Die baskische abertzale Linke veröffentlichte heute eine neue Initiative für eine demokratische
und friedliche Lösung des Konfliktes zwischen dem spanischen und dem französischen Staat auf
der einen und dem Baskenland auf der anderen Seite. Das Dokument "ERSTE SCHRITT FÜR EINE
DEMOKRATISCHE LÖSUNG DES BASKISCHEN KONFLIKTS - PRINZIPIEN DER BASKISCHEN ABERTZALEN LINKEN"
wurde heute zeitgleich in Venedig und in Altsasu der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Initiative fällt auf den 5. Jahrestag der Deklaration von Anoeta, mit der Arnaldo Otegi,
Sprecher der baskischen abertzalen Linken, den letzten Versuch eines Konfliktlöungsprozesses
startete. Arnaldo Otegi befindet sich in Untersuchungshaft, seit er mit anderen
Führungspersönlichkeiten der abertzalen Linken am 13. Oktober von Balthasar Garzon verhaftet
wurde. Die Verhaftungen konnten die neue Konfliktlösungsinitiative der abertzalen Linken nicht
verhindern.
In Venedig wurde das Dokument im Rahmen einer Konferenz für Konfliktlösung vorgestellt,
auf der Lehren aus südafrikanischer und irischer Erfahrungen gezogen und ihre Anwendung
auf den kurdischen und den baskischen Konflikt diskutiert wurden. Im baskischen Altsasu
versammelten sich mehr als hundert führende Aktivisten der abertzalen Linken, um gemeinsam
das Dokument der baskischen Öffentlichkeit vorzustellen. In Altsasu wurde vor 31 Jahren
Herri Batasuna gegründet.
Im folgenden dokumentieren wir den vollständigen Wortlaut des Dokuments in deutscher
Übersetzung:
ERSTER SCHRITT FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG DES BASKISCHEN KONFLIKTS:
PRINZIPIEN DER BASKISCHEN ABERTZALEN LINKEN
>> Download des Dokuments in deutscher Sprache (PDF, 73kB)
Wir sind Männer und Frauen verschiedener Generationen, die für eine soziale Befreiung und die
Unabhängigkeit des Baskenlandes gearbeitet haben und weiterhin eintreten. Unser Ziel ist
die Bildung eines eigenen Staates, weil wir davon ausgehen, dass dies die einzige Form ist,
um das Überleben und die Entfaltung des Baskenlandes in Einklang und in Solidarität mit den
anderen Völkern Europas und der Welt zu garantieren. Dies ist unser legitimes politisches
Projekt, das wir mit Unterstützung der Mehrheit der baskischen Bevölkerung erreichen wollen.
Die aktuelle politische Aufteilung, die das Baskenland in zwei Autonomieregionen (Euskadi
und Navarra) und einen französischen Teil aufteilt und unsere Rechte als Bürgerinnen und
Bürger beschränkt, hat sich als Rahmen erwiesen, der den politischen und bewaffneten Konflikt
in unserem Land perpetuiert.
Er verhindert, dass die Bürgerinnen und Bürger im Baskenland selbst über ihre Zukunft
entscheiden können. In diesem Sinne ist der gewalttätige bewaffnete Konflikt, mit den
allgemein bekannten menschlichen und politischen Kosten, über Jahrzehnte verlängert worden.
Unser wichtigstes Ziel ist heute, diese Situation zu überwinden.
Die letzten drei Jahrzehnte des Konflikts eröffnen ein anderes Panorama: Wir sind eine
politische Bewegung, der die Geschichte immer wieder Recht gegeben hat - angefangen
mit der Forderung nach einem demokratischen Bruch mit dem franquistischen Regime 1976
über das NEIN der Baskinnen und Basken zur spanischen Verfassung 1978, die Verhinderung
des AKW Lemoiz 1976-83 und das NEIN zur NATO 1986. Das zeigt sich aber auch in unseren
Anstrengungen, den Betrug des Autonomiestatuts sichtbar zu machen, und in unserer
grundsätzlichen Opposition gegen den neoliberalen Kapitalismus.
Die Unabhängigkeitsbewegung hat aber nicht nur auf dem Feld der Opposition und des Protestes
politische und ideologische Kämpfe gewonnen. Die von der baskischen abertzalen Linken
unterbreiteten Lösungsvorschläge sind von wichtigen Teilen der Gesellschaft, oft auch der
Mehrheit aufgegriffen worden. Die Initiativen für eine Verhandlungslösung und für den Aufbau
nationalstaatlicher Institutionen und die von uns unterbreiteten Demokratisierungsvorschläge
haben den politischen Prozess im Baskenland ohne jeden Zweifel vorangebracht.
In den letzten Jahren hat es in wichtigen Fragen Entwicklungen gegeben, die einen grundlegenden
Wandel der politischen Situation nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich machen: In der
politischen Debatte sind im letzten Jahrzehnt die Schlüsselprobleme klar benannt worden, die
es zu lösen gilt; die unermüdliche Arbeit Tausender Personen und gesellschaftlicher Akteure
haben uns nah an die ersehnte Verhandlungslösung herangeführt. Die Notwendigkeit, die fatalen
Konsequenzen des Konflikts hinter uns zu lassen, ist allgemein deutlich geworden. Ein Ende
des bewaffneten Konflikts und der politischen Blockade sind heute ebenso wie eine gerechte,
stabile und dauerhafte Verhandlungslösung möglich.
Wir haben auf dem Weg zur Befreiung Manches richtig, Anderes falsch gemacht und stehen an der
Schwelle eines politischen Wandels. Heute geht es darum, diesen Wandel unumkehrbar zu machen.
Um diese Veränderung zu verwirklichen, müssen wir auch uns selbst verändern. Eine grundlegende
Selbstkritik war notwendig, und wir haben sie geleistet.
Die baskische abertzale Linke wird nicht darauf warten, was andere politische Akteure zu tun
bereit sind. Für uns klar, dass wir selbst handeln müssen. In der neuen politischen Phase sind
neue Strategien, neue politische Bündnisse und neue Instrumente nötig.
In der neuen Phase geht es darum, eine nationale Anerkennung des Baskenlands und seines
Selbstbestimmungsrechtes zu erreichen. Dafür müssen wir Kräfte sammeln und die Konfrontation
mit dem spanischen und französischen Staat auf jenes Terrain zu führen, auf dem diese am
schwächsten sind: auf das Terrain der Politik. Massenmobilisierung, die Arbeit in
demokratischen Institutionen, ideologischer Kampf und die Suche nach internationaler
Unterstützung – das werden die zentralen Säulen der neuen Strategie sein müssen.
Das grundlegende Instrument dieser neuen politischen Phase ist der Demokratisierungsprozess.
Dass wir ihn in Angriff nehmen, ist eine unilaterale Entscheidung der baskischen abertzalen
Linken. Zu seiner Umsetzung und zur Überwindung des Konflikts werden wir uns um bilaterale und
multilaterale Vereinbarungen bemühen: mit den politischen Akteuren im Baskenland, der
internationalen Gemeinschaft und den Staaten. Anders ausgedrückt: Die baskische abertzale
Linke setzt auf die Demokratisierung, um den politischen und sozialen Wandel zu erreichen.
Diese Entscheidung ist in den Reihen der baskischen abertzalen Linken mi Rahmen einer
breiten und verantwortungsvoll geführten Diskussion gereift. In dieser Debatte haben sich
die soziale Basis und die Aktivisten der baskischen abertzalen Linken auf folgende Prinzipien
verständigt, die wir der Bevölkerung des Baskenlandes, den politischen, gewerkschaftlichen
und gesellschaftlichen Akteuren des Landes sowie der Internationalen Gemeinschaft hiermit
bekannt geben wollen:
1. Der auf friedlichem und demokratischem Weg ausgedrückte Wille der Bevölkerung ist der
einzige Bezugspunkt für eine demokratische Lösung. Das gilt sowohl für den Beginn und die
Entwicklung des Demokratisierungsprozesses als auch für die Vereinbarungen, die einer
freien Abstimmung der Bevölkerung unterzogen werden sollten. Die baskische abertzale Linke
verpflichtet sich dazu, so wie es auch die anderen Akteure tun sollten, in jeder Etappe
des Prozesses die von den baskischen Bürgerinnen und Bürgern frei, friedlich und demokratisch
getroffenen Entscheidungen anzuerkennen.
2. Die politisch-territoriale Ordnung des Baskenlandes muss Ergebnis des demokratischen
Volkswillens sein und die Rechte aller Bürgerinnen und Bürgern gewährleisten. Der heute
bestehende gesetzliche Rahmen darf den freien und demokratischen Entscheidungen der Bevölkerung
nicht im Weg stehen, sondern muss die Ausübung der demokratischen Rechte sicherstellen.
3. Die Vereinbarungen, die im Verlauf eines Demokratisierungsprozesses getroffen werden,
müssen die allgemeinen – individuellen oder kollektiven – Rechte gewährleisten, wie sie in
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im UNSozialpakt und im UN-Zivilpakt sowie in
den anderen internationalen Menschenrechtsvereinbarungen festgehalten sind.
4. Der gleichberechtigte politische Dialog zwischen allen politischen und gesellschaftlichen
Akteuren ist das wichtigste Werkzeug, um zu einer Übereinkunft zwischen den unterschiedlichen
politischen und kulturellen Identitäten im Baskenland zu kommen. Die baskische abertzale
Linke bekräftigt ihren Wunsch, sich an diesem Dialog zu beteiligen.
5. Aus dem Dialog zwischen den politischen Akteuren im Baskenland sollte eine Vereinbarung
hervorgehen, die einem allgemeinen Referendum unterzogen wird. Dieses Abkommen sollte nicht
nur gewährleisten, dass alle politischen Projekte unter gleichen Voraussetzungen und ohne
jede gewalttätige Beschränkung verteidigt werden können. Es sollte auch beinhalten, dass
alle Projekte umgesetzt werden können, wenn diese von einer Bevölkerungsmehrheit im
Baskenland erwünscht und unterstützt werden.
6. Der Demokratisierungsprozess muss sich ohne jede Gewalt, Zwang und Einmischung entfalten
können und ausschließlich auf politische und demokratische Mittel stützen. Wir sind davon
überzeugt, dass diese politische Strategie Fortschritte bei der Demokratisierung
ermöglichen wird. Südafrika und Irland sind Beispiele hierfür.
7. Wir bleiben dem Friedensvorschlag von Anoeta verpflichtet. Ihm zufolge sollten alle
politische Kräfte des Baskenlandes unter gleichen Voraussetzungen in einen Dialogprozess
treten, um einen demokratischen Mechanismus zu vereinbaren, mit dem die Bürgerinnen und
Bürger frei über ihre Zukunft entscheiden können. Dieser Prozess sollte auf den Prinzipien
beruhen, die der US-Senator Mitchell für den irischen Konflikt ausgearbeitet und vorgelegt
hat.
Auf der anderen Seite sollten ETA und der spanische Staat Verhandlungen über die
Demilitarisierung des Landes, die Freilassung der baskischen politischen Gefangenen, die
Rückkehr der Flüchtlinge und eine gerechte und gleiche Behandlung aller Opfer des Konflikts
aufnehmen.
Wir bekräftigen unsere bedingungslose Unterstützung eines friedlichen und demokratischen
Prozesses, damit das baskische Volk frei und ohne jede Einschüchterung über seine Zukunft
entscheiden kann.
Euskal Herria, 14. November 2009
Abertzale Linke:
Die Bedeutung des baskischen Begriffs "Abertzale" ist eng verknüpft mit der speziellen
Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische
Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel
politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile
der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung
des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext
besitzt, kann der Begriff Abertzale nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt
werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.