in Loughgall. Die SAS hatte von einem geplanten Anschlag erfahren und erwartete die IRA Gruppe, um sie kaltblütig zu erschießen. Sie machten keinen Versuch die Männer festzunehmen. Im Mai 2001 befand der europäische Gerichtshof die britische Regierung für schuldig, "das Recht auf Leben verletzt" zu haben.

Historische Nacht, Fackelzug und gälischer Fußball

Ich war das ganze Wochenende in Galbally, um an den Gedenkfeiern zum 25. Todestag von Martin Hurson teilzunehmen. Das lokale 81 Hungerstrike Commemoration Committe hatte gemeinsam mit der Familie, der örtlichen Sinn Féin Gruppe, dem Sportverein und lokalen Sponsoren ein 4-tägiges Programm organisiert.

Den Auftakt der Gedenkveranstaltungen bildete eine historische Nacht am Donnerstag, den 13. Juli 2006, Martins eigentlichem Todestag. Auch hier drängten sich Hunderte, um Martins Bruder Brendan und ehemaligen Mitgefangenen zuzuhören, die die damalige Zeit mit sehr persönlichen Erinnerungen lebendig werden ließen.

Abbildung 4: Denkmal zum 25. Jahrestag des Hungerstreiks 1981 an der Gortindarragh Road in Galbally -
das H symbolisiert die als H-Block bekannt gewordene Form der Gefängnisgebäude in Long Kesh

Der zu Anfang beschriebene Fackelzug in der Nacht von Freitag auf Samstag beginnt vor dem Haus der Familie Hurson in Aughnaskea. Er führt vorbei an Feldern und vereinzelten Häusern zum Friedhof in Galbally. Als lange nach Mitternacht der Fackelzug mit einem Gebet in irischer Sprache am Grab von Martin endet, öffnet das lokale Pub Tally gegenüber dem Friedhof seine Pforten noch zu später Stunde, um die vielen durstigen Kehlen zu versorgen.

Der Samstag Nachmittag stand im Zeichen des Gälic Football und des Martin Hurson Pokals. Zuerst spielen sechs Mädchenmannschaften des Bezirks im Football Wettbewerb der Klasse "unter 16". Der Höhepunkt des Nachmittags ist das Spiel der Männer und Frauen um den Martin Hurson Pokal. Seit 1985 gibt es jährlich während der Gedenkfeierlichkeiten das Finale um den Cup der Männer. Seit 1988 gibt es zusätzlich das Finale um den Cup der Frauen.

Galbally war damit Vorreiter im Frauenfußball, lang bevor der irische Sportverband Gaelic Athletic Association (GAA) Anfang der 90er Jahre offiziell Football für Frauen organisierte. Abends spielt die Band Spirit of Freedom aus Dungannon. Die Feier in Tally's Pub geht bis in den frühen Morgen.

Zur Abschlussdemonstration am Sonntag kommen Tausende. Neben Nachbarn aus dem unmittelbaren Umkreis und den anliegenden Bezirken nehmen auch Ortsgruppen von Sinn Féin aus Armagh, West Tyrone, Derry und Belfast, Gruppen republikanischer ehemaliger Gefangener und eine Reihe irisch-republikanischer Flute Bands teil. Ein ganzer Bus kommt aus dem Süden Irlands: in Longford in Westmeath hatte Martin während des Hungerstreiks 1981 als Gefangener und H-Block-Kandidat zu den Parlamentswahlen kandidiert und große Unterstützung der Bevölkerung erhalten. Trotz Zensur in den öffentlichen Medien, ohne Werbespots und Wahlkampfgelder erhielt er damals über 4000 Erststimmen und weitere 1000 Transferstimmen.

Drei der republikanischen Gefangenen wurden damals als Abgeordnete gewählt: Bobby Sands als MP des britischen Unterhauses für den Wahlkreis Fermanagh/South Tyrone im Norden Irlands, Kieran Doherty und Paddy Agnew als TD des irischen Dáil für die Wahlkreise Cavan-Monaghan und Louth in Irlands Süden. Bobby Sands und Kieran Doherty starben im Hungerstreik trotz ihres Abgeordnetenmandats.

Mit der Demonstration gedachten die Teilnehmer nicht nur Martin Hurson, sondern auch der anderen neun Hungerstreiker, die 1981 starben, und all denjenigen, die in Attentaten wie Cappagh und Loughgall ermordet wurden. Die Gedenkrede hielt der Sinn Féin Präsident Gerry Adams.

Abgeschlossen wurden die 4-tägigen Gedenkfeiern mit einem gemütlichen Beisammensein am Sonntag abend im Community Center in Galbally, mit Gesprächen und Liedern.

Galbally Community Centre

Von Belfast ist man in weniger als 1 Stunde in Dungannon, dem kleinen Hauptstädtchen des Bezirks. Von dort geht es über Donaghmore in Richtung Cappagh. Galbally findet man auf offiziellen Wegweisern nicht, aber mehrere selbst gefertigte Schilder weisen stolz den Weg zum Galbally Community Centre.


Abbildung 5:
Galbally Community Centre

Oben links: Gemeinde- und Sportzentrum
Oben rechts: an der Innenmauer findet sich ein Bild von Martin Hurson, umrundet von den neun anderen, die im Hungerstreik starben, Bilder des Blanketprotests und der Beerdigung
Unten links: der zum Community Centre gehörige Sportplatz
Unten rechts: ein Team des diesjährigen "under 16 girls cup", der im Rahmen des Martin Hurson Memorial Cup ausgetragen wird

Das Galbally Community Centre ist ein tolles Gemeinde- und Sportzentrum. Vor zehn Jahren wurde es in Eigenregie gebaut. Ein bisschen Geld kam von der Gaelic Athletic Association (GAA). Öffentliche Gelder gab es keine, aber Eigeninitiative, großzügige Spenden der Bevölkerung und ein vielseitiges Veranstaltungsprogramm, aus dessen Ticketverkauf der Rest des Geldes zusammengekratzt wurde, ließen ein ganz außerordentliches Community Centre entstehen. Ein zweistöckiges großes Haus, dessen Versammlungssaal viel Platz für Veranstaltungen und Feiern aller Art lässt, eine Küche, eine Bar, Umkleiden für die Sportler und ein Sportfeld mit Tribüne direkt nebenan.

Im ersten Stock findet sich die lokale Ausstellung zum Leben und Tod von Martin Hurson. Liebevoll gesammelte Andenken, Zeitungsartikel, so genannte Comms, das waren illegal aus dem Gefängnis geschmuggelte Briefe im Kleinstformat, großartige Holzschnitzereien, unter anderem eine Harfe und ein Klavier in Miniatur, die Martin im Gefängnis geschnitzt hatte.

Michael Gillespie, seit 12 Jahren Mitglied im Gemeinderat für Sinn Féin, zeigt mir die Ausstellung. Ich lerne Brendan Hurson, den Bruder Martins und dessen Sohn Séan kennen, die sich seit vielen Jahren sehr aktiv im Gemeindeleben und in der Jugendarbeit engagieren. Viele Mitglieder der Familie Hurson und Martins damalige Freundin Bernadette Donnelly sind direkt an der Organisation und an den Aktivitäten rund um das Gedenkwochenende beteiligt.

Hurson Boy

Martin wuchs in einem kleinen Bauernhof auf. Hügelig ist das Land rund um Galbally und karg. Die Eltern hielten Kühe und ein paar Schweine. Die Familie besitzt den Hof seit fast 300 Jahren. Es reichte fürs Überleben. Das fruchtbare Land weiter unten im Tal und an der Ostküste Irlands hatten die Kolonialherren in England an protestantische Siedler aus England und Schottland verteilt, die sie als Bollwerk gegen die einheimische Bevölkerung ansiedelten. Den einheimischen Bauern blieb das Weideland der kargen Hochmoore.

Martin hatte eine unbeschwerte Kindheit. Freunde beschreiben ihn als typischen Jungen vom Land, ruhig und ernsthaft, aber mit Humor. Der gewinnt später die Oberhand. Als das komische Duo waren er und sein Freund Peter Kane bald bekannt. Immer gut für eine witzige Einlage. "Hurson Boy" nennen ihn später liebevoll die republikanischen Mitgefangenen.

Die Zeitung IRIS, die damals vom Sinn Féin Foreign Affairs Bureau herausgegeben wurde, beschreibt in ihrer Ausgabe vom November 1981, wie Martin Hurson mit anderen jungen Männern von der britischen Armee verhaftet wurde:

In den frühen Morgenstunden des 9. November 1976 kam es zu einer Reihe intensiver Einsätze der britischen Armee und der (nordirischen paramilitärischen Polizei) RUC im District Cappagh in Dungannon im Osten von Tyrone. Unter dem Paragraphen 10 des Emergency Provisions Act (eines weitreichenden Polizei-Ermächtigungsgesetzes) wurden die drei jungen Männer Pat Joe O'Neill, Dermot Boyle und Peter Kane verhaftet. Zwei Tage später, am 11. November wurden bei einem ähnlichen Einsatz James Joseph Rafferty, Peter Nugent, Kevin O'Brien und Martin Hurson in ihren Häusern verhaftet.

Über die nächsten Tage wurden die sieben Manner in der Omagh RUC-Kaserne zu IRA Operationen im Osten Tyrones seit 1972 verhört. Sie wurden von Polizeibeamten der neu gebildeten Regional Crime Squad systematisch gefoltert.

Die Männer wurden an den Haaren gezogen und geschlagen. Sie wurden gezwungen, für eine lange Zeit mit gespreizten Armen und Beinen gegen eine Wand zu lehnen, sie wurden getreten und geschlagen und bis zur Erschöpfung zu Liegestützen gezwungen.
Martin war damals 20 Jahre alt. Er unterschrieb unter Folter ein Geständnis, das er später widerrief. Trotzdem verurteilte ihn ein Schnellrichter der neuen geschaffenen Diplock-Courts zu 20 Jahren Haft.

Folter, schnelle Verurteilung durch spezielle Gerichte, lange Haftstrafen und ein hartes Gefängnisregiment ohne Anerkennung des politischen Status der Gefangenen waren die neuen Methoden, mit denen die britische Regierung ab Stichtag 1. März 1976 ihr neues Konzept der Kriminalisierung des irisch-republikanischen Widerstands durchsetzen wollte.

Das neue System löste die Politik der Internierungen der frühen 70er Jahre ab.

Zum einen, weil diese offensichtliche Willkür -- Verhaftungen und jahrelange Internierungen ohne Anklage und Prozess -- international Menschenrechtsorganisationen auf den Plan brachte. Zum anderen, weil das neue Konzept, den irisch-republikanischen Gefangenen politische Motive abzusprechen und sie als Kriminelle zu behandeln, durch den politischen Status, den diese Gefangenen bis 1. März 1976 inne hatten, ad Absurdum geführt wurde.

Als Fliessbandprozess gebrandmarkt spülte die neue Politik in den darauf folgenden Jahren Hunderte junger Männer und Frauen in die nordirischen Gefängnisse, in die H-Blocks von Long Kesh und das Frauengefängnis in Armagh. Martins Weigerung, sich als Krimineller behandeln zu lassen und Gefängniskleidung zu tragen, machte ihn für die nächsten Jahre zu einem von Hunderten junger Blanketmen, die nur mit einer Decke bekleidet erniedrigende Haftbedingungen und Brutalität der Gefängniswärter erdulden mussten.

In stolzem und liebendem Gedenken an den IRA-Volunteer Martin Hurson, der im Alter von 26 Jahren in den H-Blocks von Long Kesh nach 46 Tagen Hungerstreik starb.

Über das Wochenende komme ich mit vielen Menschen in Galbally ins Gespräch, die Leute sind herzlich und offen.

Einen Nachbarn der Familie Hurson treffe ich mit seinem Enkel am Grab von Martin. Er erzählt mir von der Beerdigung, von dem Riesenaufgebot an britischen Soldaten, die alle umliegenden Hügel besetzt hielten und mit Hubschraubern über dem Trauerzug kreisten, der damals denselben Weg zum Friedhof nahm, den wir am Freitag 25 Jahre später mit dem Fackelzug erneut gegangen waren. Damals ließen sich die Menschen nicht abhalten, ihre Solidarität zu zeigen.

Wie tief und nachhaltig die 1981er Hungerstreiks auf die Menschen gewirkt hatten, zeigt sich an den vielen Menschen, die durch Teilnahme an den Gedenkfeiern nicht nur hier in Galbally, sondern auf hunderten ähnlicher Veranstaltungen überall in Irland im Jahr 2006 ihre Solidarität zeigen.
Abbildung 6: Martin Hursons Grabstätte auf dem Friedhof in Galbally

Ende der 70er Jahre hatten sich Hunderte irisch-republikanischer Gefangener dem Blanket-Protest angeschlossen. Sie formulierten ihre Forderung nach Anerkennung als politische Gefangene durch die folgenden fünf sehr konkreten und moderaten Forderungen - five demands:

Die Regierung Thatcher wollte keinen Kompromiss, sie wollte den Widerstand brechen. Die Situation eskalierte und mündete in den 1981er-Hungerstreik. Als Martin am 13. Juli 1981 nach 46 Tagen im Hungerstreik starb, war er der sechste von 10 Toten, die die Politik der britischen Regierung kosten sollte.

Die britische Strategie, mit der Behandlung irisch-republikanischer Gefangener als gewöhnliche Kriminelle den irischen Freiheitskampf zu kriminalisieren, scheiterte nicht nur kläglich, sondern erreichte das Gegenteil.

Die H-Block/Armagh-Committees mobilisierten Hunderttausende. Bobby Sands, der erste der Hungerstreiker, wurde mit über 30.000 Stimmen zum Abgeordneten des britischen Unterhauses gewählt. Er erhielt in seinem Wahlkreis mehr direkte Stimmen als Margaret Thatcher in ihrem. Die Behauptung der britischen Regierung, die IRA sei nur eine kriminelle Verschwörung ohne Unterstützung in der Bevölkerung, war damit ein für alle Mal auch sichtbar für die internationale Öffentlichkeit in das Reich der Lüge verbannt.

Bobby Sands: "Lasst unsere Revanche das Lachen unserer Kinder sein"

Viele der Redner der diesjährigen Gedenkveranstaltungen setzen sich mit dem Thema der Bedeutung der 81er Hungerstreiks auseinander. Die Gefangenen hatten den unbeugsamen Willen, lieber zu sterben, als den irisch-republikanischen Widerstand als kriminell abstempeln zu lassen. Sie haben Tausende politisch mobilisiert und weltweit internationale Solidarität erfahren. Sie haben gezeigt, dass Widerstand gegen den scheinbar so überlegenen, waffenstarrenden britischen Staat möglich ist.

Die Kriminalisierungspolitik in den Gefängnissen scheiterte. Bereits kurze Zeit nach den Hungerstreiks waren die Gefangenen in der Lage, ihr Leben weitgehend selbst zu gestalten. Long Kesh wurde zur University of Freedom. Die Gefangenen organisierten ihre Ausbildung in politischen, kulturellen, künstlerischen, musischen und anderen Bereichen und nahmen mit ihren Diskussionen einen enormen Einfluss auf die politische Entwicklung der irisch-republikanischen Bewegung und des nordirischen Konfliktlösungsprozesses.

Der Stolz der irisch-republikanischen Bevölkerung auf die Blanketmen geht seither Hand in Hand mit einem immens gewachsenen Selbstbewusstsein und einer Vision für die Zukunft, die Bobby Sands mit dem Satz "Lasst unsere Revanche das Lachen unserer Kinder sein" eindrücklich formuliert hat.

Abbildung 7: Tausende beteiligen sich an der Demonstration in Galbally zum Gedenken
an Martin Hurson und die anderen 9 Männer, die 1981 im Hungerstreik starben
(links: ihre Bilder werden im Zug mitgetragen, rechts: Sinn Féin Präsident
Gerry Adams hält die Rede zum Gedenken an Martin Hurson)

Bei allen Gedenkveranstaltungen spürt man dieses Selbstbewusstsein, die positive Stimmung und die Zuversicht der versammelten Menge. Ein Sinn Féin Mitglied sagt mir:

Früher gingen die Leute zu den Gedenkveranstaltungen, um das Leid gemeinsam zu tragen und ihren Widerstand zu zeigen. Hoffnung gab es sehr wenig. Heute ist das Leid noch da, aber Hoffnung und Zuversicht haben ungeheuer an Raum gewonnen.

Das politische Bewusstsein der Menschen ist groß. Alle mit denen ich rede, sehen den Friedensprozess als richtigen Weg. Die überwiegende Mehrheit unterstützt politisch Sinn Féin und ihre Vision eines "vereinigten Irlands gleichberechtigter Menschen".

Im Bezirk Dungannon, zu dem Galbally und Cappagh gehören, ist Sinn Féin mit neun Abgeordneten die stärkste Partei. Vier Abgeordnete stellt die ebenfalls im irischen Lager angesiedelte SDLP. Das pro-britische Lager der Unionisten, Loyalisten und Oranier Orden teilt sich in fünf Abgeordnete der DUP und vier der UUP.

Nordirlandweit haben die Loyalisten und Oranier Orden auf ihre Art und Weise des 25. Jahrestages der Hungerstreiks gedacht. Der 12. Juli ist der zentrale Feiertag der Oranier Orden. An diesem Tag marschieren sie Nordirland weit, um den Sieg von King Billy über die katholischen Truppen im Jahre 1690 zu feiern. Am Vorabend des 12. Juli stahlen sie an mehreren Orten in einer konzertierten Aktion die zum Gedenken aufgestellten Poster der Hungerstreiker, um auf ihren "Bonfires" neben irischen Flaggen, Bildern von Sinn Féin Abgeordneten, Tops des Fußballvereins Celtic diesmal auch die Bilder der Hungerstreiker zu verbrennen. Etwas zynisch könnte man dies fast eine Art Anerkennung der politischen Bedeutung dieser Männer nennen.

Abscheu und Entsetzen hat die Aktion ausgelöst, die selbst Toten ihre Würde und den Respekt verweigert.

Auch in Galbally wurden die Poster gestohlen. Aber die Zeiten ändern sich. Der Sinn Féin Abgeordnete Michael Gillespie intervenierte bei einem Bezirkskreiskollegen, einem Abgeordneten der UUP und Mitglied eines Oranier Orden. In kürzester Zeit wurden die Poster wieder zurückgegeben.

Und auch wenn Ian Paisley, der alte Hassprediger der DUP, in seiner diesjährigen Ansprache vor Oranier Orden immer noch davon redet, notfalls "durch Blut zu waten" und seine Partei anweist, mit Sinn Féin nicht zu reden, so hinterlässt auch hier der Friedensprozess seine Spuren. Michael Gillespie erzählt:

Im Bezirksrat redet kein DUP'ler öffentlich mit einem der Sinn Féin Kollegen. Aber neulich auf einer gemeinsamen Fahrt nach Schweden hielt das Schweigegelübde nur bis zum Dubliner Flughafen. Danach waren das Verhalten plötzlich ganz normal. Die DUP kann ihre Verweigerungspolitik in der Realität immer weniger durchhalten.

In Galbally finde ich niemanden, der nicht Realist genug ist, um zu wissen, dass der Kampf um Unabhängigkeit, eine gerechte Gesellschaft und ein vereinigtes Irland, der von den irischen Republikanern nun ausschließlich politisch geführt wird, ein langes und zähes Ringen sein wird. Nach wie vor blockieren ewig Gestrige die Demokratisierung des Landes mit aller Kraft: Politiker der DUP, die unfähig zur Konfliktlösung sind; nordirische Bürokraten, die Transparenz fürchten; britisches Militär und Geheimdienste, die die Wahrheit über ihren schmutzigen Krieg, den sie in Cappagh und anderswo gegen die gesamte Bevölkerung führten, nicht ans Licht kommen lassen wollen.

Die vielen Menschen, die Irland weit im Jahre 2006 den Mut und die Entschlossenheit der zehn Männer ehren, die 1981 im Hungerstreik starben, werden weniger als ihre vollen Rechte nicht akzeptieren. Den langen Atem, die Kraft und den Mut hierfür schöpfen sie aus der Erinnerung an

Bobby Sands, Francis Hughes, Patsy O'Hara, Raymond McCreesh, Joe McDonnell, Martin Hurson, Kevin Lynch, Kieran Doherty, Tom McElwee und Michael Devine.

Abbildung 8: Angehörige von Martin Hurson, Kevin Lynch und Joe McDonnell beim Aufruf zur
Irland weiten Demonstration in Belfast am 13. August 2006 zur Erinnerung an die
Hungerstreiks. Weit über 20 000 Menschen nahmen teil, Tausende säumten die Falls Road,
auf der die Demonstration zum GAA-Casementpark zog

Reisebericht Dr. Uschi Grandel, August 2006, http://archiv.info-nordirland.de/, info@info-nordirland.de
Weiterverbreitung und Abdruck gerne mit Bitte um entsprechende Information, Kürzungen nur nach Absprache

Info Nordirland - http://archiv.info-nordirland.de/


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